Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.gegengebracht. Und jede Niederlage des Systems wurde wie ein Sieg ge¬ Da es nicht zum Aeußersten gekommen ist, so geben sich die Herren gegengebracht. Und jede Niederlage des Systems wurde wie ein Sieg ge¬ Da es nicht zum Aeußersten gekommen ist, so geben sich die Herren <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0163" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123783"/> <p xml:id="ID_483" prev="#ID_482"> gegengebracht. Und jede Niederlage des Systems wurde wie ein Sieg ge¬<lb/> feiert, jede erhöhte den Uebermuth der leider sogenannten deutschen Partei.<lb/> Nie hat sie einseyen wollen, daß jede Nationalität starke Elemente in sich<lb/> birgt, mit welchen zu verhandeln und zu vertragen wäre. Als die böhmi-<lb/> schen Czechen mit Eclat den Reichsrath verließen, blieb ihnen nicht allein die<lb/> gehoffte Nachfolge der Galizianer und die Bundesgenossenschaft der Magyaren<lb/> aus, die Czechen aus Mähren, ja eine kleine Fraction der Böhmen harrte<lb/> noch längere Zeit aus, aber der deutschen Majorität fiel es nicht ein, diese<lb/> an ihre Sache zu fesseln, nämlich als Partei; einzelne Abgeordnete „gewann"<lb/> man allerdings, um sie sofort alles Einflusses in ihren Ländern zu berauben.<lb/> Und wie damals, so zeigten auch in den letzten Wochen die Wortführer im<lb/> Abgeordnetenhause die vergnügtesten Gesichter und die beste Lust, weiter<lb/> Parlament zu spielen. Beinahe möchte man bedauern, daß der Kaiser auf<lb/> die Zumuthung nicht eingegangen ist. sämmtliche Landtage, deren Vertreter<lb/> den Reichsrath verlassen haben, auflösen und Neuwahlen ausschreiben zu<lb/> lassen. Aus diesen würden, darauf ist Hundert gegen Eins zu wetten, lauter<lb/> Landtage hervorgegangen sein, welche entweder gar keine Wahlen für den<lb/> Reichsrath vorgenommen oder den Gewählten die Nichtannahme des Mau¬<lb/> bads zur Pflicht gemacht hätten. Für diesen Fall hatte das Ministerium<lb/> sein „Nothwahlgesetz" vorbereitet und wir würden mit Staunen gesehen<lb/> haben, welches Monstrum damit in die Welt gesetzt werden sollte. Man<lb/> müßte bei den Lesern eine genaue Bekanntschaft mit den örtlichen Verhält¬<lb/> nissen voraussetzen oder sehr weitläufig werden, um zu zeigen, daß jenes<lb/> Gesetz völlig unausführbar ist, aber jeder Bezirkscommissär würde das Mi¬<lb/> nisterium darüber aufgeklärt haben. Dann wenigstens ließe sich der voll¬<lb/> kommene Bankerot der Partei auch nicht einmal von so unverdrossenen<lb/> Janitscharen leugnen, wie sie in den Organen von Herbst und Giskra ihr<lb/> Wesen treiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_484" next="#ID_485"> Da es nicht zum Aeußersten gekommen ist, so geben sich die Herren<lb/> immer noch die Miene, das Opfer einer Intrigue geworden zu sein, und<lb/> natürlich muß wieder Graf Beust der Intriguant gewesen sein. Es ist wohl<lb/> nicht anzunehmen, daß der Reichskanzler große Anstrengungen- gemacht habe,<lb/> um den Herren Hafner, Giskra und Herbst über die neuen Schwierigkeiten<lb/> hinwegzuhelfen, nachdem er einmal die Ueberzeugung von der UnHaltbarkeit<lb/> ihrer Politik gewonnen und aus ihrem persönlichen Verhalten gegen ihn<lb/> deutlich entnommen hatte, daß sie mit Vergnügen ihn beseitigen helfen wür¬<lb/> den. Doch brauchte er gar ^nicht activ aufzutreten, die Herren rannten<lb/> geradeswegs in das Grab. Und sie und ihr Anhang sehen noch immer nicht<lb/> ein, daß das Uebergewicht einer Nationalität über alle übrigen in Oestreich<lb/> nur vermittelst eines offenen oder verhüllten Absolutismus möglich ist, daß<lb/> ein parlamentarisches Regiment mit voller Preß- und Versammlungsfreiheit<lb/> und einem vom Schetnconstitutionalismus ersonnenen, künstliche Majoritäten<lb/> erzeugenden Wahlsystem unverträglich ist. Als die Minister ihre Entlassung<lb/> und Graf Potocki — seit seinem Rücktritt von allen Politikern als der Mann<lb/> der nächsten Situation angesehen — den Auftrag zur Cabinetsbildung er¬<lb/> halten hatte, und in ganz richtiger Auffassung seiner Mission mit der außer.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0163]
gegengebracht. Und jede Niederlage des Systems wurde wie ein Sieg ge¬
feiert, jede erhöhte den Uebermuth der leider sogenannten deutschen Partei.
