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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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das Latein; alljährlich erscheint in dieser Sprache eine nicht unbedeutende Zahl
von Büchern und Abhandlungen, nicht nur Universitäts- und academische
Schriften, nicht nur umfangreiche Einleitungen und Abhandlungen vor den
-- nicht geschützten -- Ausgaben der Classiker, auch Werke anderer Wissen¬
schaften, in denen Resultate ernster Forschung zu schnellem Gemeingut
der Gelehrten aller Culturvölker werden sollen. Nicht wenige der berühm¬
testen Philologen Deutschlands: F. A. Wolf, G. Hermann, Lobeck haben sich
gern oder fast ausschließlich der lateinischen Sprache bedient, wesentlich da¬
durch wird die maßgebende Bedeutung vermittelt, welche unsere wissenschaftliche
Forschung bei Italienern, Franzosen, Engländern genießt. Es kann nicht
die Absicht der Gesetzgebung sein, in diesen internationalen Verkehr stiller
Gelehrten, auf welchem zur Zeit noch ein gutes Stück deutschen Selbstgefühls
ruht, störend einzugreifen, und der Reichstag wird nicht unsere Gelehrten
zwingen wollen, deutsch zu schreiben, indem er ihre lateinischen Arbeiten für
vogelfrei erklärt und Originalwerken in lateinischer Sprache den Schutz
nimmt, welchen jede Uebersetzung derselben genießt.

Denn für diesen lateinisch geschriebenen Theil unserer Literatur ist das
alinög, b) bewilligte Recht, sich die Uebersetzung auf dem Titelblatt u. s. w.
vorbehalten zu dürfen, gar nicht verwendbar. Eine Uebersetzung ins Deutsche
müßte binnen einem Jahre nach dem Erscheinen des Originalwerkes begonnen
sein. Es wäre unthunlich, unserer Wissenschaft einen solchen Zwang aufzulegen.
In sehr vielen Fällen wird den Gelehrten das Pflichtgefühl verhindern.
Wenn er bei einer Academie oder gelehrten Gesellschaft, oder wenn er zu neuer
Ausgabe eines Classikers eine Abhandlung in lateinischer Sprache geschrieben
hat, so würde er durch eine in Jahresfrist folgende deutsche Ausgabe sei¬
ner Gesellschaft oder seinem Verleger einen Theil der Ehre und des Ertrages
nehmen. Zuverlässig liegt dem Gelehrten selbst am Herzen, den Gewinn
seiner Forschungen den Landsleuten in zusammenhängender Darstellung und
deutscher Sprache vorzulegen. Dazu brauchen seine Untersuchungen eine ge¬
wisse Reife und einen Abschluß, der sich nicht in einem oder wenigen Jahren
erreichen läßt. Unterdeß bezeichnet er in. seinen lateinischen Abhandlungen
den augenblicklichen Stand seiner Untersuchungen, damit diese den Gleich¬
strebenden vorläufig zu Gute kommen; es wäre sehr hart, wenn ihm der
Mangel eines Urheberrechts gegenüber einer räuberischen Uebersetzung, die
jeder Student anfertigen kann, die Möglichkeit raubte, selbst zu gelegener
Zeit, ungehindert durch fremde Industrie, über die Popularisirung seiner
Arbeiten zu disponiren.

Es ist sehr erfreulich, daß die Commission sich enthalten hat an §. 8
der Regierungs - Vorlage "Schutzfrist des Autorrechts" zu andern. Das


das Latein; alljährlich erscheint in dieser Sprache eine nicht unbedeutende Zahl
von Büchern und Abhandlungen, nicht nur Universitäts- und academische
Schriften, nicht nur umfangreiche Einleitungen und Abhandlungen vor den
— nicht geschützten — Ausgaben der Classiker, auch Werke anderer Wissen¬
schaften, in denen Resultate ernster Forschung zu schnellem Gemeingut
der Gelehrten aller Culturvölker werden sollen. Nicht wenige der berühm¬
testen Philologen Deutschlands: F. A. Wolf, G. Hermann, Lobeck haben sich
gern oder fast ausschließlich der lateinischen Sprache bedient, wesentlich da¬
durch wird die maßgebende Bedeutung vermittelt, welche unsere wissenschaftliche
Forschung bei Italienern, Franzosen, Engländern genießt. Es kann nicht
die Absicht der Gesetzgebung sein, in diesen internationalen Verkehr stiller
Gelehrten, auf welchem zur Zeit noch ein gutes Stück deutschen Selbstgefühls
ruht, störend einzugreifen, und der Reichstag wird nicht unsere Gelehrten
zwingen wollen, deutsch zu schreiben, indem er ihre lateinischen Arbeiten für
vogelfrei erklärt und Originalwerken in lateinischer Sprache den Schutz
nimmt, welchen jede Uebersetzung derselben genießt.

