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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Die Wünsche der Bevölkerung waren auf eine Volksvertretung gerichtet,
und es ist dabei schwerlich Jemandem in den Sinn gekommen, dabei das
Volk als ein nach Berufsclassen getheiltes zu denken und nur für einzelne
dieser Berussclassen eine Vertretung zu verlangen. Aber die Verfassung zer¬
legt künstlich das Volk in einzelne Berufsstände und baut aus diese künstlich
geschaffene Verschiedenheit der Interessen eine Vertretung auf, an welcher nur
ein Theil des Volkes je nach dem Gewicht, welches man einzelnen Berufs¬
classen beimißt, betheiligt ist.

Die Vertretung soll aus 21 Personen bestehen, von welchen drei -- die
Besitzer der drei Rittergüter im Lande -- aus eigenem Recht in derselben
Sitz und Stimme haben, während die übrigen -- drei Pastoren, drei städti¬
sche, neun bäuerliche und drei Domanialpächter ° Vertreter -- von und aus
diesen Classen gewählt werden.

Die drei Rittergutsbesitzer, von denen wohl überhaupt kaum anzunehmen
ist, daß sie von dem ihnen dargebotenen Rechte Gebrauch machen werden,
stehen dem Lande mit ihren Interessen sehr fern. Zwei von den drei ratze-
burgischen Rittergütern liegen ganz abseits, das eine meilenweit von dem
Lande, zu welchem es gehört, entfernt, und beide von anderem Gebiete
rings eingeschlossen. Ihre Besitzer wohnen in Mecklenburg-Schwerin auf ihren
dortigen Gütern und sind Mitglieder der mecklenburgischen Ritterschaft. Das
dritte Rittergut liegt zwar in räumlichem Zusammenhange mit dem übrigen
Lande, ist aber gleichfalls nicht der Wohnsitz des Grundherrn.

Pastoren gibt es im Lande nur acht. Da' diese acht drei Abgeordnete
aus ihrer Mitte stellen sollen, so sind sie nächst den Rittern die meistbe¬
günstigte Classe, und von allen Classen des Gelehrtenstandes die allein be¬
günstigte. Auf eine Vertretung der kirchlichen Interessen kann es dabei nicht
abgesehen sein, da diese in der Verfassung ausdrücklich von dem Wirkungskreise
der Vertretung ausgeschlossen werden und auch das Schulwesen nur "nach
seiner äußeren Seite" dazu gehört. Es kann daher bei dieser Bevorzugung
der Pastoren wohl nur die Absicht obgewaltet haben, den bei ihnen voraus¬
gesetzten loyalen Geist in möglichst starker Dosis der Versammlung der Ab¬
geordneten zu Gute kommen zu lassen.

Das stadtbürgerliche Element in der Versammlung sollen drei Schön-
berger bilden, und für gute Wahlen im Sinne der Regierung wird dabei
durch folgende Vorkehrungen gesorgt: der eine Abgeordnete wird von den
drei Magistratsmitgliedern und den vier Quartiersmännern (Bürgerrepräsen¬
tanten) aus der Zahl der ersteren gewählt, ein Mittel, welches um so siche¬
rer wirken wird, als für die loyale Gesinnung der Magistratsmitglieder darin
eine hinlängliche Bürgschaft liegt, daß der Bürgermeister vom Landesherrn
und die beiden Rathmänner von der Landvogtei, der obersten Landesver-


Grenzboten 1.1870. 7

Die Wünsche der Bevölkerung waren auf eine Volksvertretung gerichtet,
und es ist dabei schwerlich Jemandem in den Sinn gekommen, dabei das
Volk als ein nach Berufsclassen getheiltes zu denken und nur für einzelne
dieser Berussclassen eine Vertretung zu verlangen. Aber die Verfassung zer¬
legt künstlich das Volk in einzelne Berufsstände und baut aus diese künstlich
geschaffene Verschiedenheit der Interessen eine Vertretung auf, an welcher nur
ein Theil des Volkes je nach dem Gewicht, welches man einzelnen Berufs¬
classen beimißt, betheiligt ist.

Die Vertretung soll aus 21 Personen bestehen, von welchen drei — die
Besitzer der drei Rittergüter im Lande — aus eigenem Recht in derselben
Sitz und Stimme haben, während die übrigen — drei Pastoren, drei städti¬
sche, neun bäuerliche und drei Domanialpächter ° Vertreter — von und aus
diesen Classen gewählt werden.

Die drei Rittergutsbesitzer, von denen wohl überhaupt kaum anzunehmen
ist, daß sie von dem ihnen dargebotenen Rechte Gebrauch machen werden,
stehen dem Lande mit ihren Interessen sehr fern. Zwei von den drei ratze-
burgischen Rittergütern liegen ganz abseits, das eine meilenweit von dem
Lande, zu welchem es gehört, entfernt, und beide von anderem Gebiete
rings eingeschlossen. Ihre Besitzer wohnen in Mecklenburg-Schwerin auf ihren
dortigen Gütern und sind Mitglieder der mecklenburgischen Ritterschaft. Das
dritte Rittergut liegt zwar in räumlichem Zusammenhange mit dem übrigen
Lande, ist aber gleichfalls nicht der Wohnsitz des Grundherrn.

Pastoren gibt es im Lande nur acht. Da' diese acht drei Abgeordnete
aus ihrer Mitte stellen sollen, so sind sie nächst den Rittern die meistbe¬
günstigte Classe, und von allen Classen des Gelehrtenstandes die allein be¬
günstigte. Auf eine Vertretung der kirchlichen Interessen kann es dabei nicht
abgesehen sein, da diese in der Verfassung ausdrücklich von dem Wirkungskreise
der Vertretung ausgeschlossen werden und auch das Schulwesen nur „nach
seiner äußeren Seite" dazu gehört. Es kann daher bei dieser Bevorzugung
der Pastoren wohl nur die Absicht obgewaltet haben, den bei ihnen voraus¬
gesetzten loyalen Geist in möglichst starker Dosis der Versammlung der Ab¬
geordneten zu Gute kommen zu lassen.

Das stadtbürgerliche Element in der Versammlung sollen drei Schön-
berger bilden, und für gute Wahlen im Sinne der Regierung wird dabei
durch folgende Vorkehrungen gesorgt: der eine Abgeordnete wird von den
drei Magistratsmitgliedern und den vier Quartiersmännern (Bürgerrepräsen¬
tanten) aus der Zahl der ersteren gewählt, ein Mittel, welches um so siche¬
rer wirken wird, als für die loyale Gesinnung der Magistratsmitglieder darin
eine hinlängliche Bürgschaft liegt, daß der Bürgermeister vom Landesherrn
und die beiden Rathmänner von der Landvogtei, der obersten Landesver-


Grenzboten 1.1870. 7
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/55>, abgerufen am 26.06.2024.