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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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stand des Hanauer Landgerichts?, zum Schultheiß desselben, überreicht ihm
Abschrift der aufgenommenen Urkunde und bezeugt, daß dabei Appel um
eine Bescheinigng über die stattgehabten Berufungsanzeige gebeten habe; der
Schultheis verspricht dem Gerichte davon Mittheilung zu machen. Hiernach
zieht der Notar mit zwei Zeugen nach Hochstadt in des Klägers Haus und
eröffnet dem Kläger im Beisein Appels, daß letzterer appellirt habe. Das
Nöthige hierüber schreibt er auf die Rückseite des Originalpergaments und
übergibt es dem Appellanten, dem es nun obliegt, mit dem Kaiser und dem
Kammergericht sich in Beziehung zu setzen. Zu diesem Zwecke hat er zunächst
einen Anwalt zu wählen" Die Vollmachtsurkunde stellt ihm wieder der
Pastor von Rumpenheim. diesmal bei der Pfarrkirche zu Hochstadt in Gegen¬
wart eines Priesters und eines Laien von Hochstadt, aus (unterm 30. Juni
1491). Da damals der Kaiser in Oestreich war und folgeweise auch dort
sein Kammergericht hielt, muß auch ein Anwalt in Oestreich gewählt werden.
Alle Anwälte der römischen Kammer waren römischgebildete Juristen, alle
sogar Liceneiaten oder Doctoren beider Rechte. Unbekannt mit dem deutschen
und nur groß gezogen in dem römischen Rechte, das ihnen als das allge¬
meine und damit auch als das deutsche Recht überliefert wurde, war es
ihre -- wenn auch unbewußte -- Aufgabe, den von den deutschen Unter¬
gerichten gebrachten deutschen Rechtsstoff umzumodeln und zuzustutzen nach
römischer Manier. Die Parteien verstanden nicht und wußten nicht, was
mit ihrem Processe geschah; gebunden überlieferten sie sich den römischen
Doctoren. Was diese zurecht dräueten, darüber hatte das Kammergericht zu
entscheiden, nicht über das, worüber in Wahrheit die Parteien streitig waren.
Gerade die erste Zeit des Reichskammergerichts war diejenige, in welcher das
römische Recht unser deutsches Recht in den weltlichen Gerichten am ärgsten be¬
drängte. Der Gegensatz beider Rechte tritt besonders scharf in unserm Processe
vor, der vor dem Hanauer Untergericht noch ganz in schlichtem deutschem
Gewand, vor dem Reichskammergericht aber bereits auf hohem römischem
Kothurne sich bewegt.

Seinem Anwälte Dr. Peter Gamp hatte Appel bereits im Jahre 1491
die Vollmacht nebst 20 Fi. Kostenvorschuß, (also fast ebensoviel wie das
Streitobjekt) nach Oestreich überschickt. Gamp beantragte auch bei Kaiser
Friedrich, den Kläger Kauf vor sich zu entbieten und der Kaiser befahl
unterm 29. Februar 1492 von Linz aus, daß Kauf vor ihm oder vor dem,
welchem er das an seiner Statt befehlen werde, wo er dann zumal im Reiche
sein werde, auf den 45. Tag*) nach Empfang der Ladung, oder wenn der



") Die Frist von 4S Tagen ist ein -- also damals auch noch beim Reichskammergericht
bewahrtes -- Recht ans uralter deutscher Zeit. Bekannter ist diese Frist unter dein Ausdruck
,,K Wochen und drei Tage", in noch früherer Zeit unter dem Ausdruck "3 Vicrzehnnächte",
Nach germanischer Auffassung leitet die Nacht den Tag ein (nox ane-it alsen.)

stand des Hanauer Landgerichts?, zum Schultheiß desselben, überreicht ihm
Abschrift der aufgenommenen Urkunde und bezeugt, daß dabei Appel um
eine Bescheinigng über die stattgehabten Berufungsanzeige gebeten habe; der
Schultheis verspricht dem Gerichte davon Mittheilung zu machen. Hiernach
zieht der Notar mit zwei Zeugen nach Hochstadt in des Klägers Haus und
eröffnet dem Kläger im Beisein Appels, daß letzterer appellirt habe. Das
Nöthige hierüber schreibt er auf die Rückseite des Originalpergaments und
übergibt es dem Appellanten, dem es nun obliegt, mit dem Kaiser und dem
Kammergericht sich in Beziehung zu setzen. Zu diesem Zwecke hat er zunächst
einen Anwalt zu wählen» Die Vollmachtsurkunde stellt ihm wieder der
Pastor von Rumpenheim. diesmal bei der Pfarrkirche zu Hochstadt in Gegen¬
wart eines Priesters und eines Laien von Hochstadt, aus (unterm 30. Juni
1491). Da damals der Kaiser in Oestreich war und folgeweise auch dort
sein Kammergericht hielt, muß auch ein Anwalt in Oestreich gewählt werden.
Alle Anwälte der römischen Kammer waren römischgebildete Juristen, alle
sogar Liceneiaten oder Doctoren beider Rechte. Unbekannt mit dem deutschen
und nur groß gezogen in dem römischen Rechte, das ihnen als das allge¬
meine und damit auch als das deutsche Recht überliefert wurde, war es
ihre — wenn auch unbewußte — Aufgabe, den von den deutschen Unter¬
gerichten gebrachten deutschen Rechtsstoff umzumodeln und zuzustutzen nach
römischer Manier. Die Parteien verstanden nicht und wußten nicht, was
mit ihrem Processe geschah; gebunden überlieferten sie sich den römischen
Doctoren. Was diese zurecht dräueten, darüber hatte das Kammergericht zu
entscheiden, nicht über das, worüber in Wahrheit die Parteien streitig waren.
Gerade die erste Zeit des Reichskammergerichts war diejenige, in welcher das
römische Recht unser deutsches Recht in den weltlichen Gerichten am ärgsten be¬
drängte. Der Gegensatz beider Rechte tritt besonders scharf in unserm Processe
vor, der vor dem Hanauer Untergericht noch ganz in schlichtem deutschem
Gewand, vor dem Reichskammergericht aber bereits auf hohem römischem
Kothurne sich bewegt.

