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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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es kein Heimathsrecht, so würde sich jeder Landwirth nach den fleißigsten
intelligentesten Arbeitern umsehen, gerade wie der Fabrikant thut, und sie
im Verhältniß ihrer höheren Leistungen zu bezahlen haben, durch concurri¬
rende Nachfrage gezwungen. So gäbe es doch eine directe Prämie für gute
Aufführung. Intelligenz und Handwerkstüchtigkeit. Unter den ländlichen
Armen ist Bildung als Frucht anhaltender Hingebung ihres Marktwerths
beraubt, und damit fast jedes starken Beweggrundes. Das ist das Ergebniß
der Heimathsgesetzgebung, unter welcher England seufzt."

Ein Ausschuß des Hauses der Gemeinden kam schon 1847 einstimmig
zu dem Schlüsse, daß das bestehende Heimathsrecht sowohl den armen und
arbeitenden Classen, als den Arbeitgebern und insbesondere dem Fortschritt
der Landwirthschaft, endlich aber auch, vermöge der Proceß- und Transport¬
kosten, den Trägern der Armensteuer verderblich sei, -- und mit Stimmen¬
mehrheit zu dem weiteren, praktischen Schlüsse: daß die Transportation von
Armen in ein anderes Kirchspiel abgeschafft werden sollte. Doch gelangte
dieser Antrag nicht ans Haus; wohl aber die Materialien-Sammlung, auf
welche er sich gründete. In derselben befand sich u. a. ein Bericht des Armen-
Jnspectors Revans, der 1833 Schriftführer des parlamentarischen Unter¬
suchungsausschusses gewesen und daher mit dem gesammten Stoff der Frage
besonders vertraut war. Seiner Aussage ist das Nachstehende entlehnt:
"Kurze Pertoden ausgenommen, wie z. B. die Erntezeit, erhält ein länd¬
licher Arbeiter nicht anders Beschäftigung als in seinem eigenen Kirchspiel;
denn zu allen übrigen Zeiten des Jahres verschieben die Steuerzahler die
Arbeit bis dahin, wo die Beschäftigung gewöhnlich nachläßt, weil dann die
ansässigen Arbeiter der Armencasse zur Last fallen, sofern sie nicht beschäf¬
tigt werden. Es ist deswegen für einen Arbeiter fast nutzlos, sich außerhalb
seines Kirchspiels nach Beschäftigung umzusehen. Man würde ihm antwor¬
ten: "Wir haben genug zu thun um Arbeit für unsere eigenen Leute zu
finden." Sollte aber Einer zufällig außerhalb seiner Heimathsgemeinde Be¬
schäftigung finden, so wird er bei der ersten Gelegenheit, wo die Arbeit für
die dort ansässigen Leute nicht ausreicht, sicher an die Luft gesetzt werden,
hätte er auch sein halbes Leben da zugebracht, sich Bekannte und Freunde
erworben, seine Kinder geboren werden und aufwachsen sehen. Er erhält
dann seinen Lohn dafür, daß er sich auswärts nach Beschäftigung umge¬
than hat. Heimgekehrt, findet er die Wohnung, welche er und die Seinigen
vordem einnahmen, entweder von Anderen besetzt oder niedergerissen. Das
einzige Obdach, welches ihm offen steht, ist das Armenhaus. Vielleicht findet
er auch ein Unterkommen in der nächsten Stadt oder in irgend einem Dorfe,
das mehreren Grundeigenthümern gehört und deswegen besser mit Arbeiter¬
wohnungen versehen ist. Aber dann muß er es sich gefallen lassen, Morgens


es kein Heimathsrecht, so würde sich jeder Landwirth nach den fleißigsten
intelligentesten Arbeitern umsehen, gerade wie der Fabrikant thut, und sie
im Verhältniß ihrer höheren Leistungen zu bezahlen haben, durch concurri¬
rende Nachfrage gezwungen. So gäbe es doch eine directe Prämie für gute
Aufführung. Intelligenz und Handwerkstüchtigkeit. Unter den ländlichen
Armen ist Bildung als Frucht anhaltender Hingebung ihres Marktwerths
beraubt, und damit fast jedes starken Beweggrundes. Das ist das Ergebniß
der Heimathsgesetzgebung, unter welcher England seufzt."

Ein Ausschuß des Hauses der Gemeinden kam schon 1847 einstimmig
zu dem Schlüsse, daß das bestehende Heimathsrecht sowohl den armen und
arbeitenden Classen, als den Arbeitgebern und insbesondere dem Fortschritt
der Landwirthschaft, endlich aber auch, vermöge der Proceß- und Transport¬
kosten, den Trägern der Armensteuer verderblich sei, — und mit Stimmen¬
mehrheit zu dem weiteren, praktischen Schlüsse: daß die Transportation von
Armen in ein anderes Kirchspiel abgeschafft werden sollte. Doch gelangte
dieser Antrag nicht ans Haus; wohl aber die Materialien-Sammlung, auf
welche er sich gründete. In derselben befand sich u. a. ein Bericht des Armen-
Jnspectors Revans, der 1833 Schriftführer des parlamentarischen Unter¬
suchungsausschusses gewesen und daher mit dem gesammten Stoff der Frage
besonders vertraut war. Seiner Aussage ist das Nachstehende entlehnt:
„Kurze Pertoden ausgenommen, wie z. B. die Erntezeit, erhält ein länd¬
licher Arbeiter nicht anders Beschäftigung als in seinem eigenen Kirchspiel;
denn zu allen übrigen Zeiten des Jahres verschieben die Steuerzahler die
Arbeit bis dahin, wo die Beschäftigung gewöhnlich nachläßt, weil dann die
ansässigen Arbeiter der Armencasse zur Last fallen, sofern sie nicht beschäf¬
tigt werden. Es ist deswegen für einen Arbeiter fast nutzlos, sich außerhalb
seines Kirchspiels nach Beschäftigung umzusehen. Man würde ihm antwor¬
ten: „Wir haben genug zu thun um Arbeit für unsere eigenen Leute zu
finden." Sollte aber Einer zufällig außerhalb seiner Heimathsgemeinde Be¬
schäftigung finden, so wird er bei der ersten Gelegenheit, wo die Arbeit für
die dort ansässigen Leute nicht ausreicht, sicher an die Luft gesetzt werden,
hätte er auch sein halbes Leben da zugebracht, sich Bekannte und Freunde
erworben, seine Kinder geboren werden und aufwachsen sehen. Er erhält
dann seinen Lohn dafür, daß er sich auswärts nach Beschäftigung umge¬
than hat. Heimgekehrt, findet er die Wohnung, welche er und die Seinigen
vordem einnahmen, entweder von Anderen besetzt oder niedergerissen. Das
einzige Obdach, welches ihm offen steht, ist das Armenhaus. Vielleicht findet
er auch ein Unterkommen in der nächsten Stadt oder in irgend einem Dorfe,
das mehreren Grundeigenthümern gehört und deswegen besser mit Arbeiter¬
wohnungen versehen ist. Aber dann muß er es sich gefallen lassen, Morgens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/456>, abgerufen am 29.06.2024.