Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

den Rossini gering geachtet, ja wie er ihm durch und durch unausstehlich
war. Das ist nun eben Webers schwache Seite und wie ein Paar Reim¬
zeilen beim Dichter Logan sagen: "Leser, wie gefall ich Dir? -- Leser, wie gefällst
Du mir? --" so kann das Letztere auch Rossini zum Weber fragen. Wo
Rossinis Stärke, ist gerade Webers Schwäche: in der Ganzheit, in der Zu¬
sammengehörigkeit der Theile, daß Hofmann schon sagte, Weber wisse so oft
zu seinen melodischen Vordersätzen den Nachsatz nicht zu finden. Ich glaube,
daß Rossini vielmehr das Positive, das Gute von Weber zu erkennen und
zu schätzen gewußt hat, als Weber das Positive im Rossini zu erkennen
wußte. Man wird Webers Geniales nicht verkennen; er hat manches frische
Element in die neue Musik gebracht. Es ist hier nicht von Motiven und
vom musikalischen Charakter die Rede, sondern von musikalischer Architektonik.
Da stehen manche über ihm, die er unter sich glaubt. Und wie das, dem
Gesammtbegriffe nach, dem Harmonischen adäquat ist, so ist bei ihm auch
eben dieses nicht das Durchgebildete an seiner Musik und kommt dabei wohl
auch Dilettantisches vor. Meherbeer. ein Mitschüler M. Webers, hat das
harmonisch Ungründliche seines Lehrers Vogler viel gründlicher beseitigt als
Weber. Die gewissen H Harmonien ist man bei Weber nicht ganz los.
Meyerbeer ist mit seiner Oper noch durch die italienische Schule gegangen.


M. H.

Leipzig, den 27. December 1864.


Lieber Wehner!

.........Dem Museum gegenüber steigt jetzt auch der
neue Theaterbau herauf, der in 2--3 Jahren vollendet sein soll. Nun sollen
sie nur Sänger und Schauspieler dazu machen und ein genügsames Publicum,
das nicht unvernünftig Unbedingtes verlangt. Es ist des Stümpers Sache,
sagt Kottwitz im Prinzen von Homburg, das Vollkommene leisten und ver¬
langen zu wollen, und ein gutes Publicum zeigt sich nicht im Schmähen und
Schlechtsinden, sondern im Gutfinden, im Finden des Guten unter dem Ge¬
ringen. Zum Nichtgutfinden des Mangelhaften gehört sehr wenig und man
setzt seine Kritik sehr tief, wenn man dabei stehen bleibt und sich darin ge¬
fällt; sich wohl noch auf den hohen Standpunkt etwas einbildet. So ist
mir auch der neuere musikalische Recensententon sehr zuwider, der uns in
Allem und Jedem belehren will, und bringt doch nirgends die Beglaubigung,
daß er's um so viel besser weiß; das sollen wir ihm auf's Wort glauben.
Wenn Einer lobt, wird jeder, den's betrifft, einen Zweifel nicht haben, daß
der Kritiker es versteht. Das muß der Betreffende aber auch beim Tadel
zugeben können. Es sind wenige, die wie Lichtender", bei einer schmähenden


den Rossini gering geachtet, ja wie er ihm durch und durch unausstehlich
war. Das ist nun eben Webers schwache Seite und wie ein Paar Reim¬
zeilen beim Dichter Logan sagen: „Leser, wie gefall ich Dir? — Leser, wie gefällst
Du mir? —" so kann das Letztere auch Rossini zum Weber fragen. Wo
Rossinis Stärke, ist gerade Webers Schwäche: in der Ganzheit, in der Zu¬
sammengehörigkeit der Theile, daß Hofmann schon sagte, Weber wisse so oft
zu seinen melodischen Vordersätzen den Nachsatz nicht zu finden. Ich glaube,
daß Rossini vielmehr das Positive, das Gute von Weber zu erkennen und
zu schätzen gewußt hat, als Weber das Positive im Rossini zu erkennen
wußte. Man wird Webers Geniales nicht verkennen; er hat manches frische
Element in die neue Musik gebracht. Es ist hier nicht von Motiven und
vom musikalischen Charakter die Rede, sondern von musikalischer Architektonik.
Da stehen manche über ihm, die er unter sich glaubt. Und wie das, dem
Gesammtbegriffe nach, dem Harmonischen adäquat ist, so ist bei ihm auch
eben dieses nicht das Durchgebildete an seiner Musik und kommt dabei wohl
auch Dilettantisches vor. Meherbeer. ein Mitschüler M. Webers, hat das
harmonisch Ungründliche seines Lehrers Vogler viel gründlicher beseitigt als
Weber. Die gewissen H Harmonien ist man bei Weber nicht ganz los.
Meyerbeer ist mit seiner Oper noch durch die italienische Schule gegangen.


