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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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leader Wirkung, so hübsch er auch von vornherein klingt; aber es wird eben nichts
daraus, und vom zweiten Theil, von der Fuge möchte ich wiederholen, was
ich eben vom Harfentriller gesagt habe, es ist eine mühevolle Stückelei, die
nie in den Zug kommt und sich eben so mühsam anhört, als sie gemacht ist.
Dagegen war ein Stück von Giov. Gabrieli, was ich am Sonnabend singen
ließ, sechsstimmig, von der schönsten Wirkung, die Thomaner hatten selbst
ihre große Freude daran. -- Neulich war Berlioz wieder hier von Dresden
und führte das Offertorium eines Requiems auf, eine Art Jnstrumentalfuge
oder fugirter Satz in langsamem Tempo in ä-moll, wozu der Chor unisono
nichts als a und d zu singen hat. Das kommt an die hundertmal, immer
mit Zwischenpausen, länger oder kürzer, ohne selbständige Bestimmung, nur
wie es gerade die Harmonie zuläßt, nach einander vor, zuletzt löst sich's in
einen harmonischen vur-Schluß auf, bei dem nach der langen Pein den Leuten
so wohl wurde, daß viele nach dem Ende glaubten, etwas Schönes gehört zu
haben; es ist aber ein ganz gesuchtes und innerlich unmusikalisches Ding und
macht höchstens den Eindruck, als wenn es eine Kirchenmusik vorstellen sollte,
etwa einen Mönchszug auf dem Theater oder so etwas. Dazu wärs wieder
besser als wenn einer eine wirkliche aus's Theater bringen wollte, die sich
wie alles blos wahre, da ausnimmt wie die lebendige Eule im Freischützen
oder des Kurprinzen Zapfenstreich im Wasserträger. Mit der wirklichen
Kirchenmusik, so weit man das Feld auch stecken mag, hat es aber bei den
Franzosen keine Gefahr, sie haben nie eine gehabt, was daran ächtes in
Cherubini ist, hat er als Italiener zugebracht. Kirchenmusik haben nur die
alten Niederländer, die Italiener und Deutschen . .


M. H.

Leipzig, den 1. April 1843.


Lieber Herr Capellmeister!

. . .s. . Nun muß ich über die beifolgende Rolle referiren und würde
wie Polonius anfangen, in der Verlegenheit schlechten Spaß zu machen,
sagen: es ist wahr, daß es schade ist, und es ist schade, daß es wahr ist und
dergl.; aber die Sache ist ernstlich zu spaßhaft, daß eine Sonate von Spohr,
die in Leipzig gedruckt sein wollte, ungedruckt wieder abreist. Es ist eine
solche Scheu vor der Gattung unter den Verlegern, daß sie vor der "Sonate"
fast erschrecken, so gern sie den Namen des Autors haben möchten. In diesem
Falle wäre freilich ein directes Wort des letzteren von guter Wirkung, von
besserer gewesen, als die Vermittelung eines Dritten. Schwerlich würde ein
Verleger, als einer, dem Sie sie nicht geben wollten, die Sonate ge¬
nommen haben. Mendelssohn hat sie xrimg. visrg. ganz prächtig gespielt, fand
jedoch vieles recht schwer darin -- nicht schwer herauszubringen, aber schwer


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leader Wirkung, so hübsch er auch von vornherein klingt; aber es wird eben nichts
daraus, und vom zweiten Theil, von der Fuge möchte ich wiederholen, was
ich eben vom Harfentriller gesagt habe, es ist eine mühevolle Stückelei, die
nie in den Zug kommt und sich eben so mühsam anhört, als sie gemacht ist.
Dagegen war ein Stück von Giov. Gabrieli, was ich am Sonnabend singen
ließ, sechsstimmig, von der schönsten Wirkung, die Thomaner hatten selbst
ihre große Freude daran. — Neulich war Berlioz wieder hier von Dresden
und führte das Offertorium eines Requiems auf, eine Art Jnstrumentalfuge
oder fugirter Satz in langsamem Tempo in ä-moll, wozu der Chor unisono
nichts als a und d zu singen hat. Das kommt an die hundertmal, immer
mit Zwischenpausen, länger oder kürzer, ohne selbständige Bestimmung, nur
wie es gerade die Harmonie zuläßt, nach einander vor, zuletzt löst sich's in
einen harmonischen vur-Schluß auf, bei dem nach der langen Pein den Leuten
so wohl wurde, daß viele nach dem Ende glaubten, etwas Schönes gehört zu
haben; es ist aber ein ganz gesuchtes und innerlich unmusikalisches Ding und
macht höchstens den Eindruck, als wenn es eine Kirchenmusik vorstellen sollte,
etwa einen Mönchszug auf dem Theater oder so etwas. Dazu wärs wieder
besser als wenn einer eine wirkliche aus's Theater bringen wollte, die sich
wie alles blos wahre, da ausnimmt wie die lebendige Eule im Freischützen
oder des Kurprinzen Zapfenstreich im Wasserträger. Mit der wirklichen
Kirchenmusik, so weit man das Feld auch stecken mag, hat es aber bei den
Franzosen keine Gefahr, sie haben nie eine gehabt, was daran ächtes in
Cherubini ist, hat er als Italiener zugebracht. Kirchenmusik haben nur die
alten Niederländer, die Italiener und Deutschen . .


M. H.

Leipzig, den 1. April 1843.


Lieber Herr Capellmeister!

. . .s. . Nun muß ich über die beifolgende Rolle referiren und würde
wie Polonius anfangen, in der Verlegenheit schlechten Spaß zu machen,
sagen: es ist wahr, daß es schade ist, und es ist schade, daß es wahr ist und
dergl.; aber die Sache ist ernstlich zu spaßhaft, daß eine Sonate von Spohr,
die in Leipzig gedruckt sein wollte, ungedruckt wieder abreist. Es ist eine
solche Scheu vor der Gattung unter den Verlegern, daß sie vor der „Sonate"
fast erschrecken, so gern sie den Namen des Autors haben möchten. In diesem
Falle wäre freilich ein directes Wort des letzteren von guter Wirkung, von
besserer gewesen, als die Vermittelung eines Dritten. Schwerlich würde ein
Verleger, als einer, dem Sie sie nicht geben wollten, die Sonate ge¬
nommen haben. Mendelssohn hat sie xrimg. visrg. ganz prächtig gespielt, fand
jedoch vieles recht schwer darin — nicht schwer herauszubringen, aber schwer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/193>, abgerufen am 01.09.2024.