Nie hat sie einseyen wollen, daß jede Nationalität starke Elemente in sich
birgt, mit welchen zu verhandeln und zu vertragen wäre. Als die böhmi-
schen Czechen mit Eclat den Reichsrath verließen, blieb ihnen nicht allein die
gehoffte Nachfolge der Galizianer und die Bundesgenossenschaft der Magyaren
aus, die Czechen aus Mähren, ja eine kleine Fraction der Böhmen harrte
noch längere Zeit aus, aber der deutschen Majorität fiel es nicht ein, diese
an ihre Sache zu fesseln, nämlich als Partei; einzelne Abgeordnete „gewann"
man allerdings, um sie sofort alles Einflusses in ihren Ländern zu berauben.
Und wie damals, so zeigten auch in den letzten Wochen die Wortführer im
Abgeordnetenhause die vergnügtesten Gesichter und die beste Lust, weiter
Parlament zu spielen. Beinahe möchte man bedauern, daß der Kaiser auf
die Zumuthung nicht eingegangen ist. sämmtliche Landtage, deren Vertreter
den Reichsrath verlassen haben, auflösen und Neuwahlen ausschreiben zu
lassen. Aus diesen würden, darauf ist Hundert gegen Eins zu wetten, lauter
Landtage hervorgegangen sein, welche entweder gar keine Wahlen für den
Reichsrath vorgenommen oder den Gewählten die Nichtannahme des Mau¬
bads zur Pflicht gemacht hätten. Für diesen Fall hatte das Ministerium
sein „Nothwahlgesetz" vorbereitet und wir würden mit Staunen gesehen
haben, welches Monstrum damit in die Welt gesetzt werden sollte. Man
müßte bei den Lesern eine genaue Bekanntschaft mit den örtlichen Verhält¬
nissen voraussetzen oder sehr weitläufig werden, um zu zeigen, daß jenes
Gesetz völlig unausführbar ist, aber jeder Bezirkscommissär würde das Mi¬
nisterium darüber aufgeklärt haben. Dann wenigstens ließe sich der voll¬
kommene Bankerot der Partei auch nicht einmal von so unverdrossenen
Janitscharen leugnen, wie sie in den Organen von Herbst und Giskra ihr
Wesen treiben.
Da es nicht zum Aeußersten gekommen ist, so geben sich die Herren
immer noch die Miene, das Opfer einer Intrigue geworden zu sein, und
natürlich muß wieder Graf Beust der Intriguant gewesen sein. Es ist wohl
nicht anzunehmen, daß der Reichskanzler große Anstrengungen- gemacht habe,
um den Herren Hafner, Giskra und Herbst über die neuen Schwierigkeiten
hinwegzuhelfen, nachdem er einmal die Ueberzeugung von der UnHaltbarkeit
ihrer Politik gewonnen und aus ihrem persönlichen Verhalten gegen ihn
deutlich entnommen hatte, daß sie mit Vergnügen ihn beseitigen helfen wür¬
den. Doch brauchte er gar ^nicht activ aufzutreten, die Herren rannten
geradeswegs in das Grab. Und sie und ihr Anhang sehen noch immer nicht
ein, daß das Uebergewicht einer Nationalität über alle übrigen in Oestreich
nur vermittelst eines offenen oder verhüllten Absolutismus möglich ist, daß
ein parlamentarisches Regiment mit voller Preß- und Versammlungsfreiheit
und einem vom Schetnconstitutionalismus ersonnenen, künstliche Majoritäten
erzeugenden Wahlsystem unverträglich ist. Als die Minister ihre Entlassung
und Graf Potocki — seit seinem Rücktritt von allen Politikern als der Mann
der nächsten Situation angesehen — den Auftrag zur Cabinetsbildung er¬
halten hatte, und in ganz richtiger Auffassung seiner Mission mit der außer.
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