Denn für diesen lateinisch geschriebenen Theil unserer Literatur ist das
alinög, b) bewilligte Recht, sich die Uebersetzung auf dem Titelblatt u. s. w.
vorbehalten zu dürfen, gar nicht verwendbar. Eine Uebersetzung ins Deutsche
müßte binnen einem Jahre nach dem Erscheinen des Originalwerkes begonnen
sein. Es wäre unthunlich, unserer Wissenschaft einen solchen Zwang aufzulegen.
In sehr vielen Fällen wird den Gelehrten das Pflichtgefühl verhindern.
Wenn er bei einer Academie oder gelehrten Gesellschaft, oder wenn er zu neuer
Ausgabe eines Classikers eine Abhandlung in lateinischer Sprache geschrieben
hat, so würde er durch eine in Jahresfrist folgende deutsche Ausgabe sei¬
ner Gesellschaft oder seinem Verleger einen Theil der Ehre und des Ertrages
nehmen. Zuverlässig liegt dem Gelehrten selbst am Herzen, den Gewinn
seiner Forschungen den Landsleuten in zusammenhängender Darstellung und
deutscher Sprache vorzulegen. Dazu brauchen seine Untersuchungen eine ge¬
wisse Reife und einen Abschluß, der sich nicht in einem oder wenigen Jahren
erreichen läßt. Unterdeß bezeichnet er in. seinen lateinischen Abhandlungen
den augenblicklichen Stand seiner Untersuchungen, damit diese den Gleich¬
strebenden vorläufig zu Gute kommen; es wäre sehr hart, wenn ihm der
Mangel eines Urheberrechts gegenüber einer räuberischen Uebersetzung, die
jeder Student anfertigen kann, die Möglichkeit raubte, selbst zu gelegener
Zeit, ungehindert durch fremde Industrie, über die Popularisirung seiner
Arbeiten zu disponiren.

Es ist sehr erfreulich, daß die Commission sich enthalten hat an §. 8
der Regierungs - Vorlage „Schutzfrist des Autorrechts" zu andern. Das


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[0508] das Latein; alljährlich erscheint in dieser Sprache eine nicht unbedeutende Zahl von Büchern und Abhandlungen, nicht nur Universitäts- und academische Schriften, nicht nur umfangreiche Einleitungen und Abhandlungen vor den — nicht geschützten — Ausgaben der Classiker, auch Werke anderer Wissen¬ schaften, in denen Resultate ernster Forschung zu schnellem Gemeingut der Gelehrten aller Culturvölker werden sollen. Nicht wenige der berühm¬ testen Philologen Deutschlands: F. A. Wolf, G. Hermann, Lobeck haben sich gern oder fast ausschließlich der lateinischen Sprache bedient, wesentlich da¬ durch wird die maßgebende Bedeutung vermittelt, welche unsere wissenschaftliche Forschung bei Italienern, Franzosen, Engländern genießt. Es kann nicht die Absicht der Gesetzgebung sein, in diesen internationalen Verkehr stiller Gelehrten, auf welchem zur Zeit noch ein gutes Stück deutschen Selbstgefühls ruht, störend einzugreifen, und der Reichstag wird nicht unsere Gelehrten zwingen wollen, deutsch zu schreiben, indem er ihre lateinischen Arbeiten für vogelfrei erklärt und Originalwerken in lateinischer Sprache den Schutz nimmt, welchen jede Uebersetzung derselben genießt. Denn für diesen lateinisch geschriebenen Theil unserer Literatur ist das alinög, b) bewilligte Recht, sich die Uebersetzung auf dem Titelblatt u. s. w. vorbehalten zu dürfen, gar nicht verwendbar. Eine Uebersetzung ins Deutsche müßte binnen einem Jahre nach dem Erscheinen des Originalwerkes begonnen sein. Es wäre unthunlich, unserer Wissenschaft einen solchen Zwang aufzulegen. In sehr vielen Fällen wird den Gelehrten das Pflichtgefühl verhindern. Wenn er bei einer Academie oder gelehrten Gesellschaft, oder wenn er zu neuer Ausgabe eines Classikers eine Abhandlung in lateinischer Sprache geschrieben hat, so würde er durch eine in Jahresfrist folgende deutsche Ausgabe sei¬ ner Gesellschaft oder seinem Verleger einen Theil der Ehre und des Ertrages nehmen. Zuverlässig liegt dem Gelehrten selbst am Herzen, den Gewinn seiner Forschungen den Landsleuten in zusammenhängender Darstellung und deutscher Sprache vorzulegen. Dazu brauchen seine Untersuchungen eine ge¬ wisse Reife und einen Abschluß, der sich nicht in einem oder wenigen Jahren erreichen läßt. Unterdeß bezeichnet er in. seinen lateinischen Abhandlungen den augenblicklichen Stand seiner Untersuchungen, damit diese den Gleich¬ strebenden vorläufig zu Gute kommen; es wäre sehr hart, wenn ihm der Mangel eines Urheberrechts gegenüber einer räuberischen Uebersetzung, die jeder Student anfertigen kann, die Möglichkeit raubte, selbst zu gelegener Zeit, ungehindert durch fremde Industrie, über die Popularisirung seiner Arbeiten zu disponiren. Es ist sehr erfreulich, daß die Commission sich enthalten hat an §. 8 der Regierungs - Vorlage „Schutzfrist des Autorrechts" zu andern. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/508>, abgerufen am 26.06.2024.