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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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hier wieder viel solche Beschäftigung finden. Es ist eigen, wie eine so falsche
Meinung, daß ich ein guter Lehrer sei, sich so dauernd erhalten kann; ich
habe keine Ader dazu. Denn das ist noch lange kein Beruf, wenn einer
oder der andere nicht ganz ohne Nutzen Unterricht gehabt hat, der vielleicht
auch ohne Unterricht eben so weit gekommen wäre. Wie viele nichts Ordent.
liebes bei mir gelernt, weiß ich am Besten. Daß die gekrönten Schüler, die
Zranä xrix des Pariser Conservatoriums, in der Composition auch oft noch
sehr im Unklaren sind, wie ich's an drei Individuen sehr genau habe kennen
lernen -- kann mir für die Anwendung von meiner und der Schüler Zeit keine
Satisfaction geben, -- Vor meinem Fenster wird jetzt S. Bach ein Monu¬
ment gesetzt. Wolf würde aber wenig davon erbaut sein. Die Büste Bach's,
welche in einer Nische steht, ist das Beste daran.


M. H.

Leipzig, den 6. Februar 1843.


Lieber verehrter Herr Capellmeister!

. . . . Gestern war Berlioz's Concert und wir sind davon noch alle
etwas gliederlahm -- einen ganzen Abend solche Musik zu hören ist etwas zu
viel, wenn auch einige Stücke in ihrer phantastischen Eigenthümlichkeit recht
interessant und unterhaltend sind. Eine solche gar zu sehr sich absondernde Ori¬
ginalität verlangt am allermeisten einen äußeren Gegensatz; jedes Stück irgend
eines anderen Componisten, auch eines geringen, wäre gestern eine Erholung
gewesen. Es ist eigen, daß man bei Berlioz immer meinen muß, er könnte
auch ganz schöne Musik machen, wenn er wollte, oder wenn Etwas aus dem
Wege geräumt würde, was ihn daran hindert; das ist wie eine Art Be¬
sessenheit, die es nicht zuläßt, wenn sich etwas zu ruhiger Schönheit aus¬
breiten möchte. Es wurde die Ouvertüre zum König Lear gegeben, die Fehm-
richter und die phantastische Symphonie-Episode aus dem Leben eines Künstlers,
dann zwei Romanzen von einer sehr schönen Sängerin, die er mit sich führt,
sehr französisch ordinär gesungen, und ein Violinstück von David gespielt,
aber auch von Berlioz. Das Orchester war zu 24 Geigen, 5 Bässen, 7 Cellos
und 6 Violen verstärkt -- 4 Pauken und 4 Pauker dazu, indem zuweilen
4stimmige Pauckensätze vorkommen, Ophicleiden, 4 Hörner u. s. w. verstehen
sich von selbst, Harfe und Piano fehlten auch nicht. Bei den Urtheilen über
Berlioz wird man immer zum Widerspruch angeregt, wenigstens geht mir's
so; die Einen finden das Höchste in ihm, Andere wollen gar nichts an ihm
anerkennen und meinen, so etwas könne jeder machen, der die kKrollteri"
dazu habe. Das kann ich nun ebenso wenig zugeben als jenes. Ich finde
nur ein falsches tadelhastes Wollen darin und meine, ein sehr respectables


hier wieder viel solche Beschäftigung finden. Es ist eigen, wie eine so falsche
Meinung, daß ich ein guter Lehrer sei, sich so dauernd erhalten kann; ich
habe keine Ader dazu. Denn das ist noch lange kein Beruf, wenn einer
oder der andere nicht ganz ohne Nutzen Unterricht gehabt hat, der vielleicht
auch ohne Unterricht eben so weit gekommen wäre. Wie viele nichts Ordent.
liebes bei mir gelernt, weiß ich am Besten. Daß die gekrönten Schüler, die
Zranä xrix des Pariser Conservatoriums, in der Composition auch oft noch
sehr im Unklaren sind, wie ich's an drei Individuen sehr genau habe kennen
lernen — kann mir für die Anwendung von meiner und der Schüler Zeit keine
Satisfaction geben, — Vor meinem Fenster wird jetzt S. Bach ein Monu¬
ment gesetzt. Wolf würde aber wenig davon erbaut sein. Die Büste Bach's,
welche in einer Nische steht, ist das Beste daran.


M. H.

Leipzig, den 6. Februar 1843.


Lieber verehrter Herr Capellmeister!

. . . . Gestern war Berlioz's Concert und wir sind davon noch alle
etwas gliederlahm — einen ganzen Abend solche Musik zu hören ist etwas zu
viel, wenn auch einige Stücke in ihrer phantastischen Eigenthümlichkeit recht
interessant und unterhaltend sind. Eine solche gar zu sehr sich absondernde Ori¬
ginalität verlangt am allermeisten einen äußeren Gegensatz; jedes Stück irgend
eines anderen Componisten, auch eines geringen, wäre gestern eine Erholung
gewesen. Es ist eigen, daß man bei Berlioz immer meinen muß, er könnte
auch ganz schöne Musik machen, wenn er wollte, oder wenn Etwas aus dem
Wege geräumt würde, was ihn daran hindert; das ist wie eine Art Be¬
sessenheit, die es nicht zuläßt, wenn sich etwas zu ruhiger Schönheit aus¬
breiten möchte. Es wurde die Ouvertüre zum König Lear gegeben, die Fehm-
richter und die phantastische Symphonie-Episode aus dem Leben eines Künstlers,
dann zwei Romanzen von einer sehr schönen Sängerin, die er mit sich führt,
sehr französisch ordinär gesungen, und ein Violinstück von David gespielt,
aber auch von Berlioz. Das Orchester war zu 24 Geigen, 5 Bässen, 7 Cellos
und 6 Violen verstärkt — 4 Pauken und 4 Pauker dazu, indem zuweilen
4stimmige Pauckensätze vorkommen, Ophicleiden, 4 Hörner u. s. w. verstehen
sich von selbst, Harfe und Piano fehlten auch nicht. Bei den Urtheilen über
Berlioz wird man immer zum Widerspruch angeregt, wenigstens geht mir's
so; die Einen finden das Höchste in ihm, Andere wollen gar nichts an ihm
anerkennen und meinen, so etwas könne jeder machen, der die kKrollteri«
dazu habe. Das kann ich nun ebenso wenig zugeben als jenes. Ich finde
nur ein falsches tadelhastes Wollen darin und meine, ein sehr respectables


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/190>, abgerufen am 01.09.2024.