Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

norirt werden. Es ist gut für solche, die meinen, jede Meinung habe eine
Berechtigung, für solche, die immer der Meinung des letzten Buches find,
das sie gelesen haben, weil sie zu der einen Vernünftigkeit einer Sache nicht
gelangen können, die verschiedene und entgegengesetzte Meinung nicht mehr
zuläßt. Es ist in der Architektur mit solchen Verirrungen noch schlimmer,
als in der Musik. Die Partitur einer Musik, die nach unwahrem Princip
componirt ist, wird früher oder später helfen gelegt -- was nicht wahr ist,
wird keine Dauer haben, ein Publikum läßt sich blenden, die Menschheit im
Ganzen nicht. Ein schlechtes Gebäude aber bleibt stehen, es wird nicht abge¬
tragen, weil es ästhetisch schlecht ist. Man wird es später nicht recht finden,
aber das Auge gewöhnt sich daran und das ist schlimm; man hat viel mehr
Schlechtes als Gutes vor Augen, wie kann sich da der Sinn für's Gute
bilden und erhalten. Man findet auch für keine Kunst weniger natürlich ge¬
sundes Urtheil, als für die Architektur. Ein Haus mit Säulen heißt ein
schönes Haus. In Petersburg gibt es eine Hauptstraße, die Alexander-
Newsky- Perspective, wo es Baureglement ist, daß kein Haus ohne Por¬
phyrsäulen gebaut werden darf, -- damit es lauter "schöne Häuser" gebe.
Und doch ist's grade doppelt schwer ein Haus, auch ein vornehmes, mit
Säulen schön zu bauen, wenn die Facade vernünftiges Aeußere eines Innern
sein soll. Daß das Baumaterial am Idealen des Baues Antheil und Be¬
deutung habe, fällt dilettantischen Aesthetikern gar nicht ein und sie würden
es auch nicht zugeben, wollte man es ihnen beizubringen suchen; sie haben
ihren Geschmack, darnach Alles sein soll; nach den Bedingungen, wie etwas
natürlich sein kann, ist keine Frage. Die Angemessenheit des Ausdruckes
zu den Mitteln ist das, was ich recht eigentlich Styl nennen mag, ' --
in der technisch-ästhetischen Sphäre -- in der weiteren zum Gegenstande.
Darum wird es in der Musik einen Symphoniestyl, einen Quartettstyl, einen
Styl für Chorgesang und so für jede Musikgattung geben, aber nicht einen
Mozart- -- Bach- -- Beethoven'schen Styl; was einen Meister kenntlich macht
vor anderen, ist immer Manier, ist etwas Individuelles, dem kein Individu¬
um sich entziehen kann. Auch Goethe wird Manier haben, er hat aber auch
Styl, nicht goethischen Styl, sondern der Dinge, die er dargestellt. Das
kommt, daß er aus dem Realen in's Ideale dichtet, wie Merk schon in
früher Jugend zu ihm sagt: "Dein Bestreben, deine unablenkbare Richtung
ist dem Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben, die Andern
suchen das sogenannte Poetische, das Imaginative zu verwirklichen, und das
gibt nichts wie dummes Zeug!" Dahin gehört auch Goethes eigenes Wort:
-- "Jeder sei Grieche auf seine Art, aber er sei es!" -- Man wird aber
mit solchen Worten viel mißverstanden; sagt man Griechen, so glauben die
Leute, man meine Säulen und Hexameter, und man meint doch nur Wahr-


norirt werden. Es ist gut für solche, die meinen, jede Meinung habe eine
Berechtigung, für solche, die immer der Meinung des letzten Buches find,
das sie gelesen haben, weil sie zu der einen Vernünftigkeit einer Sache nicht
gelangen können, die verschiedene und entgegengesetzte Meinung nicht mehr
zuläßt. Es ist in der Architektur mit solchen Verirrungen noch schlimmer,
als in der Musik. Die Partitur einer Musik, die nach unwahrem Princip
componirt ist, wird früher oder später helfen gelegt — was nicht wahr ist,
wird keine Dauer haben, ein Publikum läßt sich blenden, die Menschheit im
Ganzen nicht. Ein schlechtes Gebäude aber bleibt stehen, es wird nicht abge¬
tragen, weil es ästhetisch schlecht ist. Man wird es später nicht recht finden,
aber das Auge gewöhnt sich daran und das ist schlimm; man hat viel mehr
Schlechtes als Gutes vor Augen, wie kann sich da der Sinn für's Gute
bilden und erhalten. Man findet auch für keine Kunst weniger natürlich ge¬
sundes Urtheil, als für die Architektur. Ein Haus mit Säulen heißt ein
schönes Haus. In Petersburg gibt es eine Hauptstraße, die Alexander-
Newsky- Perspective, wo es Baureglement ist, daß kein Haus ohne Por¬
phyrsäulen gebaut werden darf, — damit es lauter „schöne Häuser" gebe.
