Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hoffen davon Vortheil für sich, während die Großen wie die Kleinen nichts
mehr fürchten als Ordnung. Einheit und Oberleitung . . . Und ein so kläg¬
liches Reich sollte Frankreich gegenübertreten, dem Nachbar, der in Allem
sein gerades Gegentheil ist? einem blühenden, kraftvollen, geordneten Reich,
von einer fleißigen, monarchischen Bevölkerung bewohnt? Die Absicht Frank¬
reichs geht dahin, in Deutschland Meister zu sein, um die schiedsrichterliche
Stellung in Europa zu erlangen. Das geht nicht mit Gewalt, aber mit
Intriguen. Oeffentlich Haupt des Reichs zu sein, wie Franz I. gesucht, thut
sich nicht, also bleibt nur gewisser im Reich gemachter Allianzen und Fac¬
tionen heimlich Haupt zu sein. Solche Allianzen zu schmieden giebts viel
Prätexte und Occasionen, kein Prätext aber ist scheinbarer und universaler,
als der von der Garantie des Friedensinstruments genommene, mittelst dessen
Frankreich sich in alle des Reichs Sachen mischen kann. Ueberall ist es be¬
reit, beizuspringen als Garant, Custos und Erhalter des Friedens. Schon
jetzt ist an etlichen Orten eine französische Deputation mehr respectirt als der
Reichshofrath oder eine kaiserliche Commission. Die Weiber und das Geld
sind es, die allenthalben dem französischen Einfluß den Weg öffnen."

Was nun thun, wenn der Eintritt in die Tripelallianz nicht räthlich
ist, was thun, damit die Zeit benützt werde, um das Reich in eine conside-
rable Position zu versetzen? Leibniz führt hier einen Gedanken aus, der
dem Merundzwanzigjährigen alle Ehre macht. Mit den abgelebten Organen
des Reichs ist nichts anzufangen, so lautet seine Meinung, nur Particular-
bündnisse sind im Stande, eine wirklich deutsche Macht aufzurichten. Das
Einzige, was übrig bleibt, ist, daß wir uns selbst helfen, daß wir für uns
einen Grund legen, daß wir eine Particularunion gewisser considerabler, der
Gefahr nahesten oder des Reichs Angelegenheiten sich für andere annehmen¬
den Stände, das ist eine kleine Allianz machen. Wollten wir für die Besse¬
rung auf die Comitien (Reichstage) warten, so dürfte es lang werden. Denn
die Stände und Legaten können ja bekanntlich über die geringste Sache nicht
Eins werden, und überhaupt ist auf den Reichstagen mit ihrem Pomp und
Parade nichts auszurichten, wo über leeren Förmlichkeiten die Sache zu kurz
kommt. Zu geschweigen, daß nichts, das in Comitien beschlossen werden
soll, geheim gehalten werden kann. Daher gestalten Sachen nach eine öffent¬
liche Reformation der Republik und Konstitution, ein Reichsschatz, ein Reichs¬
heer. Reichsoberleitung für beständige Zeit, nicht zu hoffen steht. Es darf
aber dieser Hindernisse wegen der so wichtige Punkt der Sicherheit des
Reichs, daran seine Wohlfahrt hängt, nicht unerörtert bleiben. Wir würden
bei der Posterität diese schändliche Nachlässigkeit nicht verantworten können.
Ist derowegen auf andere Mittel zu denken nöthig, durch welche ohne Com-
movirung der Comitien, ohne Aenderung der äußerlichen Form der Nepu-


hoffen davon Vortheil für sich, während die Großen wie die Kleinen nichts
mehr fürchten als Ordnung. Einheit und Oberleitung . . . Und ein so kläg¬
liches Reich sollte Frankreich gegenübertreten, dem Nachbar, der in Allem
sein gerades Gegentheil ist? einem blühenden, kraftvollen, geordneten Reich,
von einer fleißigen, monarchischen Bevölkerung bewohnt? Die Absicht Frank¬
reichs geht dahin, in Deutschland Meister zu sein, um die schiedsrichterliche
Stellung in Europa zu erlangen. Das geht nicht mit Gewalt, aber mit
Intriguen. Oeffentlich Haupt des Reichs zu sein, wie Franz I. gesucht, thut
sich nicht, also bleibt nur gewisser im Reich gemachter Allianzen und Fac¬
tionen heimlich Haupt zu sein. Solche Allianzen zu schmieden giebts viel
Prätexte und Occasionen, kein Prätext aber ist scheinbarer und universaler,
als der von der Garantie des Friedensinstruments genommene, mittelst dessen
Frankreich sich in alle des Reichs Sachen mischen kann. Ueberall ist es be¬
reit, beizuspringen als Garant, Custos und Erhalter des Friedens. Schon
jetzt ist an etlichen Orten eine französische Deputation mehr respectirt als der
Reichshofrath oder eine kaiserliche Commission. Die Weiber und das Geld
sind es, die allenthalben dem französischen Einfluß den Weg öffnen."