Seinem Anwälte Dr. Peter Gamp hatte Appel bereits im Jahre 1491
die Vollmacht nebst 20 Fi. Kostenvorschuß, (also fast ebensoviel wie das
Streitobjekt) nach Oestreich überschickt. Gamp beantragte auch bei Kaiser
Friedrich, den Kläger Kauf vor sich zu entbieten und der Kaiser befahl
unterm 29. Februar 1492 von Linz aus, daß Kauf vor ihm oder vor dem,
welchem er das an seiner Statt befehlen werde, wo er dann zumal im Reiche
sein werde, auf den 45. Tag*) nach Empfang der Ladung, oder wenn der



") Die Frist von 4S Tagen ist ein — also damals auch noch beim Reichskammergericht
bewahrtes — Recht ans uralter deutscher Zeit. Bekannter ist diese Frist unter dein Ausdruck
,,K Wochen und drei Tage", in noch früherer Zeit unter dem Ausdruck „3 Vicrzehnnächte",
Nach germanischer Auffassung leitet die Nacht den Tag ein (nox ane-it alsen.)
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[0139] stand des Hanauer Landgerichts?, zum Schultheiß desselben, überreicht ihm Abschrift der aufgenommenen Urkunde und bezeugt, daß dabei Appel um eine Bescheinigng über die stattgehabten Berufungsanzeige gebeten habe; der Schultheis verspricht dem Gerichte davon Mittheilung zu machen. Hiernach zieht der Notar mit zwei Zeugen nach Hochstadt in des Klägers Haus und eröffnet dem Kläger im Beisein Appels, daß letzterer appellirt habe. Das Nöthige hierüber schreibt er auf die Rückseite des Originalpergaments und übergibt es dem Appellanten, dem es nun obliegt, mit dem Kaiser und dem Kammergericht sich in Beziehung zu setzen. Zu diesem Zwecke hat er zunächst einen Anwalt zu wählen» Die Vollmachtsurkunde stellt ihm wieder der Pastor von Rumpenheim. diesmal bei der Pfarrkirche zu Hochstadt in Gegen¬ wart eines Priesters und eines Laien von Hochstadt, aus (unterm 30. Juni 1491). Da damals der Kaiser in Oestreich war und folgeweise auch dort sein Kammergericht hielt, muß auch ein Anwalt in Oestreich gewählt werden. Alle Anwälte der römischen Kammer waren römischgebildete Juristen, alle sogar Liceneiaten oder Doctoren beider Rechte. Unbekannt mit dem deutschen und nur groß gezogen in dem römischen Rechte, das ihnen als das allge¬ meine und damit auch als das deutsche Recht überliefert wurde, war es ihre — wenn auch unbewußte — Aufgabe, den von den deutschen Unter¬ gerichten gebrachten deutschen Rechtsstoff umzumodeln und zuzustutzen nach römischer Manier. Die Parteien verstanden nicht und wußten nicht, was mit ihrem Processe geschah; gebunden überlieferten sie sich den römischen Doctoren. Was diese zurecht dräueten, darüber hatte das Kammergericht zu entscheiden, nicht über das, worüber in Wahrheit die Parteien streitig waren. Gerade die erste Zeit des Reichskammergerichts war diejenige, in welcher das römische Recht unser deutsches Recht in den weltlichen Gerichten am ärgsten be¬ drängte. Der Gegensatz beider Rechte tritt besonders scharf in unserm Processe vor, der vor dem Hanauer Untergericht noch ganz in schlichtem deutschem Gewand, vor dem Reichskammergericht aber bereits auf hohem römischem Kothurne sich bewegt. Seinem Anwälte Dr. Peter Gamp hatte Appel bereits im Jahre 1491 die Vollmacht nebst 20 Fi. Kostenvorschuß, (also fast ebensoviel wie das Streitobjekt) nach Oestreich überschickt. Gamp beantragte auch bei Kaiser Friedrich, den Kläger Kauf vor sich zu entbieten und der Kaiser befahl unterm 29. Februar 1492 von Linz aus, daß Kauf vor ihm oder vor dem, welchem er das an seiner Statt befehlen werde, wo er dann zumal im Reiche sein werde, auf den 45. Tag*) nach Empfang der Ladung, oder wenn der ") Die Frist von 4S Tagen ist ein — also damals auch noch beim Reichskammergericht bewahrtes — Recht ans uralter deutscher Zeit. Bekannter ist diese Frist unter dein Ausdruck ,,K Wochen und drei Tage", in noch früherer Zeit unter dem Ausdruck „3 Vicrzehnnächte", Nach germanischer Auffassung leitet die Nacht den Tag ein (nox ane-it alsen.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/139>, abgerufen am 27.07.2024.