Und doch ist's grade doppelt schwer ein Haus, auch ein vornehmes, mit
Säulen schön zu bauen, wenn die Facade vernünftiges Aeußere eines Innern
sein soll. Daß das Baumaterial am Idealen des Baues Antheil und Be¬
deutung habe, fällt dilettantischen Aesthetikern gar nicht ein und sie würden
es auch nicht zugeben, wollte man es ihnen beizubringen suchen; sie haben
ihren Geschmack, darnach Alles sein soll; nach den Bedingungen, wie etwas
natürlich sein kann, ist keine Frage. Die Angemessenheit des Ausdruckes
zu den Mitteln ist das, was ich recht eigentlich Styl nennen mag, ' —
in der technisch-ästhetischen Sphäre — in der weiteren zum Gegenstande.
Darum wird es in der Musik einen Symphoniestyl, einen Quartettstyl, einen
Styl für Chorgesang und so für jede Musikgattung geben, aber nicht einen
Mozart- — Bach- — Beethoven'schen Styl; was einen Meister kenntlich macht
vor anderen, ist immer Manier, ist etwas Individuelles, dem kein Individu¬
um sich entziehen kann. Auch Goethe wird Manier haben, er hat aber auch
Styl, nicht goethischen Styl, sondern der Dinge, die er dargestellt. Das
kommt, daß er aus dem Realen in's Ideale dichtet, wie Merk schon in
früher Jugend zu ihm sagt: „Dein Bestreben, deine unablenkbare Richtung
ist dem Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben, die Andern
suchen das sogenannte Poetische, das Imaginative zu verwirklichen, und das
gibt nichts wie dummes Zeug!" Dahin gehört auch Goethes eigenes Wort:
— „Jeder sei Grieche auf seine Art, aber er sei es!" — Man wird aber
mit solchen Worten viel mißverstanden; sagt man Griechen, so glauben die
Leute, man meine Säulen und Hexameter, und man meint doch nur Wahr-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0152" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123772"/>
            <p xml:id="ID_454" prev="#ID_453" next="#ID_455"> norirt werden. Es ist gut für solche, die meinen, jede Meinung habe eine<lb/>
Berechtigung, für solche, die immer der Meinung des letzten Buches find,<lb/>
das sie gelesen haben, weil sie zu der einen Vernünftigkeit einer Sache nicht<lb/>
gelangen können, die verschiedene und entgegengesetzte Meinung nicht mehr<lb/>
zuläßt.  Es ist in der Architektur mit solchen Verirrungen noch schlimmer,<lb/>
als in der Musik. Die Partitur einer Musik, die nach unwahrem Princip<lb/>
componirt ist, wird früher oder später helfen gelegt &#x2014; was nicht wahr ist,<lb/>
wird keine Dauer haben, ein Publikum läßt sich blenden, die Menschheit im<lb/>
Ganzen nicht.  Ein schlechtes Gebäude aber bleibt stehen, es wird nicht abge¬<lb/>
tragen, weil es ästhetisch schlecht ist.  Man wird es später nicht recht finden,<lb/>
aber das Auge gewöhnt sich daran und das ist schlimm; man hat viel mehr<lb/>
Schlechtes als Gutes vor Augen, wie kann sich da der Sinn für's Gute<lb/>
bilden und erhalten. Man findet auch für keine Kunst weniger natürlich ge¬<lb/>
sundes Urtheil, als für die Architektur.  Ein Haus mit Säulen heißt ein<lb/>
schönes Haus.  In Petersburg gibt es eine Hauptstraße, die Alexander-<lb/>
Newsky- Perspective, wo es Baureglement ist, daß kein Haus ohne Por¬<lb/>
phyrsäulen gebaut werden darf, &#x2014; damit es lauter &#x201E;schöne Häuser" gebe.<lb/>
Und doch ist's grade doppelt schwer ein Haus, auch ein vornehmes, mit<lb/>
Säulen schön zu bauen, wenn die Facade vernünftiges Aeußere eines Innern<lb/>
sein soll. Daß das Baumaterial am Idealen des Baues Antheil und Be¬<lb/>
deutung habe, fällt dilettantischen Aesthetikern gar nicht ein und sie würden<lb/>
es auch nicht zugeben, wollte man es ihnen beizubringen suchen; sie haben<lb/>
ihren Geschmack, darnach Alles sein soll; nach den Bedingungen, wie etwas<lb/>
natürlich sein kann, ist keine Frage. Die Angemessenheit des Ausdruckes<lb/>
zu den Mitteln ist das, was ich recht eigentlich Styl nennen mag, ' &#x2014;<lb/>
in der technisch-ästhetischen Sphäre &#x2014; in der weiteren zum Gegenstande.<lb/>
Darum wird es in der Musik einen Symphoniestyl, einen Quartettstyl, einen<lb/>
Styl für Chorgesang und so für jede Musikgattung geben, aber nicht einen<lb/>
