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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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sich die zwölf Stämme, jede durch einen Mann vertreten, darauf dieKaus -
lente, endlich Moses und Aaron.

Plötzlich wieder lautes Geschrei und Gelächter. Der Gegenstand dieser
besonderen Theilnahme des Volks ist die anrückende Synagoge, 24 Schüler
nach der Größe geordnet und vom Synagogenmeister geführt. Mehrere
Knaben tragen ihm mächtige schwarze Holzrahmen vor, in denen mit großen Noten
bezeichnete Pergament-Blätter stecken, nach denen er Takt schlägt. Sein bunt¬
geblümtes langes Gewand, sein mächtiger rother Turban, seine lächerlichen
Geberden und endlich der ohrenzerreißende Gesang der Judenschule, welche
ein Kauderwelsch singt, das für Hebräisch gelten soll -- alles dies erregt die
ausgelassenste Heiterkeit der Menge.

Noch verstärkt wird dieser komische Eindruck durch die hinter der Syna¬
goge folgenden Tempelherrn. Diese schreiten in langen schwarzen Ge¬
wändern, auf welche weiße hebräische Buchstaben geklebt sind, sowie mit
hohen blauen Hüten, auf denen sich gleichfalls hebräische Schriftzeichen aus
glänzendem Staniol befinden, in feierlicher Würde daher.

Seinen Gipfel erreicht aber der Jubel, als jetzt der Riese Goliath er¬
scheint, sehr geschickt durch einen auf Stelzen gehenden großen Mann darge¬
stellt, Trabanten tragen ihm Schild und Spieß, ein Fähndrich seine
Fahne voraus.

Ihm folgen zwei Könige, Saul und David, jeder wiederum von einer
Schaar von Schildknappen und Reisigen umgeben. David hält statt eines
Scepters die Harfe in der Hand.

An diese schließen sich die Personen des neuen Testamentes:
Zacharias und Elisabeth schreiten vor der heiligen Familie her. Diese
selbst. Maria, Jesus der zwölfjährige und Joseph führen sich an
der Hand. Maria als züchtige Jungfrau in demüthigster Geberde; sie trägt
ein weißes Unterkleid und einen blauen Ueberwurf von Seide, über den
schönes ausgespreitetes Haar herabfällt, das von einem goldnen Scheine um¬
kränzt wird, Joseph geht als Zimmermann mit Schurzfell, Säge und Axt.

In einem kleinen Zwischenraume folgen ihnen die heiligen dreiKönige:
Kaspar, Melchior und Balthasar. Ihren Vortrab bilden Ritter
im Harnisch und Trompeter; jeder der Könige trägt seine Opfergabe in
der Hand: Kaspar Gold. Melchior Myrrhen, Balthasar Weihrauch. Ihre
Kleidung ist die allerseltsamste und phantasievollste; am meisten Beifall fin¬
det Balthasar, der schwarz von Gesicht und Händen in schneeweißer Tracht
erscheint. Hinten folgen ihre Thiere, ein Kameel, Dromedar und Elephant,
aus jedem derselben sitzt ein führender Knabe.

Hinter dieser Gruppe werden jetzt die ehrwürdigen Gestalten des
Joseph von Arimathia und des alten Simon sichtbar. Es thut ihrer


Grenzboten II. 1870. 15

sich die zwölf Stämme, jede durch einen Mann vertreten, darauf dieKaus -
lente, endlich Moses und Aaron.

Plötzlich wieder lautes Geschrei und Gelächter. Der Gegenstand dieser
besonderen Theilnahme des Volks ist die anrückende Synagoge, 24 Schüler
nach der Größe geordnet und vom Synagogenmeister geführt. Mehrere
Knaben tragen ihm mächtige schwarze Holzrahmen vor, in denen mit großen Noten
bezeichnete Pergament-Blätter stecken, nach denen er Takt schlägt. Sein bunt¬
geblümtes langes Gewand, sein mächtiger rother Turban, seine lächerlichen
Geberden und endlich der ohrenzerreißende Gesang der Judenschule, welche
ein Kauderwelsch singt, das für Hebräisch gelten soll — alles dies erregt die
ausgelassenste Heiterkeit der Menge.

Noch verstärkt wird dieser komische Eindruck durch die hinter der Syna¬
goge folgenden Tempelherrn. Diese schreiten in langen schwarzen Ge¬
wändern, auf welche weiße hebräische Buchstaben geklebt sind, sowie mit
hohen blauen Hüten, auf denen sich gleichfalls hebräische Schriftzeichen aus
glänzendem Staniol befinden, in feierlicher Würde daher.

Seinen Gipfel erreicht aber der Jubel, als jetzt der Riese Goliath er¬
scheint, sehr geschickt durch einen auf Stelzen gehenden großen Mann darge¬
stellt, Trabanten tragen ihm Schild und Spieß, ein Fähndrich seine
Fahne voraus.

