Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

langweilig, und geht's nicht anders, so möcht' ich manchmal was Altes, ja
selbst was Neues hören, nur was Anderes. Daß man dieselbe gute Musik
oft hören kann, ist schon ganz hübsch, wenn man aber in einen kleinen Kreis
gebannt alle Winter nur dasselbe hören muß, so hat das seine Zeit, wie
lange man es mit Interesse thut; auch beim Besten; -- und eben um dieses
ists schade, wenn man es zu sehr auswendig weiß und dann auch zu sehr
auswendig anhört.

Haben Sie ein kleines Büchlein "die Grenzen der Musik und Poesie"
von A. W. Ambros (Prag 66) gelesen? Es gefällt mir sehr wohl. Es ist
nicht gerade gegen Hanslik gerichtet, oder unternommen, das in diesem ein¬
seitig übertriebene zu widerlegen, aber scheint mir doch dadurch veranlaßt.
An Berlioz und Wagner läßt er die Fähigkeit sich in ihrer Weise aus¬
zusprechen, das von ihnen gewollt" zur Anschauung zu bringen gelten, Wagner
scheint er mir darin etwas zu hoch zu stellen, zu viel relativ Schönes in ihm
zu finden; -- von Liszt ist glücklicher- oder richtigerweise nicht die Rede --
aber gegen die ganze Richtung sagt er wieder, "jene beiden Künstler hat ihr
Genius an einen Punkt getragen, wo eigentlich alle Musik schon aufhört" --
das find' ich ganz gut, daß man erst das Talent an ihnen anerkennt, das zu
machen, was sie machen wollen, namentlich bei Berlioz, dann kann man sagen,
das ist nicht das Rechte. Im Lohengrin ist im ersten Finale eine Strecke
Musik von der allerschönsten Art und Wirkung, das bringt keiner hervor,
der nicht wie Papageno auch zuweilen seine zärtlichen Stunden hat. Das
ist aber freilich eine Stelle, die ganz aus dem Wagner'schen Princip her¬
ausfällt; der Lohengrin muß sehr langsam von seinem Schwan herunter
an's Land steigen und sich im Hintergrund aufhalten, damit der Chor Zeit hat,
sein hundertmal wiederholtes "wie schön der Ritter sei" zu singen. Ueber¬
haupt kommen die musikalischen Stellen nur da vor. wo die Musik nicht im
Wagner'schen Sinne ist. Dem Berlioz passirt es weniger, aus der Rolle zu
fallen, und wenn Wagner erst ganz Wagner sein wird, vielleicht in den Nibe¬
lungen -- dann wird's mit der Musik auch aus sein bei ihm. Er hat aber,
wie die Zeitungen sagen, diese Oper bei Seite gelegt und schreibt jetzt eine
andere eintägige. Es ist auch Zeit, daß etwas Neues kommt. Wenn einer
die ganze Besogne leisten soll, alles andere nichts mehr ist. und man doch
von zwei Opern nicht leben kann, so hat er zu thun. Denn Opern wenig¬
stens schreibt Liszt nicht, wenn er auch sonst, wie es scheint, sich Wagner auf
die Schultern stellen und ihn unnöthig machen will. In einem jetzt herauf¬
kommenden Musikalischen Lexikon, von Bernstorf redigirt, bei welchem Liszt,
Spohr, Marschner :c. als Mitwirkende auf dem Titel genannt sind, hat der
Redacteur zu dem Artikel "Berlioz" eine Besprechung seiner Musik aus der
Allgem. Mus. Zeitung (1843) mit aufgenommen, nach welchem Liszt dem Re-


langweilig, und geht's nicht anders, so möcht' ich manchmal was Altes, ja
selbst was Neues hören, nur was Anderes. Daß man dieselbe gute Musik
oft hören kann, ist schon ganz hübsch, wenn man aber in einen kleinen Kreis
gebannt alle Winter nur dasselbe hören muß, so hat das seine Zeit, wie
lange man es mit Interesse thut; auch beim Besten; — und eben um dieses
ists schade, wenn man es zu sehr auswendig weiß und dann auch zu sehr
auswendig anhört.

Haben Sie ein kleines Büchlein „die Grenzen der Musik und Poesie"
von A. W. Ambros (Prag 66) gelesen? Es gefällt mir sehr wohl. Es ist
nicht gerade gegen Hanslik gerichtet, oder unternommen, das in diesem ein¬
seitig übertriebene zu widerlegen, aber scheint mir doch dadurch veranlaßt.
