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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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worden waren, haben die Herren sich gegenseitig als alte Freunde gefühlt
und ebenso verkehrt. Weder in den Zusammenkünften mit dem Kaiser und
den Mitgliedern des Kaiserhauses, noch in der Unterhaltung mit einem
Andern ist irgend ein Mißton gehört oder gefühlt worden, vielfach das ge¬
rade Gegentheil. Politische Aufgaben aber löst man in unserer Zeit nicht
durch Fürstenbesuch und die Begleitung des Kronprinzen hatte durchaus
keinen politischen Charakter. -- In Italien, wo der Kronprinz im vorigen
Jahre einen wahren Triumphzug hielt, ist er diesmal ganz incognito ver¬
weilt, hat aber doch viele bedeutende Menschen gesprochen und Gelegenheit
gehabt zu erkennen, wie kräftigend ein freies Verfassungsleben auf ein Volk
wirkt. Denn wenn auch Vieles in Italien noch unsicher und übel geordnet
ist und manches Decennium vorübergehen wird, ehe das geeinte Italien
sichere Grundlagen für ein starkes Aufblühen gewinnt, das wird Jeder fühlen,
wer sich dort in den regierenden Kreisen um Politik kümmert, wie sehr der
gesetzliche Kampf um den freien Staat die Charaktere bildet, Willenskraft
und Interessen steigert, und damit den Staat selbst. Schon jetzt kann, wer
aus Italien nach Frankreich kommt, den Unterschied in Stimmung, Freudig¬
keit und frischer Energie der Menschen zwischen dem neuen Verfassungsstaat
Italien und dem bevormundenden System des Kaiserreiches erkennen.

Zur Fahrt nach dem Orient bestieg der Kronprinz ein norddeutsches
Kriegsschiff; damit er die neue deutsche Macht würdig repräsentire, war
ihm ein ganzes Geschwader beigegeben; zum erstenmal seit der Blüthezeit der
Hansafahrer sah der Orient eine deutsche Flotte.

Es waren nicht viele Schiffe; sind wir recht berichtet, drei Corvetten
und einige Kanonenboote, aber diese Schiffe sollen in den Häfen des Orients,
zuletzt in Port Said am Eingang des Suezcanals, wohin fast die ganze
civilisirte Welt Kriegsboote gesandt hatte, durch Bau, Ausrüstung und Be¬
mannung sehr vortheilhaft aufgefallen sein. Sie konnten sich unter den besten
mit Ehren sehen lassen. Eine imponirende Repräsentation des deutschen Bundes
in den Häfen des Orients und bei den Machthabern der muhamedanischen
Welt war längst wünschenswerth geworden. Die Kunde von einer großen
Umwälzung in Deutschland ist bis tief in den Orient zu Türken und
Arabern gedrungen, in den Häfen des innern Mittelmeeres weht die nord¬
deutsche Flagge häufig von den Masten der Schiffe und den Consulat-
gebäuden des norddeutschen Bundes, und Auswanderer und Geschäftsleute
aus dem deutschen Norden und Süden bedürfen überall Schutz gegen die
Willkür der fremden Beamten und die collidirenden Interessen anderer Völker
des Abendlandes. Es gehört aber zu den Eigenthümlichkeiten der Orien¬
talen, daß sie eine Machtentfaltung sehen und im Guten oder Bösen fühlen
müssen, um daran zu glauben. Dort gilt die Persönlichkeit Alles, moderner


worden waren, haben die Herren sich gegenseitig als alte Freunde gefühlt
und ebenso verkehrt. Weder in den Zusammenkünften mit dem Kaiser und
den Mitgliedern des Kaiserhauses, noch in der Unterhaltung mit einem
Andern ist irgend ein Mißton gehört oder gefühlt worden, vielfach das ge¬
rade Gegentheil. Politische Aufgaben aber löst man in unserer Zeit nicht
durch Fürstenbesuch und die Begleitung des Kronprinzen hatte durchaus
keinen politischen Charakter. — In Italien, wo der Kronprinz im vorigen
Jahre einen wahren Triumphzug hielt, ist er diesmal ganz incognito ver¬
weilt, hat aber doch viele bedeutende Menschen gesprochen und Gelegenheit
gehabt zu erkennen, wie kräftigend ein freies Verfassungsleben auf ein Volk
wirkt. Denn wenn auch Vieles in Italien noch unsicher und übel geordnet
ist und manches Decennium vorübergehen wird, ehe das geeinte Italien
sichere Grundlagen für ein starkes Aufblühen gewinnt, das wird Jeder fühlen,
wer sich dort in den regierenden Kreisen um Politik kümmert, wie sehr der
gesetzliche Kampf um den freien Staat die Charaktere bildet, Willenskraft
und Interessen steigert, und damit den Staat selbst. Schon jetzt kann, wer
aus Italien nach Frankreich kommt, den Unterschied in Stimmung, Freudig¬
keit und frischer Energie der Menschen zwischen dem neuen Verfassungsstaat
Italien und dem bevormundenden System des Kaiserreiches erkennen.

Zur Fahrt nach dem Orient bestieg der Kronprinz ein norddeutsches
Kriegsschiff; damit er die neue deutsche Macht würdig repräsentire, war
ihm ein ganzes Geschwader beigegeben; zum erstenmal seit der Blüthezeit der
Hansafahrer sah der Orient eine deutsche Flotte.

Es waren nicht viele Schiffe; sind wir recht berichtet, drei Corvetten
und einige Kanonenboote, aber diese Schiffe sollen in den Häfen des Orients,
zuletzt in Port Said am Eingang des Suezcanals, wohin fast die ganze
civilisirte Welt Kriegsboote gesandt hatte, durch Bau, Ausrüstung und Be¬
mannung sehr vortheilhaft aufgefallen sein. Sie konnten sich unter den besten
mit Ehren sehen lassen. Eine imponirende Repräsentation des deutschen Bundes
in den Häfen des Orients und bei den Machthabern der muhamedanischen
Welt war längst wünschenswerth geworden. Die Kunde von einer großen
Umwälzung in Deutschland ist bis tief in den Orient zu Türken und
Arabern gedrungen, in den Häfen des innern Mittelmeeres weht die nord¬
deutsche Flagge häufig von den Masten der Schiffe und den Consulat-
gebäuden des norddeutschen Bundes, und Auswanderer und Geschäftsleute
aus dem deutschen Norden und Süden bedürfen überall Schutz gegen die
Willkür der fremden Beamten und die collidirenden Interessen anderer Völker
des Abendlandes. Es gehört aber zu den Eigenthümlichkeiten der Orien¬
talen, daß sie eine Machtentfaltung sehen und im Guten oder Bösen fühlen
müssen, um daran zu glauben. Dort gilt die Persönlichkeit Alles, moderner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/88>, abgerufen am 26.06.2024.