Ihm folgen zwei Könige, Saul und David, jeder wiederum von einer
Schaar von Schildknappen und Reisigen umgeben. David hält statt eines
Scepters die Harfe in der Hand.

An diese schließen sich die Personen des neuen Testamentes:
Zacharias und Elisabeth schreiten vor der heiligen Familie her. Diese
selbst. Maria, Jesus der zwölfjährige und Joseph führen sich an
der Hand. Maria als züchtige Jungfrau in demüthigster Geberde; sie trägt
ein weißes Unterkleid und einen blauen Ueberwurf von Seide, über den
schönes ausgespreitetes Haar herabfällt, das von einem goldnen Scheine um¬
kränzt wird, Joseph geht als Zimmermann mit Schurzfell, Säge und Axt.

In einem kleinen Zwischenraume folgen ihnen die heiligen dreiKönige:
Kaspar, Melchior und Balthasar. Ihren Vortrab bilden Ritter
im Harnisch und Trompeter; jeder der Könige trägt seine Opfergabe in
der Hand: Kaspar Gold. Melchior Myrrhen, Balthasar Weihrauch. Ihre
Kleidung ist die allerseltsamste und phantasievollste; am meisten Beifall fin¬
det Balthasar, der schwarz von Gesicht und Händen in schneeweißer Tracht
erscheint. Hinten folgen ihre Thiere, ein Kameel, Dromedar und Elephant,
aus jedem derselben sitzt ein führender Knabe.

Hinter dieser Gruppe werden jetzt die ehrwürdigen Gestalten des
Joseph von Arimathia und des alten Simon sichtbar. Es thut ihrer


Grenzboten II. 1870. 15
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[0119] sich die zwölf Stämme, jede durch einen Mann vertreten, darauf dieKaus - lente, endlich Moses und Aaron. Plötzlich wieder lautes Geschrei und Gelächter. Der Gegenstand dieser besonderen Theilnahme des Volks ist die anrückende Synagoge, 24 Schüler nach der Größe geordnet und vom Synagogenmeister geführt. Mehrere Knaben tragen ihm mächtige schwarze Holzrahmen vor, in denen mit großen Noten bezeichnete Pergament-Blätter stecken, nach denen er Takt schlägt. Sein bunt¬ geblümtes langes Gewand, sein mächtiger rother Turban, seine lächerlichen Geberden und endlich der ohrenzerreißende Gesang der Judenschule, welche ein Kauderwelsch singt, das für Hebräisch gelten soll — alles dies erregt die ausgelassenste Heiterkeit der Menge. Noch verstärkt wird dieser komische Eindruck durch die hinter der Syna¬ goge folgenden Tempelherrn. Diese schreiten in langen schwarzen Ge¬ wändern, auf welche weiße hebräische Buchstaben geklebt sind, sowie mit hohen blauen Hüten, auf denen sich gleichfalls hebräische Schriftzeichen aus glänzendem Staniol befinden, in feierlicher Würde daher. Seinen Gipfel erreicht aber der Jubel, als jetzt der Riese Goliath er¬ scheint, sehr geschickt durch einen auf Stelzen gehenden großen Mann darge¬ stellt, Trabanten tragen ihm Schild und Spieß, ein Fähndrich seine Fahne voraus. Ihm folgen zwei Könige, Saul und David, jeder wiederum von einer Schaar von Schildknappen und Reisigen umgeben. David hält statt eines Scepters die Harfe in der Hand. An diese schließen sich die Personen des neuen Testamentes: Zacharias und Elisabeth schreiten vor der heiligen Familie her. Diese selbst. Maria, Jesus der zwölfjährige und Joseph führen sich an der Hand. Maria als züchtige Jungfrau in demüthigster Geberde; sie trägt ein weißes Unterkleid und einen blauen Ueberwurf von Seide, über den schönes ausgespreitetes Haar herabfällt, das von einem goldnen Scheine um¬ kränzt wird, Joseph geht als Zimmermann mit Schurzfell, Säge und Axt. In einem kleinen Zwischenraume folgen ihnen die heiligen dreiKönige: Kaspar, Melchior und Balthasar. Ihren Vortrab bilden Ritter im Harnisch und Trompeter; jeder der Könige trägt seine Opfergabe in der Hand: Kaspar Gold. Melchior Myrrhen, Balthasar Weihrauch. Ihre Kleidung ist die allerseltsamste und phantasievollste; am meisten Beifall fin¬ det Balthasar, der schwarz von Gesicht und Händen in schneeweißer Tracht erscheint. Hinten folgen ihre Thiere, ein Kameel, Dromedar und Elephant, aus jedem derselben sitzt ein führender Knabe. Hinter dieser Gruppe werden jetzt die ehrwürdigen Gestalten des Joseph von Arimathia und des alten Simon sichtbar. Es thut ihrer Grenzboten II. 1870. 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/119>, abgerufen am 01.09.2024.