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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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durchaus allen Ansprüchen, die man machen kann. Genüge leistet: unfehlbare
Sicherheit. Kraft und Zartheit und eine schöne künstlerische Haltung und
Ruhe im Vortrag. Als Curiositäten der Ungriffigkeit spielte er zwei Weber'sche
Ouvertüren, die ich ihm erlassen hätte, sonst hübsche neue Sachen in Etüden"
form, meist wohl von sich; wiewohl ich keine der bekannten darunter fand.
Der Härtel'sche Flügel hielt sich den ganzen Abend vortrefflich, es ist eine
tüchtige Art von Instrument. Außerdem werden sehr gute Pianos hier gebaut,
und ich bin neugierig zu sehen, wie der Ritmüller'sche sich dagegen halten
wird. Nächsten Sonntag gebe ich nach stehendem Gebrauch in der andern Kirche
noch einmal meine Messe, den folgenden zwei Sätze einer sehr hübschen Messe
in L von Mozart, wieder in der Thomaskirche; hier habe ich 3 Bässe und
wenigstens 12 Geigen, dort wegen Mangel an Raum nur 2 Bässe, aber
es klingt in beiden gut. Mit herzlicher Liebe und Verehrung


Ihr ergebenster M. H.

Leipzig, den 1. December 1842.


Lieber verehrter Herr Capellmeister!

......Mendelssohn, mit dem ich soeben bei einer Conferenz
wegen einer kirchlich-musikalischen Angelegenheit war, freut sich gar sehr, daß
Sie Ihre neue Ouvertüre dem Concert im Manuscript mittheilen wollen.
Ich habe neulich die "Weihe der Töne" in großer Vollendung im Gewand.
Haus gehört. Sie würden selbst Freude an der Aufführung gehabt haben.
Es ist eine Lieblings-Symphonie des Leipziger Concert-Publicums. Es ist
doch aber auch ein ganz ander Ding, solche Musik in einem gut geformten
und schön decorirten und erleuchteten Saale zu hören, als in einem Schauspiel¬
hause, wo es nichts zu schauen gibt und das dem Hören so ungünstig ist
als das Casseler. Die besten Aufführungen sind immer wie Bilder ohne
Firniß und ohne Rahmen. Meine Frau, die nie andere als Theater-Concerte
gehört hatte, ist ebenso erfreut als erstaunt über die schöne Wirkung eines
guten Orchesters in einem Saale, wie der hiesige des Gewandhauses. Wenn
man die einzelnen Blasinstrumente in ihren Solls hört, lassen manche zu
wünschen übrig, wenn auch einige vortrefflich sind, aber die Zusammenwirkung
ist sehr' befriedigend und besonders in rhythmischen Nuancirungen so schön
belebt, wie man sie sonst nur bei einem guten Quartett zu finden gewohnt ist-

Von Döhlers Compositionen (von der besseren heutigen Virtuosenmusik)
gefallen mir die kürzesten am besten, den längeren fehlt es an eigentlicher
Entwickelung, an einem zweiten Theil, an einem Mittelstück; wie wenn man
einen Hering gespeist hat und das übrig gebliebene Kopf- und Schwanzstück


durchaus allen Ansprüchen, die man machen kann. Genüge leistet: unfehlbare
Sicherheit. Kraft und Zartheit und eine schöne künstlerische Haltung und
Ruhe im Vortrag. Als Curiositäten der Ungriffigkeit spielte er zwei Weber'sche
Ouvertüren, die ich ihm erlassen hätte, sonst hübsche neue Sachen in Etüden«
form, meist wohl von sich; wiewohl ich keine der bekannten darunter fand.
Der Härtel'sche Flügel hielt sich den ganzen Abend vortrefflich, es ist eine
tüchtige Art von Instrument. Außerdem werden sehr gute Pianos hier gebaut,
und ich bin neugierig zu sehen, wie der Ritmüller'sche sich dagegen halten
wird. Nächsten Sonntag gebe ich nach stehendem Gebrauch in der andern Kirche
noch einmal meine Messe, den folgenden zwei Sätze einer sehr hübschen Messe
in L von Mozart, wieder in der Thomaskirche; hier habe ich 3 Bässe und
wenigstens 12 Geigen, dort wegen Mangel an Raum nur 2 Bässe, aber
es klingt in beiden gut. Mit herzlicher Liebe und Verehrung


Ihr ergebenster M. H.

Leipzig, den 1. December 1842.


Lieber verehrter Herr Capellmeister!

......Mendelssohn, mit dem ich soeben bei einer Conferenz
wegen einer kirchlich-musikalischen Angelegenheit war, freut sich gar sehr, daß
Sie Ihre neue Ouvertüre dem Concert im Manuscript mittheilen wollen.
Ich habe neulich die „Weihe der Töne" in großer Vollendung im Gewand.
Haus gehört. Sie würden selbst Freude an der Aufführung gehabt haben.
Es ist eine Lieblings-Symphonie des Leipziger Concert-Publicums. Es ist
doch aber auch ein ganz ander Ding, solche Musik in einem gut geformten
und schön decorirten und erleuchteten Saale zu hören, als in einem Schauspiel¬
hause, wo es nichts zu schauen gibt und das dem Hören so ungünstig ist
als das Casseler. Die besten Aufführungen sind immer wie Bilder ohne
Firniß und ohne Rahmen. Meine Frau, die nie andere als Theater-Concerte
gehört hatte, ist ebenso erfreut als erstaunt über die schöne Wirkung eines
guten Orchesters in einem Saale, wie der hiesige des Gewandhauses. Wenn
man die einzelnen Blasinstrumente in ihren Solls hört, lassen manche zu
wünschen übrig, wenn auch einige vortrefflich sind, aber die Zusammenwirkung
ist sehr' befriedigend und besonders in rhythmischen Nuancirungen so schön
belebt, wie man sie sonst nur bei einem guten Quartett zu finden gewohnt ist-

Von Döhlers Compositionen (von der besseren heutigen Virtuosenmusik)
gefallen mir die kürzesten am besten, den längeren fehlt es an eigentlicher
Entwickelung, an einem zweiten Theil, an einem Mittelstück; wie wenn man
einen Hering gespeist hat und das übrig gebliebene Kopf- und Schwanzstück


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/186>, abgerufen am 27.07.2024.