Was nun thun, wenn der Eintritt in die Tripelallianz nicht räthlich
ist, was thun, damit die Zeit benützt werde, um das Reich in eine conside-
rable Position zu versetzen? Leibniz führt hier einen Gedanken aus, der
dem Merundzwanzigjährigen alle Ehre macht. Mit den abgelebten Organen
des Reichs ist nichts anzufangen, so lautet seine Meinung, nur Particular-
bündnisse sind im Stande, eine wirklich deutsche Macht aufzurichten. Das
Einzige, was übrig bleibt, ist, daß wir uns selbst helfen, daß wir für uns
einen Grund legen, daß wir eine Particularunion gewisser considerabler, der
Gefahr nahesten oder des Reichs Angelegenheiten sich für andere annehmen¬
den Stände, das ist eine kleine Allianz machen. Wollten wir für die Besse¬
rung auf die Comitien (Reichstage) warten, so dürfte es lang werden. Denn
die Stände und Legaten können ja bekanntlich über die geringste Sache nicht
Eins werden, und überhaupt ist auf den Reichstagen mit ihrem Pomp und
Parade nichts auszurichten, wo über leeren Förmlichkeiten die Sache zu kurz
kommt. Zu geschweigen, daß nichts, das in Comitien beschlossen werden
soll, geheim gehalten werden kann. Daher gestalten Sachen nach eine öffent¬
liche Reformation der Republik und Konstitution, ein Reichsschatz, ein Reichs¬
heer. Reichsoberleitung für beständige Zeit, nicht zu hoffen steht. Es darf
aber dieser Hindernisse wegen der so wichtige Punkt der Sicherheit des
Reichs, daran seine Wohlfahrt hängt, nicht unerörtert bleiben. Wir würden
bei der Posterität diese schändliche Nachlässigkeit nicht verantworten können.
Ist derowegen auf andere Mittel zu denken nöthig, durch welche ohne Com-
movirung der Comitien, ohne Aenderung der äußerlichen Form der Nepu-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123633"/>
          <p xml:id="ID_22" prev="#ID_21"> hoffen davon Vortheil für sich, während die Großen wie die Kleinen nichts<lb/>
mehr fürchten als Ordnung. Einheit und Oberleitung . . . Und ein so kläg¬<lb/>
liches Reich sollte Frankreich gegenübertreten, dem Nachbar, der in Allem<lb/>
sein gerades Gegentheil ist? einem blühenden, kraftvollen, geordneten Reich,<lb/>
von einer fleißigen, monarchischen Bevölkerung bewohnt? Die Absicht Frank¬<lb/>
reichs geht dahin, in Deutschland Meister zu sein, um die schiedsrichterliche<lb/>
Stellung in Europa zu erlangen. Das geht nicht mit Gewalt, aber mit<lb/>
Intriguen. Oeffentlich Haupt des Reichs zu sein, wie Franz I. gesucht, thut<lb/>
sich nicht, also bleibt nur gewisser im Reich gemachter Allianzen und Fac¬<lb/>
tionen heimlich Haupt zu sein. Solche Allianzen zu schmieden giebts viel<lb/>
Prätexte und Occasionen, kein Prätext aber ist scheinbarer und universaler,<lb/>
als der von der Garantie des Friedensinstruments genommene, mittelst dessen<lb/>
Frankreich sich in alle des Reichs Sachen mischen kann. Ueberall ist es be¬<lb/>
reit, beizuspringen als Garant, Custos und Erhalter des Friedens. Schon<lb/>
jetzt ist an etlichen Orten eine französische Deputation mehr respectirt als der<lb/>
Reichshofrath oder eine kaiserliche Commission. Die Weiber und das Geld<lb/>
sind es, die allenthalben dem französischen Einfluß den Weg öffnen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_23" next="#ID_24"> Was nun thun, wenn der Eintritt in die Tripelallianz nicht räthlich<lb/>
ist, was thun, damit die Zeit benützt werde, um das Reich in eine conside-<lb/>
rable Position zu versetzen? Leibniz führt hier einen Gedanken aus, der<lb/>
dem Merundzwanzigjährigen alle Ehre macht. Mit den abgelebten Organen<lb/>
des Reichs ist nichts anzufangen, so lautet seine Meinung, nur Particular-<lb/>
bündnisse sind im Stande, eine wirklich deutsche Macht aufzurichten. Das<lb/>
Einzige, was übrig bleibt, ist, daß wir uns selbst helfen, daß wir für uns<lb/>
einen Grund legen, daß wir eine Particularunion gewisser considerabler, der<lb/>
Gefahr nahesten oder des Reichs Angelegenheiten sich für andere annehmen¬<lb/>
den Stände, das ist eine kleine Allianz machen. Wollten wir für die Besse¬<lb/>
rung auf die Comitien (Reichstage) warten, so dürfte es lang werden. Denn<lb/>
