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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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derben zu stürzen und das Vaterland zu ruiniren -- blos der Ehre wegen.
Denn daß es so kommen könnte, ist nur zu wahrscheinlich, wie jetzt die Sachen
stehen. Auf besondere Wunder und außerordentliche Glücksfälle zu hoffen,
heißt Gott versuchen. Er hat uns kein Wunder versprochen und nicht immer
siegt hienieden die gute Sache." Und nun wird die politische Lage eingehend
erörtert. Das Resultat ist, daß für den Augenblick nichts zu machen sei.
So wehe es thut, man muß sich der Nothwendigkeit fügen und günstigere
Umstände abwarten, wo sich die Scharte auswetzen läßt. Und dieselben
werden kommen. Bereits beginnt der Kaiser bessere Erfolge in Ungarn zu
haben; und was den Kurfürsten von Brandenburg betrifft, so hat er doch
schließlich trotz seiner dermaligen Verstimmung ein Herz, das fühlt mit den
Leiden seines Vaterlandes, einen deutschen Sinn. Und auf Gelegenheit, mit besse¬
ren Kräften Frankreich gegenüberzutreten, wird man nicht lange warten
müssen. Sicher bricht es den Waffenstillstand bald und macht das Maß voll,
daß es überläuft. Daher ducke man sich eben jetzt ein wenig und lasse den
Sturm über sich wegbrausen, indem wir uns für eine bessere Zeit aufsparen.
Können wir durch diesen Waffenstillstand nur ein paar Jahre Ruhe ge-
winnen. so halte ich Europa für gerettet. Freilich müssen wir die Zeit ge¬
hörig nützen, um unsere Angelegenheiten in Ordnung zu bringen und dürfen
nicht im Schatten eines trügerischen Friedens schläfrig werden. Wir müssen
Frankreich täuschen, als entwaffneten wir, während wir unsere Truppen hei
einander behalten, denn eine stehende Bewaffnung thut unter diesen Umstän¬
den dringend noth u. f. w.

Die Gründe dieser Denkschrift waren einleuchtend. Wirklich wurde,
weil "im Augenblicke nichts zu machen war", zu Regensburg der "20 jährige"
Waffenstillstand verabredet. Auch das von Leibniz empfohlene Bündniß oder
wenigstens etwas ähnliches kam 1686 zu Stande durch den Augsburger
Bund gegen Frankreich, zu dem sich auf Betrieb Wilhelms von Oranien der
Kaiser, Holland, Brandenburg und andere Reichsstände, dazu Spanien und
Schweden verbanden. Gleichzeitig nimmt der Türkenkrieg eine günstige
Wendung, und Leibniz kommt nun aus seinen egyptischen Vorschlag zurück,
in einer merkwürdigen Schrift vom Jahre 1687, die zwischen dem Nars
OdristiamgLimus und dem consilium eZ^ptiacum gewissermaßen mitten inne
steht, sofern sie zwar die Ironie gegen den allerchristlichsten König er¬
neuert, gleichzeitig ihm aber doch die Verfolgung seines "Hauptdessins" als
sein wahres Interesse vorstellt, so daß vor aller Welt Ludwig durch diese
"freimüthige Muthmaßung über seine innersten Gedanken" gleichsam gebunden
werden soll und worin zugleich die Idee ausgeführt ist, daß durch eine Thei¬
lung der Türkei zwischen Oestreich und Frankreich die Interessen der beiden
Rivalen versöhnt werden sollen.


derben zu stürzen und das Vaterland zu ruiniren — blos der Ehre wegen.
Denn daß es so kommen könnte, ist nur zu wahrscheinlich, wie jetzt die Sachen
stehen. Auf besondere Wunder und außerordentliche Glücksfälle zu hoffen,
heißt Gott versuchen. Er hat uns kein Wunder versprochen und nicht immer
siegt hienieden die gute Sache." Und nun wird die politische Lage eingehend
erörtert. Das Resultat ist, daß für den Augenblick nichts zu machen sei.
So wehe es thut, man muß sich der Nothwendigkeit fügen und günstigere
Umstände abwarten, wo sich die Scharte auswetzen läßt. Und dieselben
werden kommen. Bereits beginnt der Kaiser bessere Erfolge in Ungarn zu
haben; und was den Kurfürsten von Brandenburg betrifft, so hat er doch
schließlich trotz seiner dermaligen Verstimmung ein Herz, das fühlt mit den
Leiden seines Vaterlandes, einen deutschen Sinn. Und auf Gelegenheit, mit besse¬
ren Kräften Frankreich gegenüberzutreten, wird man nicht lange warten
müssen. Sicher bricht es den Waffenstillstand bald und macht das Maß voll,
daß es überläuft. Daher ducke man sich eben jetzt ein wenig und lasse den
Sturm über sich wegbrausen, indem wir uns für eine bessere Zeit aufsparen.
Können wir durch diesen Waffenstillstand nur ein paar Jahre Ruhe ge-
winnen. so halte ich Europa für gerettet. Freilich müssen wir die Zeit ge¬
hörig nützen, um unsere Angelegenheiten in Ordnung zu bringen und dürfen
nicht im Schatten eines trügerischen Friedens schläfrig werden. Wir müssen
Frankreich täuschen, als entwaffneten wir, während wir unsere Truppen hei
einander behalten, denn eine stehende Bewaffnung thut unter diesen Umstän¬
den dringend noth u. f. w.

Die Gründe dieser Denkschrift waren einleuchtend. Wirklich wurde,
weil „im Augenblicke nichts zu machen war", zu Regensburg der „20 jährige"
Waffenstillstand verabredet. Auch das von Leibniz empfohlene Bündniß oder
wenigstens etwas ähnliches kam 1686 zu Stande durch den Augsburger
Bund gegen Frankreich, zu dem sich auf Betrieb Wilhelms von Oranien der
Kaiser, Holland, Brandenburg und andere Reichsstände, dazu Spanien und
Schweden verbanden. Gleichzeitig nimmt der Türkenkrieg eine günstige
Wendung, und Leibniz kommt nun aus seinen egyptischen Vorschlag zurück,
in einer merkwürdigen Schrift vom Jahre 1687, die zwischen dem Nars
OdristiamgLimus und dem consilium eZ^ptiacum gewissermaßen mitten inne
steht, sofern sie zwar die Ironie gegen den allerchristlichsten König er¬
neuert, gleichzeitig ihm aber doch die Verfolgung seines „Hauptdessins" als
sein wahres Interesse vorstellt, so daß vor aller Welt Ludwig durch diese
„freimüthige Muthmaßung über seine innersten Gedanken" gleichsam gebunden
werden soll und worin zugleich die Idee ausgeführt ist, daß durch eine Thei¬
lung der Türkei zwischen Oestreich und Frankreich die Interessen der beiden
Rivalen versöhnt werden sollen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/20>, abgerufen am 27.07.2024.