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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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in unser Bewußtsein fallen, im Allgemeinen auf das Überzeugendste
nachgewiesen hat. Wir sehen hierin den glücklichen Wurf des Verfassers,
eine fruchtbare, voraussichtlich folgenreiche psychologische Anregung, aber wir
leugnen, daß die höhere geistige Substanz, aus deren Wesen jene uns (Thie¬
ren, Pflanzen) unbewußt bleibenden Vorgänge als Erscheinungen hervor¬
gehen, in dem Unbewußten des Verfassers zu erkennen sei. Noch mehr, wir
finden für diese Substanz in seiner Lehre überhaupt keinen Platz. Die letztere
will Monismus sein, in Wahrheit ist sie ein ausgesprochener Dualismus.
Der ganze Weltlauf wird, wie wir gesehen haben, in derselben stets als das
bald einträchtige, bald zwieträchtige Wirken zweier Mächte dargestellt, die im
Grunde doch nichts als ein negatives Prädicat gemeinsam haben. Wo sie
wahrhaft in und zu einem Dritten vereinigt sind, ist dies ein Reales,
Jnnerweltliches, keineswegs ein Metaphysisches, Außerweltliches, wie es doch
sein müßte, wenn das Wort, daß W. und V. Attribute Einer Substanz
seien, einen Sinn haben soll. So erfahren wir denn auch nirgend in positiver
Weise, wie das Verhältniß der angeblichen Substanz zu ihren Attributen
zu denken ist, weder in Bezug auf jene vorweltliche Existenz, wo diese Attri¬
bute innerhalb ihrer Substanz ruhend neben einander liegen, noch in Bezug
aus ihr Dasein in der Welt, wo sie in die Vielheit der Nealwesen aufge-
gangen sind. Die angebliche Substanz des Verfassers ist eben eine Summe,
Wille Vorstellung, d. h. W. und V. sind die eigentlich letzten Principien,
und "das Unbewußte" als einheitliche Substanz ist genau, wie es S. 673
von der Substanz Spinoza's heißt, nur -- Postulat, d. h. ein aus den
Mitteln des Systems nicht zu Beweisendes. So wird zuletzt der unbewußte
Gott geglaubt wie der bewußte.

Um nun unser Gesammturtheil über diese jüngste Leistung deutscher spe¬
kulativer Philosophie abzugeben, so haben wir oben angedeutet, worin wir
das nicht gering anzuschlagende Verdienst derselben sehen. Dagegen finden
wir den Grundirrthum des Verfassers darin, daß er, der dem entschiedensten
Spiritualismus huldigt (denn auch sein Wille ist, wie er ausdrücklich betont,
ein immaterielles, geistiges Princip), der also die Welt aus dem Geiste ge¬
boren wissen will, daß er diesem Geiste das Bewußtsein seiner selbst nimmt
und ihn in zwei diametral entgegengesetzte Bestandtheile zerschneidet, welche
die Einheit des Geistes, wie wir sahen, zersprengen. Aus diesem Proton-
Pseudos folgen die übrigen, der Pessimismus des Verfassers, die Bewußt-
seinstheorie, die an sich richtige und doch mit dem Grundprincip unverein¬
bare Handhabung des Zweckbegriffs. Man würde jedoch sehr irren, wenn
man hiernach den Verfasser sür einen Halbphilosophen halten wollte. Im
Gegentheil, die "Philosophie des Unbewußten" verkündigt eine echte philo-


in unser Bewußtsein fallen, im Allgemeinen auf das Überzeugendste
nachgewiesen hat. Wir sehen hierin den glücklichen Wurf des Verfassers,
eine fruchtbare, voraussichtlich folgenreiche psychologische Anregung, aber wir
leugnen, daß die höhere geistige Substanz, aus deren Wesen jene uns (Thie¬
ren, Pflanzen) unbewußt bleibenden Vorgänge als Erscheinungen hervor¬
gehen, in dem Unbewußten des Verfassers zu erkennen sei. Noch mehr, wir
finden für diese Substanz in seiner Lehre überhaupt keinen Platz. Die letztere
will Monismus sein, in Wahrheit ist sie ein ausgesprochener Dualismus.
Der ganze Weltlauf wird, wie wir gesehen haben, in derselben stets als das
bald einträchtige, bald zwieträchtige Wirken zweier Mächte dargestellt, die im
Grunde doch nichts als ein negatives Prädicat gemeinsam haben. Wo sie
wahrhaft in und zu einem Dritten vereinigt sind, ist dies ein Reales,
Jnnerweltliches, keineswegs ein Metaphysisches, Außerweltliches, wie es doch
sein müßte, wenn das Wort, daß W. und V. Attribute Einer Substanz
seien, einen Sinn haben soll. So erfahren wir denn auch nirgend in positiver
Weise, wie das Verhältniß der angeblichen Substanz zu ihren Attributen
zu denken ist, weder in Bezug auf jene vorweltliche Existenz, wo diese Attri¬
bute innerhalb ihrer Substanz ruhend neben einander liegen, noch in Bezug
aus ihr Dasein in der Welt, wo sie in die Vielheit der Nealwesen aufge-
gangen sind. Die angebliche Substanz des Verfassers ist eben eine Summe,
Wille Vorstellung, d. h. W. und V. sind die eigentlich letzten Principien,
und „das Unbewußte" als einheitliche Substanz ist genau, wie es S. 673
von der Substanz Spinoza's heißt, nur — Postulat, d. h. ein aus den
Mitteln des Systems nicht zu Beweisendes. So wird zuletzt der unbewußte
Gott geglaubt wie der bewußte.