die Stände und Legaten können ja bekanntlich über die geringste Sache nicht<lb/>
Eins werden, und überhaupt ist auf den Reichstagen mit ihrem Pomp und<lb/>
Parade nichts auszurichten, wo über leeren Förmlichkeiten die Sache zu kurz<lb/>
kommt. Zu geschweigen, daß nichts, das in Comitien beschlossen werden<lb/>
soll, geheim gehalten werden kann. Daher gestalten Sachen nach eine öffent¬<lb/>
liche Reformation der Republik und Konstitution, ein Reichsschatz, ein Reichs¬<lb/>
heer. Reichsoberleitung für beständige Zeit, nicht zu hoffen steht. Es darf<lb/>
aber dieser Hindernisse wegen der so wichtige Punkt der Sicherheit des<lb/>
Reichs, daran seine Wohlfahrt hängt, nicht unerörtert bleiben. Wir würden<lb/>
bei der Posterität diese schändliche Nachlässigkeit nicht verantworten können.<lb/>
Ist derowegen auf andere Mittel zu denken nöthig, durch welche ohne Com-<lb/>
movirung der Comitien, ohne Aenderung der äußerlichen Form der Nepu-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] hoffen davon Vortheil für sich, während die Großen wie die Kleinen nichts mehr fürchten als Ordnung. Einheit und Oberleitung . . . Und ein so kläg¬ liches Reich sollte Frankreich gegenübertreten, dem Nachbar, der in Allem sein gerades Gegentheil ist? einem blühenden, kraftvollen, geordneten Reich, von einer fleißigen, monarchischen Bevölkerung bewohnt? Die Absicht Frank¬ reichs geht dahin, in Deutschland Meister zu sein, um die schiedsrichterliche Stellung in Europa zu erlangen. Das geht nicht mit Gewalt, aber mit Intriguen. Oeffentlich Haupt des Reichs zu sein, wie Franz I. gesucht, thut sich nicht, also bleibt nur gewisser im Reich gemachter Allianzen und Fac¬ tionen heimlich Haupt zu sein. Solche Allianzen zu schmieden giebts viel Prätexte und Occasionen, kein Prätext aber ist scheinbarer und universaler, als der von der Garantie des Friedensinstruments genommene, mittelst dessen Frankreich sich in alle des Reichs Sachen mischen kann. Ueberall ist es be¬ reit, beizuspringen als Garant, Custos und Erhalter des Friedens. Schon jetzt ist an etlichen Orten eine französische Deputation mehr respectirt als der Reichshofrath oder eine kaiserliche Commission. Die Weiber und das Geld sind es, die allenthalben dem französischen Einfluß den Weg öffnen." Was nun thun, wenn der Eintritt in die Tripelallianz nicht räthlich ist, was thun, damit die Zeit benützt werde, um das Reich in eine conside- rable Position zu versetzen? Leibniz führt hier einen Gedanken aus, der dem Merundzwanzigjährigen alle Ehre macht. Mit den abgelebten Organen des Reichs ist nichts anzufangen, so lautet seine Meinung, nur Particular- bündnisse sind im Stande, eine wirklich deutsche Macht aufzurichten. Das Einzige, was übrig bleibt, ist, daß wir uns selbst helfen, daß wir für uns einen Grund legen, daß wir eine Particularunion gewisser considerabler, der Gefahr nahesten oder des Reichs Angelegenheiten sich für andere annehmen¬ den Stände, das ist eine kleine Allianz machen. Wollten wir für die Besse¬ rung auf die Comitien (Reichstage) warten, so dürfte es lang werden. Denn die Stände und Legaten können ja bekanntlich über die geringste Sache nicht Eins werden, und überhaupt ist auf den Reichstagen mit ihrem Pomp und Parade nichts auszurichten, wo über leeren Förmlichkeiten die Sache zu kurz kommt. Zu geschweigen, daß nichts, das in Comitien beschlossen werden soll, geheim gehalten werden kann. Daher gestalten Sachen nach eine öffent¬ liche Reformation der Republik und Konstitution, ein Reichsschatz, ein Reichs¬ heer. Reichsoberleitung für beständige Zeit, nicht zu hoffen steht. Es darf aber dieser Hindernisse wegen der so wichtige Punkt der Sicherheit des Reichs, daran seine Wohlfahrt hängt, nicht unerörtert bleiben. Wir würden bei der Posterität diese schändliche Nachlässigkeit nicht verantworten können. Ist derowegen auf andere Mittel zu denken nöthig, durch welche ohne Com- movirung der Comitien, ohne Aenderung der äußerlichen Form der Nepu-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/13
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/13>, abgerufen am 27.07.2024.