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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Nachbarn überdies ein ewiges ineiuento mori vorhielten. Die deutschen
Genossen endlich wurden durch den traurigen Ausgang des Frankfurter
Parlaments von ihren großdeutschen Träumen zurückgebracht und bestimmt,
bei dem Ausbau der östreichischen, früher von ihnen verachteten Ver¬
fassung wirksamer zu helfen. So hatte sich eine große, in den wichtigsten
Grundsätzen einige Partei gebildet, welche den Anspruch erheben durfte, im
Sinne der Mehrheit der deutsch-slavischen Völker Oestreichs zu handeln. Zu
dieser traten nun die ungarischen Stämme hinzu; die Serben, Slovaken und
Rumänen schon längst bereit, mit allen östreichischen Ländern ein gleich¬
mäßiges Verhältniß, eine engere Verbindung einzugehen, die Magyaren aber
rasch entschlossen, zu retten, was noch zu retten war, und überzeugt, daß der
Anschluß an die liberale deutsch-slavische Partei sie geringere Opfer kosten
werde, als ein längeres trotziges Beharren in ihrer Abgeschlossenheit. Es
schien auf diese Art eine, freilich nur ganz kurze Zeit möglich, für das ge-
sammte Oestreich eine gemeinsame Verfassung zu gründen. Das Problem
hatten nicht wir gestellt, die Regierung hatte es aufgeworfen, indem sie die
oetroyirte Verfassung vom 4. März auf alle Länder (die Lombardei aus¬
genommen) ausdehnte. Es galt nur, eine bessere Lösung des Problems zu
finden, als in der eilfertig zusammengestoppelten Märzverfafsung gegeben
war. Diese bessere Lösung erkannten wir in der Föderativverfassung, welche
allein der politischen Tradition Ungarns sich näherte, das alte ungarische
Reich zwar zerstörte -- wer dachte 1849 an die Möglichkeit seiner Wieder¬
herstellung? -- aber dem Lande doch eine relative Selbständigkeit, dem Volke
seine Freiheit sicherte. Die Rücksicht auf Ungarn war bei der Empfehlung
der Föderativversassung ein Hauptgesichtspunkt, kaum weniger durchgreifend
als der andere, die zahlreichen, stets kampsbereiten Nationalitäten Oestreichs
auseinander zu halten, sie durch Erweiterung der Landtagsrechte an häusliche
politische Arbeit zu gewöhnen und durch Zuweisung einer lockenden hei¬
mischen Stätte an allen Fluchtgedanken aus Oestreich hinaus zu hindern.
Von den Ruthenen, Rumänen und Südslaven wurde verlangt, daß sie inner¬
halb der östreichischen Grenzen ihr politisches Schicksal sich erfüllen lassen,
selbstverständlich durfte dann auch von den Deutschen erwartet werden, daß
sie fortan aufhörten, sich gleichzeitig an zwei Staatenvereinen zu betheiligen,
daß sie in eine Loslösung Oestreichs von dem deutschen Bunde willigten. Ob
das Programm der Föderativversassung sich bewährt hätte, darüber geben
sich jetzt entgegengesetzte Stimmen kund. Ich glaube: Ja, und weiß, daß die¬
ser Glauben vor zwanzig Jahren von der überwiegenden Mehrheit des östrei¬
chischen Volkes getheilt wurde. Den Beweis zu liefern wehrte uns die bald
darauf eingetretene Reaction. Bekanntlich wurde Bischöfen und Generälen
die Regierungssorge ausschließlich übertragen, Seele und Leib Jahrelang in


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Nachbarn überdies ein ewiges ineiuento mori vorhielten. Die deutschen
Genossen endlich wurden durch den traurigen Ausgang des Frankfurter
Parlaments von ihren großdeutschen Träumen zurückgebracht und bestimmt,
bei dem Ausbau der östreichischen, früher von ihnen verachteten Ver¬
fassung wirksamer zu helfen. So hatte sich eine große, in den wichtigsten
Grundsätzen einige Partei gebildet, welche den Anspruch erheben durfte, im
Sinne der Mehrheit der deutsch-slavischen Völker Oestreichs zu handeln. Zu
dieser traten nun die ungarischen Stämme hinzu; die Serben, Slovaken und
Rumänen schon längst bereit, mit allen östreichischen Ländern ein gleich¬
mäßiges Verhältniß, eine engere Verbindung einzugehen, die Magyaren aber
rasch entschlossen, zu retten, was noch zu retten war, und überzeugt, daß der
Anschluß an die liberale deutsch-slavische Partei sie geringere Opfer kosten
werde, als ein längeres trotziges Beharren in ihrer Abgeschlossenheit. Es
schien auf diese Art eine, freilich nur ganz kurze Zeit möglich, für das ge-
sammte Oestreich eine gemeinsame Verfassung zu gründen. Das Problem
hatten nicht wir gestellt, die Regierung hatte es aufgeworfen, indem sie die
oetroyirte Verfassung vom 4. März auf alle Länder (die Lombardei aus¬
genommen) ausdehnte. Es galt nur, eine bessere Lösung des Problems zu
finden, als in der eilfertig zusammengestoppelten Märzverfafsung gegeben
war. Diese bessere Lösung erkannten wir in der Föderativverfassung, welche
allein der politischen Tradition Ungarns sich näherte, das alte ungarische
Reich zwar zerstörte — wer dachte 1849 an die Möglichkeit seiner Wieder¬
herstellung? — aber dem Lande doch eine relative Selbständigkeit, dem Volke
seine Freiheit sicherte. Die Rücksicht auf Ungarn war bei der Empfehlung
der Föderativversassung ein Hauptgesichtspunkt, kaum weniger durchgreifend
als der andere, die zahlreichen, stets kampsbereiten Nationalitäten Oestreichs
auseinander zu halten, sie durch Erweiterung der Landtagsrechte an häusliche
politische Arbeit zu gewöhnen und durch Zuweisung einer lockenden hei¬
mischen Stätte an allen Fluchtgedanken aus Oestreich hinaus zu hindern.
