Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.nicht mehr rückgängig zu machen; aber der Hauptverlust der letzten 22 Jahre Es ist keine leichte und bequeme Aufgabe, das Versäumte vieler Jahr¬ ? nicht mehr rückgängig zu machen; aber der Hauptverlust der letzten 22 Jahre Es ist keine leichte und bequeme Aufgabe, das Versäumte vieler Jahr¬ ? <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0130" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123750"/> <p xml:id="ID_396" prev="#ID_395"> nicht mehr rückgängig zu machen; aber der Hauptverlust der letzten 22 Jahre<lb/> ist für die kaiserliche Regierung, daß auf unserer Seite der Leitha das deutsche<lb/> Element seine Kraft zu colonisiren und die fremden Stämme mit sich zu<lb/> verbinden, vorläufig ganz verloren hat. Wie die alte Staatsidee ist auch<lb/> die deutsche Nationalität überall im Rückschritt, im Littorale, in Welschtirol,<lb/> in Kärnthen, in Krain, in Böhmen und Mähren, von Krakau und Gallizien<lb/> ganz zu geschweigen. Hier kann gegenwärtig nur ein aufgeklärter Despotis¬<lb/> mus helfen. Alles parlamentarische Leben des Gesammtstaats wird zur<lb/> Carricatur, so lange die Grundlage dafür fehlt, eine Bevölkerung, welche den<lb/> Segen des Staates warm empfindet. Deshalb ist für Oestreich nicht der<lb/> Verfafsungsapparat die Hauptsache, sondern eine straffe und intelligente Ver¬<lb/> waltung, welche in den einzelnen Landschaften mit Nachdruck die Interessen<lb/> des Staates vertritt, jedem Volksthum seine Volksschule läßt, für alle höheren<lb/> Anstalten den deutschen Unterricht obligatorisch macht, welche dem Gesetz un¬<lb/> erbittlichen Gehorsam erzwingt und mit eiserner Festigkeit jede Auflehnung<lb/> und jede Conspiration verdorbener Agitatoren niederschlägt; welche aber zu<lb/> gleicher Zeit nicht in der talentlosen und beschränkten Aristokratie ihre Stützen<lb/> sucht, sondern in einer festen liberalen Haltung gegenüber den Pfaffen und<lb/> den Intriguanten des Hofes. Oestreichs ältestes Unglück ist die Schlaffheit<lb/> und Unsicherheit seiner Beamten und Graf Beust ist der letzte Mann, um<lb/> dieses Grundübel zu bessern. Wenn man an Stelle dieses Fremden einen<lb/> populären Soldaten, etwa den Admiral Tegethoff zum Ministerpräsidenten<lb/> 'macht und wenn man sich nicht scheut vor vorübergehenden Ausnahmezu¬<lb/> ständen und vor gewaltsamen Niederschlagen des Hochverraths, welcher be¬<lb/> reits mit erschreckender Dreistigkeit sein Haupt erhebt, dann wird die Regie¬<lb/> rung, wenn das erste Mißtrauen der Deutschen überwunden ist, sehr bald in<lb/> der Bevölkerung der alten Stammlande wieder die Zuversicht und das Zu¬<lb/> trauen zum Staat, den letzten Quell jeder Kraftentwickelung, entstehen sehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_397"> Es ist keine leichte und bequeme Aufgabe, das Versäumte vieler Jahr¬<lb/> zehnte wieder gut zu machen. Aber für Oestreich und für uns Deutsche liegt<lb/> die Sache so; wenn nicht eine neue Energie in Verwaltung der Provin¬<lb/> zen den Separationsgelüsten steuert, so ist in 10 Jahren das unglückliche<lb/> Czechien mit Mähren verloren, nicht nur für deutsche Cultur, sondern für<lb/> das Kaiserhaus, und uns Deutschen vom Norden wird die Aufgabe an der<lb/> Moldau und in Böhmer-Wald die russische Suprematie und die Bundes¬<lb/> brüderschaft der Moskaner zu dämpfen. Und doch haben wir das wärmste<lb/> Intresse, als treue Bundesgenossen den Kaiserstaat zu schützen, solange er die<lb/> Grundlagen seiner irdischen Berechtigung und Macht, den Zusammenschluß<lb/> der Donauländer durch deutsche Cultur, nicht selbst vernichtet.</p><lb/> <note type="byline"> ?</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0130]