An Berlioz und Wagner läßt er die Fähigkeit sich in ihrer Weise aus¬
zusprechen, das von ihnen gewollt« zur Anschauung zu bringen gelten, Wagner
scheint er mir darin etwas zu hoch zu stellen, zu viel relativ Schönes in ihm
zu finden; — von Liszt ist glücklicher- oder richtigerweise nicht die Rede —
aber gegen die ganze Richtung sagt er wieder, „jene beiden Künstler hat ihr
Genius an einen Punkt getragen, wo eigentlich alle Musik schon aufhört" —
das find' ich ganz gut, daß man erst das Talent an ihnen anerkennt, das zu
machen, was sie machen wollen, namentlich bei Berlioz, dann kann man sagen,
das ist nicht das Rechte. Im Lohengrin ist im ersten Finale eine Strecke
Musik von der allerschönsten Art und Wirkung, das bringt keiner hervor,
der nicht wie Papageno auch zuweilen seine zärtlichen Stunden hat. Das
ist aber freilich eine Stelle, die ganz aus dem Wagner'schen Princip her¬
ausfällt; der Lohengrin muß sehr langsam von seinem Schwan herunter
an's Land steigen und sich im Hintergrund aufhalten, damit der Chor Zeit hat,
sein hundertmal wiederholtes „wie schön der Ritter sei" zu singen. Ueber¬
haupt kommen die musikalischen Stellen nur da vor. wo die Musik nicht im
Wagner'schen Sinne ist. Dem Berlioz passirt es weniger, aus der Rolle zu
fallen, und wenn Wagner erst ganz Wagner sein wird, vielleicht in den Nibe¬
lungen — dann wird's mit der Musik auch aus sein bei ihm. Er hat aber,
wie die Zeitungen sagen, diese Oper bei Seite gelegt und schreibt jetzt eine
andere eintägige. Es ist auch Zeit, daß etwas Neues kommt. Wenn einer
die ganze Besogne leisten soll, alles andere nichts mehr ist. und man doch
von zwei Opern nicht leben kann, so hat er zu thun. Denn Opern wenig¬
stens schreibt Liszt nicht, wenn er auch sonst, wie es scheint, sich Wagner auf
die Schultern stellen und ihn unnöthig machen will. In einem jetzt herauf¬
kommenden Musikalischen Lexikon, von Bernstorf redigirt, bei welchem Liszt,
Spohr, Marschner :c. als Mitwirkende auf dem Titel genannt sind, hat der
Redacteur zu dem Artikel „Berlioz" eine Besprechung seiner Musik aus der
Allgem. Mus. Zeitung (1843) mit aufgenommen, nach welchem Liszt dem Re-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123720"/>
            <p xml:id="ID_239" prev="#ID_238"> langweilig, und geht's nicht anders, so möcht' ich manchmal was Altes, ja<lb/>
selbst was Neues hören, nur was Anderes. Daß man dieselbe gute Musik<lb/>
oft hören kann, ist schon ganz hübsch, wenn man aber in einen kleinen Kreis<lb/>
gebannt alle Winter nur dasselbe hören muß, so hat das seine Zeit, wie<lb/>
lange man es mit Interesse thut; auch beim Besten; &#x2014; und eben um dieses<lb/>
ists schade, wenn man es zu sehr auswendig weiß und dann auch zu sehr<lb/>
auswendig anhört.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_240" next="#ID_241"> Haben Sie ein kleines Büchlein &#x201E;die Grenzen der Musik und Poesie"<lb/>
von A. W. Ambros (Prag 66) gelesen? Es gefällt mir sehr wohl. Es ist<lb/>
nicht gerade gegen Hanslik gerichtet, oder unternommen, das in diesem ein¬<lb/>
seitig übertriebene zu widerlegen, aber scheint mir doch dadurch veranlaßt.<lb/>
An Berlioz und Wagner läßt er die Fähigkeit sich in ihrer Weise aus¬<lb/>
zusprechen, das von ihnen gewollt« zur Anschauung zu bringen gelten, Wagner<lb/>
scheint er mir darin etwas zu hoch zu stellen, zu viel relativ Schönes in ihm<lb/>
zu finden; &#x2014; von Liszt ist glücklicher- oder richtigerweise nicht die Rede &#x2014;<lb/>
aber gegen die ganze Richtung sagt er wieder, &#x201E;jene beiden Künstler hat ihr<lb/>
Genius an einen Punkt getragen, wo eigentlich alle Musik schon aufhört" &#x2014;<lb/>
das find' ich ganz gut, daß man erst das Talent an ihnen anerkennt, das zu<lb/>
machen, was sie machen wollen, namentlich bei Berlioz, dann kann man sagen,<lb/>
das ist nicht das Rechte. Im Lohengrin ist im ersten Finale eine Strecke<lb/>
Musik von der allerschönsten Art und Wirkung, das bringt keiner hervor,<lb/>
der nicht wie Papageno auch zuweilen seine zärtlichen Stunden hat. Das<lb/>
ist aber freilich eine Stelle, die ganz aus dem Wagner'schen Princip her¬<lb/>
ausfällt; der Lohengrin muß sehr langsam von seinem Schwan herunter<lb/>
an's Land steigen und sich im Hintergrund aufhalten, damit der Chor Zeit hat,<lb/>