M. H.

Leipzig, den 27. December 1864.


Lieber Wehner!

.........Dem Museum gegenüber steigt jetzt auch der
neue Theaterbau herauf, der in 2—3 Jahren vollendet sein soll. Nun sollen
sie nur Sänger und Schauspieler dazu machen und ein genügsames Publicum,
das nicht unvernünftig Unbedingtes verlangt. Es ist des Stümpers Sache,
sagt Kottwitz im Prinzen von Homburg, das Vollkommene leisten und ver¬
langen zu wollen, und ein gutes Publicum zeigt sich nicht im Schmähen und
Schlechtsinden, sondern im Gutfinden, im Finden des Guten unter dem Ge¬
ringen. Zum Nichtgutfinden des Mangelhaften gehört sehr wenig und man
setzt seine Kritik sehr tief, wenn man dabei stehen bleibt und sich darin ge¬
fällt; sich wohl noch auf den hohen Standpunkt etwas einbildet. So ist
mir auch der neuere musikalische Recensententon sehr zuwider, der uns in
Allem und Jedem belehren will, und bringt doch nirgends die Beglaubigung,
daß er's um so viel besser weiß; das sollen wir ihm auf's Wort glauben.
Wenn Einer lobt, wird jeder, den's betrifft, einen Zweifel nicht haben, daß
der Kritiker es versteht. Das muß der Betreffende aber auch beim Tadel
zugeben können. Es sind wenige, die wie Lichtender«, bei einer schmähenden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0156" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123776"/>
            <p xml:id="ID_462" prev="#ID_461"> den Rossini gering geachtet, ja wie er ihm durch und durch unausstehlich<lb/>
war. Das ist nun eben Webers schwache Seite und wie ein Paar Reim¬<lb/>
zeilen beim Dichter Logan sagen: &#x201E;Leser, wie gefall ich Dir? &#x2014; Leser, wie gefällst<lb/>
Du mir? &#x2014;" so kann das Letztere auch Rossini zum Weber fragen. Wo<lb/>
Rossinis Stärke, ist gerade Webers Schwäche: in der Ganzheit, in der Zu¬<lb/>
sammengehörigkeit der Theile, daß Hofmann schon sagte, Weber wisse so oft<lb/>
zu seinen melodischen Vordersätzen den Nachsatz nicht zu finden. Ich glaube,<lb/>
daß Rossini vielmehr das Positive, das Gute von Weber zu erkennen und<lb/>
zu schätzen gewußt hat, als Weber das Positive im Rossini zu erkennen<lb/>
wußte. Man wird Webers Geniales nicht verkennen; er hat manches frische<lb/>
Element in die neue Musik gebracht.  Es ist hier nicht von Motiven und<lb/>
vom musikalischen Charakter die Rede, sondern von musikalischer Architektonik.<lb/>
Da stehen manche über ihm, die er unter sich glaubt. Und wie das, dem<lb/>
Gesammtbegriffe nach, dem Harmonischen adäquat ist, so ist bei ihm auch<lb/>
eben dieses nicht das Durchgebildete an seiner Musik und kommt dabei wohl<lb/>
auch Dilettantisches vor.  Meherbeer. ein Mitschüler M. Webers, hat das<lb/>
harmonisch Ungründliche seines Lehrers Vogler viel gründlicher beseitigt als<lb/>
Weber.  Die gewissen H Harmonien ist man bei Weber nicht ganz los.<lb/>
Meyerbeer ist mit seiner Oper noch durch die italienische Schule gegangen.</p><lb/>
            <note type="bibl"> M. H.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_463"> Leipzig, den 27. December 1864.</p><lb/>
            <note type="salute"> Lieber Wehner!</note><lb/>
            <p xml:id="ID_464" next="#ID_465"> .........Dem Museum gegenüber steigt jetzt auch der<lb/>
neue Theaterbau herauf, der in 2&#x2014;3 Jahren vollendet sein soll. Nun sollen<lb/>
sie nur Sänger und Schauspieler dazu machen und ein genügsames Publicum,<lb/>
das nicht unvernünftig Unbedingtes verlangt. Es ist des Stümpers Sache,<lb/>
sagt Kottwitz im Prinzen von Homburg, das Vollkommene leisten und ver¬<lb/>
langen zu wollen, und ein gutes Publicum zeigt sich nicht im Schmähen und<lb/>