Um nun unser Gesammturtheil über diese jüngste Leistung deutscher spe¬
kulativer Philosophie abzugeben, so haben wir oben angedeutet, worin wir
das nicht gering anzuschlagende Verdienst derselben sehen. Dagegen finden
wir den Grundirrthum des Verfassers darin, daß er, der dem entschiedensten
Spiritualismus huldigt (denn auch sein Wille ist, wie er ausdrücklich betont,
ein immaterielles, geistiges Princip), der also die Welt aus dem Geiste ge¬
boren wissen will, daß er diesem Geiste das Bewußtsein seiner selbst nimmt
und ihn in zwei diametral entgegengesetzte Bestandtheile zerschneidet, welche
die Einheit des Geistes, wie wir sahen, zersprengen. Aus diesem Proton-
Pseudos folgen die übrigen, der Pessimismus des Verfassers, die Bewußt-
seinstheorie, die an sich richtige und doch mit dem Grundprincip unverein¬
bare Handhabung des Zweckbegriffs. Man würde jedoch sehr irren, wenn
man hiernach den Verfasser sür einen Halbphilosophen halten wollte. Im
Gegentheil, die „Philosophie des Unbewußten" verkündigt eine echte philo-


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[0070] in unser Bewußtsein fallen, im Allgemeinen auf das Überzeugendste nachgewiesen hat. Wir sehen hierin den glücklichen Wurf des Verfassers, eine fruchtbare, voraussichtlich folgenreiche psychologische Anregung, aber wir leugnen, daß die höhere geistige Substanz, aus deren Wesen jene uns (Thie¬ ren, Pflanzen) unbewußt bleibenden Vorgänge als Erscheinungen hervor¬ gehen, in dem Unbewußten des Verfassers zu erkennen sei. Noch mehr, wir finden für diese Substanz in seiner Lehre überhaupt keinen Platz. Die letztere will Monismus sein, in Wahrheit ist sie ein ausgesprochener Dualismus. Der ganze Weltlauf wird, wie wir gesehen haben, in derselben stets als das bald einträchtige, bald zwieträchtige Wirken zweier Mächte dargestellt, die im Grunde doch nichts als ein negatives Prädicat gemeinsam haben. Wo sie wahrhaft in und zu einem Dritten vereinigt sind, ist dies ein Reales, Jnnerweltliches, keineswegs ein Metaphysisches, Außerweltliches, wie es doch sein müßte, wenn das Wort, daß W. und V. Attribute Einer Substanz seien, einen Sinn haben soll. So erfahren wir denn auch nirgend in positiver Weise, wie das Verhältniß der angeblichen Substanz zu ihren Attributen zu denken ist, weder in Bezug auf jene vorweltliche Existenz, wo diese Attri¬ bute innerhalb ihrer Substanz ruhend neben einander liegen, noch in Bezug aus ihr Dasein in der Welt, wo sie in die Vielheit der Nealwesen aufge- gangen sind. Die angebliche Substanz des Verfassers ist eben eine Summe, Wille Vorstellung, d. h. W. und V. sind die eigentlich letzten Principien, und „das Unbewußte" als einheitliche Substanz ist genau, wie es S. 673 von der Substanz Spinoza's heißt, nur — Postulat, d. h. ein aus den Mitteln des Systems nicht zu Beweisendes. So wird zuletzt der unbewußte Gott geglaubt wie der bewußte. Um nun unser Gesammturtheil über diese jüngste Leistung deutscher spe¬ kulativer Philosophie abzugeben, so haben wir oben angedeutet, worin wir das nicht gering anzuschlagende Verdienst derselben sehen. Dagegen finden wir den Grundirrthum des Verfassers darin, daß er, der dem entschiedensten Spiritualismus huldigt (denn auch sein Wille ist, wie er ausdrücklich betont, ein immaterielles, geistiges Princip), der also die Welt aus dem Geiste ge¬ boren wissen will, daß er diesem Geiste das Bewußtsein seiner selbst nimmt und ihn in zwei diametral entgegengesetzte Bestandtheile zerschneidet, welche die Einheit des Geistes, wie wir sahen, zersprengen. Aus diesem Proton- Pseudos folgen die übrigen, der Pessimismus des Verfassers, die Bewußt- seinstheorie, die an sich richtige und doch mit dem Grundprincip unverein¬ bare Handhabung des Zweckbegriffs. Man würde jedoch sehr irren, wenn man hiernach den Verfasser sür einen Halbphilosophen halten wollte. Im Gegentheil, die „Philosophie des Unbewußten" verkündigt eine echte philo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/70>, abgerufen am 26.06.2024.