Von den Ruthenen, Rumänen und Südslaven wurde verlangt, daß sie inner¬
halb der östreichischen Grenzen ihr politisches Schicksal sich erfüllen lassen,
selbstverständlich durfte dann auch von den Deutschen erwartet werden, daß
sie fortan aufhörten, sich gleichzeitig an zwei Staatenvereinen zu betheiligen,
daß sie in eine Loslösung Oestreichs von dem deutschen Bunde willigten. Ob
das Programm der Föderativversassung sich bewährt hätte, darüber geben
sich jetzt entgegengesetzte Stimmen kund. Ich glaube: Ja, und weiß, daß die¬
ser Glauben vor zwanzig Jahren von der überwiegenden Mehrheit des östrei¬
chischen Volkes getheilt wurde. Den Beweis zu liefern wehrte uns die bald
darauf eingetretene Reaction. Bekanntlich wurde Bischöfen und Generälen
die Regierungssorge ausschließlich übertragen, Seele und Leib Jahrelang in


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[0449] Nachbarn überdies ein ewiges ineiuento mori vorhielten. Die deutschen Genossen endlich wurden durch den traurigen Ausgang des Frankfurter Parlaments von ihren großdeutschen Träumen zurückgebracht und bestimmt, bei dem Ausbau der östreichischen, früher von ihnen verachteten Ver¬ fassung wirksamer zu helfen. So hatte sich eine große, in den wichtigsten Grundsätzen einige Partei gebildet, welche den Anspruch erheben durfte, im Sinne der Mehrheit der deutsch-slavischen Völker Oestreichs zu handeln. Zu dieser traten nun die ungarischen Stämme hinzu; die Serben, Slovaken und Rumänen schon längst bereit, mit allen östreichischen Ländern ein gleich¬ mäßiges Verhältniß, eine engere Verbindung einzugehen, die Magyaren aber rasch entschlossen, zu retten, was noch zu retten war, und überzeugt, daß der Anschluß an die liberale deutsch-slavische Partei sie geringere Opfer kosten werde, als ein längeres trotziges Beharren in ihrer Abgeschlossenheit. Es schien auf diese Art eine, freilich nur ganz kurze Zeit möglich, für das ge- sammte Oestreich eine gemeinsame Verfassung zu gründen. Das Problem hatten nicht wir gestellt, die Regierung hatte es aufgeworfen, indem sie die oetroyirte Verfassung vom 4. März auf alle Länder (die Lombardei aus¬ genommen) ausdehnte. Es galt nur, eine bessere Lösung des Problems zu finden, als in der eilfertig zusammengestoppelten Märzverfafsung gegeben war. Diese bessere Lösung erkannten wir in der Föderativverfassung, welche allein der politischen Tradition Ungarns sich näherte, das alte ungarische Reich zwar zerstörte — wer dachte 1849 an die Möglichkeit seiner Wieder¬ herstellung? — aber dem Lande doch eine relative Selbständigkeit, dem Volke seine Freiheit sicherte. Die Rücksicht auf Ungarn war bei der Empfehlung der Föderativversassung ein Hauptgesichtspunkt, kaum weniger durchgreifend als der andere, die zahlreichen, stets kampsbereiten Nationalitäten Oestreichs auseinander zu halten, sie durch Erweiterung der Landtagsrechte an häusliche politische Arbeit zu gewöhnen und durch Zuweisung einer lockenden hei¬ mischen Stätte an allen Fluchtgedanken aus Oestreich hinaus zu hindern. Von den Ruthenen, Rumänen und Südslaven wurde verlangt, daß sie inner¬ halb der östreichischen Grenzen ihr politisches Schicksal sich erfüllen lassen, selbstverständlich durfte dann auch von den Deutschen erwartet werden, daß sie fortan aufhörten, sich gleichzeitig an zwei Staatenvereinen zu betheiligen, daß sie in eine Loslösung Oestreichs von dem deutschen Bunde willigten. Ob das Programm der Föderativversassung sich bewährt hätte, darüber geben sich jetzt entgegengesetzte Stimmen kund. Ich glaube: Ja, und weiß, daß die¬ ser Glauben vor zwanzig Jahren von der überwiegenden Mehrheit des östrei¬ chischen Volkes getheilt wurde. Den Beweis zu liefern wehrte uns die bald darauf eingetretene Reaction. Bekanntlich wurde Bischöfen und Generälen die Regierungssorge ausschließlich übertragen, Seele und Leib Jahrelang in 66*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/449>, abgerufen am 26.06.2024.