Schlechtsinden, sondern im Gutfinden, im Finden des Guten unter dem Ge¬<lb/>
ringen. Zum Nichtgutfinden des Mangelhaften gehört sehr wenig und man<lb/>
setzt seine Kritik sehr tief, wenn man dabei stehen bleibt und sich darin ge¬<lb/>
fällt; sich wohl noch auf den hohen Standpunkt etwas einbildet. So ist<lb/>
mir auch der neuere musikalische Recensententon sehr zuwider, der uns in<lb/>
Allem und Jedem belehren will, und bringt doch nirgends die Beglaubigung,<lb/>
daß er's um so viel besser weiß; das sollen wir ihm auf's Wort glauben.<lb/>
Wenn Einer lobt, wird jeder, den's betrifft, einen Zweifel nicht haben, daß<lb/>
der Kritiker es versteht. Das muß der Betreffende aber auch beim Tadel<lb/>
zugeben können.  Es sind wenige, die wie Lichtender«, bei einer schmähenden</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0156] den Rossini gering geachtet, ja wie er ihm durch und durch unausstehlich war. Das ist nun eben Webers schwache Seite und wie ein Paar Reim¬ zeilen beim Dichter Logan sagen: „Leser, wie gefall ich Dir? — Leser, wie gefällst Du mir? —" so kann das Letztere auch Rossini zum Weber fragen. Wo Rossinis Stärke, ist gerade Webers Schwäche: in der Ganzheit, in der Zu¬ sammengehörigkeit der Theile, daß Hofmann schon sagte, Weber wisse so oft zu seinen melodischen Vordersätzen den Nachsatz nicht zu finden. Ich glaube, daß Rossini vielmehr das Positive, das Gute von Weber zu erkennen und zu schätzen gewußt hat, als Weber das Positive im Rossini zu erkennen wußte. Man wird Webers Geniales nicht verkennen; er hat manches frische Element in die neue Musik gebracht. Es ist hier nicht von Motiven und vom musikalischen Charakter die Rede, sondern von musikalischer Architektonik. Da stehen manche über ihm, die er unter sich glaubt. Und wie das, dem Gesammtbegriffe nach, dem Harmonischen adäquat ist, so ist bei ihm auch eben dieses nicht das Durchgebildete an seiner Musik und kommt dabei wohl auch Dilettantisches vor. Meherbeer. ein Mitschüler M. Webers, hat das harmonisch Ungründliche seines Lehrers Vogler viel gründlicher beseitigt als Weber. Die gewissen H Harmonien ist man bei Weber nicht ganz los. Meyerbeer ist mit seiner Oper noch durch die italienische Schule gegangen. M. H. Leipzig, den 27. December 1864. Lieber Wehner! .........Dem Museum gegenüber steigt jetzt auch der neue Theaterbau herauf, der in 2—3 Jahren vollendet sein soll. Nun sollen sie nur Sänger und Schauspieler dazu machen und ein genügsames Publicum, das nicht unvernünftig Unbedingtes verlangt. Es ist des Stümpers Sache, sagt Kottwitz im Prinzen von Homburg, das Vollkommene leisten und ver¬ langen zu wollen, und ein gutes Publicum zeigt sich nicht im Schmähen und Schlechtsinden, sondern im Gutfinden, im Finden des Guten unter dem Ge¬ ringen. Zum Nichtgutfinden des Mangelhaften gehört sehr wenig und man setzt seine Kritik sehr tief, wenn man dabei stehen bleibt und sich darin ge¬ fällt; sich wohl noch auf den hohen Standpunkt etwas einbildet. So ist mir auch der neuere musikalische Recensententon sehr zuwider, der uns in Allem und Jedem belehren will, und bringt doch nirgends die Beglaubigung, daß er's um so viel besser weiß; das sollen wir ihm auf's Wort glauben. Wenn Einer lobt, wird jeder, den's betrifft, einen Zweifel nicht haben, daß der Kritiker es versteht. Das muß der Betreffende aber auch beim Tadel zugeben können. Es sind wenige, die wie Lichtender«, bei einer schmähenden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/156
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/156>, abgerufen am 01.09.2024.