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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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nur Sagen, jeder geschichtlichen Grundlage entbehrend, doch Zeugnisse sür
den Wunsch, Hus' Wirksamkeit in eine gewisse providentielle Verbindung mit
der Luthers gesetzt zu sehen, so daß die hussitische Bewegung als Vorstufe
der deutschen Reformation, Luther als der erschien, welcher das Werk von
Hus vollendete. So blieb die Anschauung Jahrhunderte lang, nur daß im
18. Jahrhundert, in der Zeit der Aufklärung das allgemeine Urtheil über Hus
immer günstiger wurde und selbst katholische Historiker in milderer Denkart
das Autodafe' von Kosemitz mißbilligten, und durch wohlwollende Beurtheilung
des Märtyrers eine Pflicht geschichtlicher Unparteilichkeit zu erfüllen suchten.

Eine Wandlung trat erst in unsrem Jahrhunderte ein, ziemlich zu der
Zeit, wo eine kirchliche Reaction im Protestantismus mit Vorliebe auch die
kirchenhistorischen Anschauungen der Ausklcirungscpoche entsprechend zu modifi-
ciren strebte. Mit entschiedener Ungunst ward Hus auf Seite der Protestanten
meines - Wissens zuerst von Heinrich Leo beurtheilt, namentlich in seiner
Universalgeschichte, der denn auch die Feindseligkeiten gegen die Deutschen
scharf ans Licht zieht. Noch ungleich schonungsloser ist daraus der Prager
Professor Dr. Höfler vorgegangen, bei welchem die Abneigung des strengen
Katholiken gegen den Ketzer durch die nationale Stellung der Deutschböhmen
zu den Czechen sehr verschärft wird. Wohl ist seiner Auffassung der böhmische
Geschichtsschreiber Palacky entschieden entgegengetreten; doch Hus' Bild in
der Weise wieder herzustellen, wie es die alte Zeit kannte, hat auch ihm fern
gelegen. Mit der alten Unbefangenheit ist es eben vorbei, in das überlieferte
Bild des böhmischen Magisters schiebt sich dem Historiker ganz unvermeidlich
ein fremder, slavischer Zug störend und verwirrend ein, unverkennbar befleißigt
sich die deutsche Geschichtsschreibung neuerer Zeit im Urtheile über Hus einer
gewissen vorsichtigen Zurückhaltung, und noch in neuester Zeit hat der
Marburger Professor Henke einen Vortrag veröffentlicht/) dessen ausge¬
sprochene Absicht es ist, die Richter des Hus in einem günstigeren Lichte
erscheinen zu lassen.

Im Volke freilich lebt die Erinnerung an Hus' Märtyrertod zu Kosemitz.
Die Verfolgungen durch die Geistlichkeit, deren Opfer er wird, und der Muth,
mit welchem er für eine freiere kirchliche Ueberzeugung in den Tod geht,
sichern ihm die Sympathien der deutschen Liberalen. Auf dieser Anschauung
basirt zu nicht kleinem Theile der durchschlagende Erfolg der Lessing'schen
Husbilder. Auch hat erst vor Kurzem (1868) gerade im Gegensatze zu der
herrschend gewordenen kühleren Beurtheilung der badische Pastor Krummel
mit wahrem Enthusiasmus für Hus seine Geschichte der böhmischen Reformation
geschrieben. Er findet in dem Hussitenthum "keimartig die Grundzüge des



") Johann Hus und die Synode von Coristcmz. Berlin 1869 in der Virchow'Holtzcndorff-
schen Sammlung von Vortragen Heft 81.

nur Sagen, jeder geschichtlichen Grundlage entbehrend, doch Zeugnisse sür
den Wunsch, Hus' Wirksamkeit in eine gewisse providentielle Verbindung mit
der Luthers gesetzt zu sehen, so daß die hussitische Bewegung als Vorstufe
der deutschen Reformation, Luther als der erschien, welcher das Werk von
Hus vollendete. So blieb die Anschauung Jahrhunderte lang, nur daß im
18. Jahrhundert, in der Zeit der Aufklärung das allgemeine Urtheil über Hus
immer günstiger wurde und selbst katholische Historiker in milderer Denkart
das Autodafe' von Kosemitz mißbilligten, und durch wohlwollende Beurtheilung
des Märtyrers eine Pflicht geschichtlicher Unparteilichkeit zu erfüllen suchten.

Eine Wandlung trat erst in unsrem Jahrhunderte ein, ziemlich zu der
Zeit, wo eine kirchliche Reaction im Protestantismus mit Vorliebe auch die
kirchenhistorischen Anschauungen der Ausklcirungscpoche entsprechend zu modifi-
ciren strebte. Mit entschiedener Ungunst ward Hus auf Seite der Protestanten
meines - Wissens zuerst von Heinrich Leo beurtheilt, namentlich in seiner
Universalgeschichte, der denn auch die Feindseligkeiten gegen die Deutschen
scharf ans Licht zieht. Noch ungleich schonungsloser ist daraus der Prager
Professor Dr. Höfler vorgegangen, bei welchem die Abneigung des strengen
Katholiken gegen den Ketzer durch die nationale Stellung der Deutschböhmen
zu den Czechen sehr verschärft wird. Wohl ist seiner Auffassung der böhmische
Geschichtsschreiber Palacky entschieden entgegengetreten; doch Hus' Bild in
der Weise wieder herzustellen, wie es die alte Zeit kannte, hat auch ihm fern
gelegen. Mit der alten Unbefangenheit ist es eben vorbei, in das überlieferte
Bild des böhmischen Magisters schiebt sich dem Historiker ganz unvermeidlich
ein fremder, slavischer Zug störend und verwirrend ein, unverkennbar befleißigt
sich die deutsche Geschichtsschreibung neuerer Zeit im Urtheile über Hus einer
gewissen vorsichtigen Zurückhaltung, und noch in neuester Zeit hat der
Marburger Professor Henke einen Vortrag veröffentlicht/) dessen ausge¬
sprochene Absicht es ist, die Richter des Hus in einem günstigeren Lichte
erscheinen zu lassen.

Im Volke freilich lebt die Erinnerung an Hus' Märtyrertod zu Kosemitz.
Die Verfolgungen durch die Geistlichkeit, deren Opfer er wird, und der Muth,
mit welchem er für eine freiere kirchliche Ueberzeugung in den Tod geht,
sichern ihm die Sympathien der deutschen Liberalen. Auf dieser Anschauung
basirt zu nicht kleinem Theile der durchschlagende Erfolg der Lessing'schen
Husbilder. Auch hat erst vor Kurzem (1868) gerade im Gegensatze zu der
herrschend gewordenen kühleren Beurtheilung der badische Pastor Krummel
mit wahrem Enthusiasmus für Hus seine Geschichte der böhmischen Reformation
geschrieben. Er findet in dem Hussitenthum „keimartig die Grundzüge des



") Johann Hus und die Synode von Coristcmz. Berlin 1869 in der Virchow'Holtzcndorff-
schen Sammlung von Vortragen Heft 81.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/208>, abgerufen am 27.07.2024.