Mozart- &#x2014; Bach- &#x2014; Beethoven'schen Styl; was einen Meister kenntlich macht<lb/>
vor anderen, ist immer Manier, ist etwas Individuelles, dem kein Individu¬<lb/>
um sich entziehen kann. Auch Goethe wird Manier haben, er hat aber auch<lb/>
Styl, nicht goethischen Styl, sondern der Dinge, die er dargestellt. Das<lb/>
kommt, daß er aus dem Realen in's Ideale dichtet, wie Merk schon in<lb/>
früher Jugend zu ihm sagt: &#x201E;Dein Bestreben, deine unablenkbare Richtung<lb/>
ist dem Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben, die Andern<lb/>
suchen das sogenannte Poetische, das Imaginative zu verwirklichen, und das<lb/>
gibt nichts wie dummes Zeug!"  Dahin gehört auch Goethes eigenes Wort:<lb/>
&#x2014; &#x201E;Jeder sei Grieche auf seine Art, aber er sei es!" &#x2014; Man wird aber<lb/>
mit solchen Worten viel mißverstanden; sagt man Griechen, so glauben die<lb/>
Leute, man meine Säulen und Hexameter, und man meint doch nur Wahr-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0152] norirt werden. Es ist gut für solche, die meinen, jede Meinung habe eine Berechtigung, für solche, die immer der Meinung des letzten Buches find, das sie gelesen haben, weil sie zu der einen Vernünftigkeit einer Sache nicht gelangen können, die verschiedene und entgegengesetzte Meinung nicht mehr zuläßt. Es ist in der Architektur mit solchen Verirrungen noch schlimmer, als in der Musik. Die Partitur einer Musik, die nach unwahrem Princip componirt ist, wird früher oder später helfen gelegt — was nicht wahr ist, wird keine Dauer haben, ein Publikum läßt sich blenden, die Menschheit im Ganzen nicht. Ein schlechtes Gebäude aber bleibt stehen, es wird nicht abge¬ tragen, weil es ästhetisch schlecht ist. Man wird es später nicht recht finden, aber das Auge gewöhnt sich daran und das ist schlimm; man hat viel mehr Schlechtes als Gutes vor Augen, wie kann sich da der Sinn für's Gute bilden und erhalten. Man findet auch für keine Kunst weniger natürlich ge¬ sundes Urtheil, als für die Architektur. Ein Haus mit Säulen heißt ein schönes Haus. In Petersburg gibt es eine Hauptstraße, die Alexander- Newsky- Perspective, wo es Baureglement ist, daß kein Haus ohne Por¬ phyrsäulen gebaut werden darf, — damit es lauter „schöne Häuser" gebe. Und doch ist's grade doppelt schwer ein Haus, auch ein vornehmes, mit Säulen schön zu bauen, wenn die Facade vernünftiges Aeußere eines Innern sein soll. Daß das Baumaterial am Idealen des Baues Antheil und Be¬ deutung habe, fällt dilettantischen Aesthetikern gar nicht ein und sie würden es auch nicht zugeben, wollte man es ihnen beizubringen suchen; sie haben ihren Geschmack, darnach Alles sein soll; nach den Bedingungen, wie etwas natürlich sein kann, ist keine Frage. Die Angemessenheit des Ausdruckes zu den Mitteln ist das, was ich recht eigentlich Styl nennen mag, ' — in der technisch-ästhetischen Sphäre — in der weiteren zum Gegenstande. Darum wird es in der Musik einen Symphoniestyl, einen Quartettstyl, einen Styl für Chorgesang und so für jede Musikgattung geben, aber nicht einen Mozart- — Bach- — Beethoven'schen Styl; was einen Meister kenntlich macht vor anderen, ist immer Manier, ist etwas Individuelles, dem kein Individu¬ um sich entziehen kann. Auch Goethe wird Manier haben, er hat aber auch Styl, nicht goethischen Styl, sondern der Dinge, die er dargestellt. Das kommt, daß er aus dem Realen in's Ideale dichtet, wie Merk schon in früher Jugend zu ihm sagt: „Dein Bestreben, deine unablenkbare Richtung ist dem Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben, die Andern suchen das sogenannte Poetische, das Imaginative zu verwirklichen, und das gibt nichts wie dummes Zeug!" Dahin gehört auch Goethes eigenes Wort: — „Jeder sei Grieche auf seine Art, aber er sei es!" — Man wird aber mit solchen Worten viel mißverstanden; sagt man Griechen, so glauben die Leute, man meine Säulen und Hexameter, und man meint doch nur Wahr-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/152
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/152>, abgerufen am 18.12.2024.