sein hundertmal wiederholtes &#x201E;wie schön der Ritter sei" zu singen. Ueber¬<lb/>
haupt kommen die musikalischen Stellen nur da vor. wo die Musik nicht im<lb/>
Wagner'schen Sinne ist. Dem Berlioz passirt es weniger, aus der Rolle zu<lb/>
fallen, und wenn Wagner erst ganz Wagner sein wird, vielleicht in den Nibe¬<lb/>
lungen &#x2014; dann wird's mit der Musik auch aus sein bei ihm. Er hat aber,<lb/>
wie die Zeitungen sagen, diese Oper bei Seite gelegt und schreibt jetzt eine<lb/>
andere eintägige. Es ist auch Zeit, daß etwas Neues kommt. Wenn einer<lb/>
die ganze Besogne leisten soll, alles andere nichts mehr ist. und man doch<lb/>
von zwei Opern nicht leben kann, so hat er zu thun. Denn Opern wenig¬<lb/>
stens schreibt Liszt nicht, wenn er auch sonst, wie es scheint, sich Wagner auf<lb/>
die Schultern stellen und ihn unnöthig machen will. In einem jetzt herauf¬<lb/>
kommenden Musikalischen Lexikon, von Bernstorf redigirt, bei welchem Liszt,<lb/>
Spohr, Marschner :c. als Mitwirkende auf dem Titel genannt sind, hat der<lb/>
Redacteur zu dem Artikel &#x201E;Berlioz" eine Besprechung seiner Musik aus der<lb/>
Allgem. Mus. Zeitung (1843) mit aufgenommen, nach welchem Liszt dem Re-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0100] langweilig, und geht's nicht anders, so möcht' ich manchmal was Altes, ja selbst was Neues hören, nur was Anderes. Daß man dieselbe gute Musik oft hören kann, ist schon ganz hübsch, wenn man aber in einen kleinen Kreis gebannt alle Winter nur dasselbe hören muß, so hat das seine Zeit, wie lange man es mit Interesse thut; auch beim Besten; — und eben um dieses ists schade, wenn man es zu sehr auswendig weiß und dann auch zu sehr auswendig anhört. Haben Sie ein kleines Büchlein „die Grenzen der Musik und Poesie" von A. W. Ambros (Prag 66) gelesen? Es gefällt mir sehr wohl. Es ist nicht gerade gegen Hanslik gerichtet, oder unternommen, das in diesem ein¬ seitig übertriebene zu widerlegen, aber scheint mir doch dadurch veranlaßt. An Berlioz und Wagner läßt er die Fähigkeit sich in ihrer Weise aus¬ zusprechen, das von ihnen gewollt« zur Anschauung zu bringen gelten, Wagner scheint er mir darin etwas zu hoch zu stellen, zu viel relativ Schönes in ihm zu finden; — von Liszt ist glücklicher- oder richtigerweise nicht die Rede — aber gegen die ganze Richtung sagt er wieder, „jene beiden Künstler hat ihr Genius an einen Punkt getragen, wo eigentlich alle Musik schon aufhört" — das find' ich ganz gut, daß man erst das Talent an ihnen anerkennt, das zu machen, was sie machen wollen, namentlich bei Berlioz, dann kann man sagen, das ist nicht das Rechte. Im Lohengrin ist im ersten Finale eine Strecke Musik von der allerschönsten Art und Wirkung, das bringt keiner hervor, der nicht wie Papageno auch zuweilen seine zärtlichen Stunden hat. Das ist aber freilich eine Stelle, die ganz aus dem Wagner'schen Princip her¬ ausfällt; der Lohengrin muß sehr langsam von seinem Schwan herunter an's Land steigen und sich im Hintergrund aufhalten, damit der Chor Zeit hat, sein hundertmal wiederholtes „wie schön der Ritter sei" zu singen. Ueber¬ haupt kommen die musikalischen Stellen nur da vor. wo die Musik nicht im Wagner'schen Sinne ist. Dem Berlioz passirt es weniger, aus der Rolle zu fallen, und wenn Wagner erst ganz Wagner sein wird, vielleicht in den Nibe¬ lungen — dann wird's mit der Musik auch aus sein bei ihm. Er hat aber, wie die Zeitungen sagen, diese Oper bei Seite gelegt und schreibt jetzt eine andere eintägige. Es ist auch Zeit, daß etwas Neues kommt. Wenn einer die ganze Besogne leisten soll, alles andere nichts mehr ist. und man doch von zwei Opern nicht leben kann, so hat er zu thun. Denn Opern wenig¬ stens schreibt Liszt nicht, wenn er auch sonst, wie es scheint, sich Wagner auf die Schultern stellen und ihn unnöthig machen will. In einem jetzt herauf¬ kommenden Musikalischen Lexikon, von Bernstorf redigirt, bei welchem Liszt, Spohr, Marschner :c. als Mitwirkende auf dem Titel genannt sind, hat der Redacteur zu dem Artikel „Berlioz" eine Besprechung seiner Musik aus der Allgem. Mus. Zeitung (1843) mit aufgenommen, nach welchem Liszt dem Re-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/100
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/100>, abgerufen am 01.09.2024.