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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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meidung der Unkosten bestimmt, daß den Fremden nur noch im Gerichtshause
freie Zeche gewährt wurde. An die Herren vom großen und kleinen Rath
wurden Wahrzeichen von Messing vertheilt, ebenso an andere vornehme Bürger
und "wer kein Wahrzeichen hat, für den soll man nicht zahlen."

Uebrigens ergibt die Rechnung, daß die Zehrung der geistlichen und
weltlichen Fremden, ihrer Gesellschafter, der "Synagoge" und der "Hölle" noch
immer die Hälfte aller Spielkosten überhaupt betrug. Wie wenig übrigens
die Gäste trotz so zuvorkommender Gastfreundschaft zuweilen befriedigt waren,
zeigt die Bemerkung, welche Abt Ulrich von Einsiedeln 1684 in sein
Rechenbuch aufgenommen hat: "6 Kronen gen Luzern an das Spiel. Hat
wol mögen erspart sein." --

Eine sehr wichtige und bedeutende Arbeit war die Besetzung der Rollen.
Sie geschah nach 1) Erblichkeit, 2) früherer Besetzung, 3) Tüchtigkeit. 4) Geld.
Das Verfahren im Einzelnen war dabei Folgendes: Cysat entwarf zunächst
eine alphabethische Ordnung aller zur Vertheilung gelangenden Rollen; jede
derselben ward mit einer Nummer versehen, um über die Zahl der Spieler
den Ueberblick zu behalten. Hinter jeder der so aufgeführten Rollen wurde
die Zahl ihrer Verse bemerkt. Hierauf entwarf er ein Verzeichniß derjenigen
Rollen, welche durch den Tod ihrer bisherigen Inhaber frei geworden waren;
hieran schloß sich ein Verzeichniß derjenigen Personen, welche "ihre Stände
wiederum versorgen können."

Es gelangten demnach nur neue Rollen, ferner durch den Tod oder
durch Nichtbeanspruchung frei gewordene, zur Vertheilung.

Die Bewerbungen um diese Rollen trug Cysat in ein noch vorhandenes
besonderes Buch ein. Darin heißt es z. B. "Hans Rudolf Sonnberg begehrt
den Salvatorstand, in Falle ihn Herr Leutpriester nicht wieder versehn sollte.
-- Caspar Blenzen Knabe begehrt den Engelstand zu Weihnachten. Bernhard
von Wyll begehrt auch einen Engelstand." Manche versprechen "sich brauchen
zu lassen für einen guten Stand." Die bescheidenen Leute bitten mit dem
Zusätze "was gut für sie wäre." Sehr gesucht ist die Judenschule. -- Die
Hauptrollen befanden sich durchgängig in den Händen der Geistlichen und
einiger vornehmen Bürger; die Weiberrollen wurden nach damaliger Sitte
durch Männer dargestellt.

Hatte auf diese Weise der Regens genug Anmeldungen entgegengenom¬
men, so ward über ihre "Verwendung und Beschickung" in der Versammlung
entschieden. Wie häufig jedoch diese Entscheidungen wieder abgeändert wurden,
beweist die große Zahl ausgestrichener Namen hinter dem sauber geschriebenen
Rollenverzeichniß.

Außerdem hielt Renwart Cysat, offenbar in der Absicht mit dem Spiel
eine gewisse Familientradition zu verknüpfen, den Grundsatz fest, daß die


meidung der Unkosten bestimmt, daß den Fremden nur noch im Gerichtshause
freie Zeche gewährt wurde. An die Herren vom großen und kleinen Rath
wurden Wahrzeichen von Messing vertheilt, ebenso an andere vornehme Bürger
und „wer kein Wahrzeichen hat, für den soll man nicht zahlen."

Uebrigens ergibt die Rechnung, daß die Zehrung der geistlichen und
weltlichen Fremden, ihrer Gesellschafter, der „Synagoge" und der „Hölle" noch
immer die Hälfte aller Spielkosten überhaupt betrug. Wie wenig übrigens
die Gäste trotz so zuvorkommender Gastfreundschaft zuweilen befriedigt waren,
zeigt die Bemerkung, welche Abt Ulrich von Einsiedeln 1684 in sein
Rechenbuch aufgenommen hat: „6 Kronen gen Luzern an das Spiel. Hat
wol mögen erspart sein." —

Eine sehr wichtige und bedeutende Arbeit war die Besetzung der Rollen.
Sie geschah nach 1) Erblichkeit, 2) früherer Besetzung, 3) Tüchtigkeit. 4) Geld.
Das Verfahren im Einzelnen war dabei Folgendes: Cysat entwarf zunächst
eine alphabethische Ordnung aller zur Vertheilung gelangenden Rollen; jede
derselben ward mit einer Nummer versehen, um über die Zahl der Spieler
den Ueberblick zu behalten. Hinter jeder der so aufgeführten Rollen wurde
die Zahl ihrer Verse bemerkt. Hierauf entwarf er ein Verzeichniß derjenigen
Rollen, welche durch den Tod ihrer bisherigen Inhaber frei geworden waren;
hieran schloß sich ein Verzeichniß derjenigen Personen, welche „ihre Stände
wiederum versorgen können."

Es gelangten demnach nur neue Rollen, ferner durch den Tod oder
durch Nichtbeanspruchung frei gewordene, zur Vertheilung.

Die Bewerbungen um diese Rollen trug Cysat in ein noch vorhandenes
besonderes Buch ein. Darin heißt es z. B. „Hans Rudolf Sonnberg begehrt
den Salvatorstand, in Falle ihn Herr Leutpriester nicht wieder versehn sollte.
— Caspar Blenzen Knabe begehrt den Engelstand zu Weihnachten. Bernhard
von Wyll begehrt auch einen Engelstand." Manche versprechen „sich brauchen
zu lassen für einen guten Stand." Die bescheidenen Leute bitten mit dem
Zusätze „was gut für sie wäre." Sehr gesucht ist die Judenschule. — Die
Hauptrollen befanden sich durchgängig in den Händen der Geistlichen und
einiger vornehmen Bürger; die Weiberrollen wurden nach damaliger Sitte
durch Männer dargestellt.

Hatte auf diese Weise der Regens genug Anmeldungen entgegengenom¬
men, so ward über ihre „Verwendung und Beschickung" in der Versammlung
entschieden. Wie häufig jedoch diese Entscheidungen wieder abgeändert wurden,
beweist die große Zahl ausgestrichener Namen hinter dem sauber geschriebenen
Rollenverzeichniß.

Außerdem hielt Renwart Cysat, offenbar in der Absicht mit dem Spiel
eine gewisse Familientradition zu verknüpfen, den Grundsatz fest, daß die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/109>, abgerufen am 01.09.2024.