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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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erschien nur wenig. Das Repertoir behauptete vorwiegend deutschen Charakter.
Hiermit war der Geschmack des Publikums festgestellt und erwies sich in der
mehrmals aus äußeren Anlässen gewagten Probe, gegen alle frivolen und
geistesarmen Erzeugnisse der Bühnenschriftstellerei ablehnend. In gleicher
Weise hatte auch das Personal an diesen Hauptaufgaben der Kunst die
Probe der Reife bestanden.

Aber große Schwierigkeiten waren hier zu überwinden, und rastlose
Arbeitsamkeit war hier nöthig gewesen.

Konnte doch dem immer wiederkehrenden Publicum eine gewonnene
Vorstellung nur in sehr geringer Zahl von Wiederholungen und in so großen
Zwischenräumen vorgeführt werden, daß jedesmal erneute Proben den der
Aufführung vorangegangenen folgen mußten. Diese Proben von der ersten
Leseprobe, der er nicht selten bei schwierigen Aufgaben eine Vorlesung des
ganzen Stückes vorausschickte, durch die möglichst früh abzuhaltenden Arrangir-
proben hindurch, die das Rollenstudium wesentlich unterstützten, bis zu den
3--4 Hauptproben, denen er, wie der Feldherr vor seiner Schlachtlinie
stehend, mit eingreifenden Winken und Bemerkungen folgte, leitete Devrient
fast immer selbst mit Beihilfe des Regisseurs. Um die Prüfung der Abend¬
wirkung zu machen, setzte sich der Director zur letzten Probe in eine Loge
des Zuschauerraums und notirte hier auf ein Blatt, das der Coulissenwitz
mit dem Titel "Sündenregister oder Lasterbogen" bezeichnete, die noch auf¬
fälligen Mängel der Aufführung, die er dann jedesmal nach dem Acte den
Betreffenden einzeln mittheilte, wie er denn überhaupt es vermied, den künst¬
lerischen Stolz durch lauten Tadel vor Anderen zu kränken und auch die
widersprechende Ansicht über Auffassungen, wenn er sie nicht zur seinigen über¬
führen konnte, nicht zu zwingen versuchte.

Bei allzugroßen Vorstellungen war es sein Brauch, die anstrengenden
Proben zu theilen, um durch die Abspannung der Kräfte nicht die Wirkung
zu beeinträchtigen.

Während, wie oben erwähnt, zum Nachtheil des Repertoirs das Publi¬
cum zu wenig wechselte, so wechselte umgekehrt das Personal zu häufig.
Denn der Vortheil, der sich dem Institut aus der Zahl wohlfeiler junger
Kräfte ergab, schaffte ihm auch verdoppelte Arbeit, den Wiederersatz durch
neue, wenn sie aus der Devrtent'schen Schule gereift an andere Bühnen
in glänzendere Verhältnisse schieden (wie Schmorr. Krastel u. A.) Nicht
vereinzelt sind jedoch die Beispiele, daß Mitglieder des Karlsruher Personales
dem frischen, künstlerischen Treiben, der treuen gemeinschaftlichen von oben
bis herab mit künstlerischem Eifer betriebenen, Arbeit und dem fast familien-
hast zu nennenden Ton der Karlsruher Kunstanstalt, einen lockenden Antrag
an geldreichere Bühnen zum Opfer brachten.


erschien nur wenig. Das Repertoir behauptete vorwiegend deutschen Charakter.
Hiermit war der Geschmack des Publikums festgestellt und erwies sich in der
mehrmals aus äußeren Anlässen gewagten Probe, gegen alle frivolen und
geistesarmen Erzeugnisse der Bühnenschriftstellerei ablehnend. In gleicher
Weise hatte auch das Personal an diesen Hauptaufgaben der Kunst die
Probe der Reife bestanden.

Aber große Schwierigkeiten waren hier zu überwinden, und rastlose
Arbeitsamkeit war hier nöthig gewesen.

Konnte doch dem immer wiederkehrenden Publicum eine gewonnene
Vorstellung nur in sehr geringer Zahl von Wiederholungen und in so großen
Zwischenräumen vorgeführt werden, daß jedesmal erneute Proben den der
Aufführung vorangegangenen folgen mußten. Diese Proben von der ersten
Leseprobe, der er nicht selten bei schwierigen Aufgaben eine Vorlesung des
ganzen Stückes vorausschickte, durch die möglichst früh abzuhaltenden Arrangir-
proben hindurch, die das Rollenstudium wesentlich unterstützten, bis zu den
3—4 Hauptproben, denen er, wie der Feldherr vor seiner Schlachtlinie
stehend, mit eingreifenden Winken und Bemerkungen folgte, leitete Devrient
fast immer selbst mit Beihilfe des Regisseurs. Um die Prüfung der Abend¬
wirkung zu machen, setzte sich der Director zur letzten Probe in eine Loge
des Zuschauerraums und notirte hier auf ein Blatt, das der Coulissenwitz
mit dem Titel „Sündenregister oder Lasterbogen" bezeichnete, die noch auf¬
fälligen Mängel der Aufführung, die er dann jedesmal nach dem Acte den
Betreffenden einzeln mittheilte, wie er denn überhaupt es vermied, den künst¬
lerischen Stolz durch lauten Tadel vor Anderen zu kränken und auch die
widersprechende Ansicht über Auffassungen, wenn er sie nicht zur seinigen über¬
führen konnte, nicht zu zwingen versuchte.

Bei allzugroßen Vorstellungen war es sein Brauch, die anstrengenden
Proben zu theilen, um durch die Abspannung der Kräfte nicht die Wirkung
zu beeinträchtigen.

Während, wie oben erwähnt, zum Nachtheil des Repertoirs das Publi¬
cum zu wenig wechselte, so wechselte umgekehrt das Personal zu häufig.
Denn der Vortheil, der sich dem Institut aus der Zahl wohlfeiler junger
Kräfte ergab, schaffte ihm auch verdoppelte Arbeit, den Wiederersatz durch
neue, wenn sie aus der Devrtent'schen Schule gereift an andere Bühnen
in glänzendere Verhältnisse schieden (wie Schmorr. Krastel u. A.) Nicht
vereinzelt sind jedoch die Beispiele, daß Mitglieder des Karlsruher Personales
dem frischen, künstlerischen Treiben, der treuen gemeinschaftlichen von oben
bis herab mit künstlerischem Eifer betriebenen, Arbeit und dem fast familien-
hast zu nennenden Ton der Karlsruher Kunstanstalt, einen lockenden Antrag
an geldreichere Bühnen zum Opfer brachten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/172>, abgerufen am 27.07.2024.