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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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deutschen Flagge gehörte fast jedes dritte Schiff, das vorübersegelte oder im
Hafen lag.

Auf den Handelsschiffen und unter den deutschen Colonisten fühlte man
ebenso wie auf der schönen Corvette, die den Prinzen trug, was diese Ent¬
faltung deutscher Macht zu bedeuten hatte. Auch der Osmane empfand, daß
die neuen schwarzrothweißen Farben, die er überall wehen sah, für sein Land
eine Bedeutung hatten. -- Da die Könige von Preußen seit alter Zeit zu den
höchsten Pflichten ihres Berufes die gezählt haben , den Protestantismus zu
vertreten und zu schützen, so war selbstverständlich, daß der Kronprinz vor
Allem die protestantischen Anstalten in Constantinopel: Kirche, Schule und
Krankenhaus besuchte und ihnen materielle Hilfe zukommen ließ. Er hat
auch Vertreter der Protestanten türkischer Nationalität empfangen und ihnen
Muth zugesprochen. Es ist dies nämlich eine geringe Zahl sporadisch woh¬
nender Türken, meist aus den niederen Classen, welche vorzugsweise durch
amerikanische Missionäre zum Christenthum bekehrt worden sind und ihre
Duldung nur dem Schutze verdanken, den ihnen unsere Diplomatie zu
Theil werden läßt. Es ist nur ein kleiner Anfang freierer christlicher An¬
schauung unter den Türken selbst, dennoch verdienen diese Leute entschieden
Beachtung und ihre lebhaft hervorgetretene und neu bestärkte Anlehnung an
das deutsche Fürstenhaus mitten in der muselmännischen Bevölkerung ist
nicht ganz ohne praktische Bedeutung. Die Deutschen in Constantinopel
durften sich sagen, daß dieser fürstliche Besuch auch für ihre Zukunft nicht
werthlos war. Die orientalische Frage tritt ihrer Lösung unaufhaltsam
näher, die Herrschaft des Halbmondes wird immer prekärer und die Stimme
der Großmächte bei der Pforte gewichtiger. Lange galt Preußen dort nur
für die friedfertige Macht im entfernten Norden, es hatte höchstens eine be¬
ruhigende, keine leitende Stimme bei der hohen Pforte. Die persönliche Be¬
grüßung mit dem Sultan und der Verkehr mit seinen gescheuten Ministern
haben dort, wie es scheint, einige sehr lebhafte Eindrücke hervorgerufen. Die
Preußen erschienen als anständige und vornehme Leute, die für sich Nichts
Unbilliges von der armen Pforte begehren. Deutschland aber hat die Auf¬
gabe, den in der Türkei gewonnenen Einfluß gegen andere Mächte in die
Wagschale zu werfen. Hier ist seit der Zeit Friedrich des Großen Manches
verloren worden, was jetzt wiedererlangt werden kann.

Der Kronprinz fuhr von Constantinopel direct nach Jaffa, von da nach
Jerusalem. Jaffa ist ein unbedeutender Ort und soll kein besonders guter
Hafen sein. Trotzdem hat sich hier eine deutsche Colonie angesiedelt, fast
ausschließlich protestantische Sectirer aus Würtemberg. Sie haben eine
amerikanische Anpflanzung von Orangenbäumen übernommen und streben
danach, eine regelmäßige Verbindung Jerusalems mit Jaffa herzustellen. Da


deutschen Flagge gehörte fast jedes dritte Schiff, das vorübersegelte oder im
Hafen lag.

Auf den Handelsschiffen und unter den deutschen Colonisten fühlte man
ebenso wie auf der schönen Corvette, die den Prinzen trug, was diese Ent¬
faltung deutscher Macht zu bedeuten hatte. Auch der Osmane empfand, daß
die neuen schwarzrothweißen Farben, die er überall wehen sah, für sein Land
eine Bedeutung hatten. — Da die Könige von Preußen seit alter Zeit zu den
höchsten Pflichten ihres Berufes die gezählt haben , den Protestantismus zu
vertreten und zu schützen, so war selbstverständlich, daß der Kronprinz vor
Allem die protestantischen Anstalten in Constantinopel: Kirche, Schule und
Krankenhaus besuchte und ihnen materielle Hilfe zukommen ließ. Er hat
auch Vertreter der Protestanten türkischer Nationalität empfangen und ihnen
Muth zugesprochen. Es ist dies nämlich eine geringe Zahl sporadisch woh¬
nender Türken, meist aus den niederen Classen, welche vorzugsweise durch
amerikanische Missionäre zum Christenthum bekehrt worden sind und ihre
Duldung nur dem Schutze verdanken, den ihnen unsere Diplomatie zu
Theil werden läßt. Es ist nur ein kleiner Anfang freierer christlicher An¬
schauung unter den Türken selbst, dennoch verdienen diese Leute entschieden
Beachtung und ihre lebhaft hervorgetretene und neu bestärkte Anlehnung an
das deutsche Fürstenhaus mitten in der muselmännischen Bevölkerung ist
nicht ganz ohne praktische Bedeutung. Die Deutschen in Constantinopel
durften sich sagen, daß dieser fürstliche Besuch auch für ihre Zukunft nicht
werthlos war. Die orientalische Frage tritt ihrer Lösung unaufhaltsam
näher, die Herrschaft des Halbmondes wird immer prekärer und die Stimme
der Großmächte bei der Pforte gewichtiger. Lange galt Preußen dort nur
für die friedfertige Macht im entfernten Norden, es hatte höchstens eine be¬
ruhigende, keine leitende Stimme bei der hohen Pforte. Die persönliche Be¬
grüßung mit dem Sultan und der Verkehr mit seinen gescheuten Ministern
haben dort, wie es scheint, einige sehr lebhafte Eindrücke hervorgerufen. Die
Preußen erschienen als anständige und vornehme Leute, die für sich Nichts
Unbilliges von der armen Pforte begehren. Deutschland aber hat die Auf¬
gabe, den in der Türkei gewonnenen Einfluß gegen andere Mächte in die
Wagschale zu werfen. Hier ist seit der Zeit Friedrich des Großen Manches
verloren worden, was jetzt wiedererlangt werden kann.

Der Kronprinz fuhr von Constantinopel direct nach Jaffa, von da nach
Jerusalem. Jaffa ist ein unbedeutender Ort und soll kein besonders guter
Hafen sein. Trotzdem hat sich hier eine deutsche Colonie angesiedelt, fast
ausschließlich protestantische Sectirer aus Würtemberg. Sie haben eine
amerikanische Anpflanzung von Orangenbäumen übernommen und streben
danach, eine regelmäßige Verbindung Jerusalems mit Jaffa herzustellen. Da


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/90>, abgerufen am 26.06.2024.