nicht mehr rückgängig zu machen; aber der Hauptverlust der letzten 22 Jahre
ist für die kaiserliche Regierung, daß auf unserer Seite der Leitha das deutsche
Element seine Kraft zu colonisiren und die fremden Stämme mit sich zu
verbinden, vorläufig ganz verloren hat. Wie die alte Staatsidee ist auch
die deutsche Nationalität überall im Rückschritt, im Littorale, in Welschtirol,
in Kärnthen, in Krain, in Böhmen und Mähren, von Krakau und Gallizien
ganz zu geschweigen. Hier kann gegenwärtig nur ein aufgeklärter Despotis¬
mus helfen. Alles parlamentarische Leben des Gesammtstaats wird zur
Carricatur, so lange die Grundlage dafür fehlt, eine Bevölkerung, welche den
Segen des Staates warm empfindet. Deshalb ist für Oestreich nicht der
Verfafsungsapparat die Hauptsache, sondern eine straffe und intelligente Ver¬
waltung, welche in den einzelnen Landschaften mit Nachdruck die Interessen
des Staates vertritt, jedem Volksthum seine Volksschule läßt, für alle höheren
Anstalten den deutschen Unterricht obligatorisch macht, welche dem Gesetz un¬
erbittlichen Gehorsam erzwingt und mit eiserner Festigkeit jede Auflehnung
und jede Conspiration verdorbener Agitatoren niederschlägt; welche aber zu
gleicher Zeit nicht in der talentlosen und beschränkten Aristokratie ihre Stützen
sucht, sondern in einer festen liberalen Haltung gegenüber den Pfaffen und
den Intriguanten des Hofes. Oestreichs ältestes Unglück ist die Schlaffheit
und Unsicherheit seiner Beamten und Graf Beust ist der letzte Mann, um
dieses Grundübel zu bessern. Wenn man an Stelle dieses Fremden einen
populären Soldaten, etwa den Admiral Tegethoff zum Ministerpräsidenten
'macht und wenn man sich nicht scheut vor vorübergehenden Ausnahmezu¬
ständen und vor gewaltsamen Niederschlagen des Hochverraths, welcher be¬
reits mit erschreckender Dreistigkeit sein Haupt erhebt, dann wird die Regie¬
rung, wenn das erste Mißtrauen der Deutschen überwunden ist, sehr bald in
der Bevölkerung der alten Stammlande wieder die Zuversicht und das Zu¬
trauen zum Staat, den letzten Quell jeder Kraftentwickelung, entstehen sehen.
Es ist keine leichte und bequeme Aufgabe, das Versäumte vieler Jahr¬
zehnte wieder gut zu machen. Aber für Oestreich und für uns Deutsche liegt
die Sache so; wenn nicht eine neue Energie in Verwaltung der Provin¬
zen den Separationsgelüsten steuert, so ist in 10 Jahren das unglückliche
Czechien mit Mähren verloren, nicht nur für deutsche Cultur, sondern für
das Kaiserhaus, und uns Deutschen vom Norden wird die Aufgabe an der
Moldau und in Böhmer-Wald die russische Suprematie und die Bundes¬
brüderschaft der Moskaner zu dämpfen. Und doch haben wir das wärmste
Intresse, als treue Bundesgenossen den Kaiserstaat zu schützen, solange er die
Grundlagen seiner irdischen Berechtigung und Macht, den Zusammenschluß
der Donauländer durch deutsche Cultur, nicht selbst vernichtet.
?
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |