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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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seines Werkes der authentische Abdruck seiner niedergesehriebenen Worte, der
Notenzeichen oder der geschwungenen Linien sei. Was er so dem Publicum
dargeboten hat, das hat er völlig bis auf Wortlaut und Punkt zu vertreten,
so lange er lebt, und nach seinem Tode hängt sein Ruf davon ab und die Ehre
seines Gedächtnisses. Der Verleger aber bürgt mit seiner geschäftlichen Ehre
dafür, daß das Buch diese Sicherheit der Reproduction gewähre und auch er
setzt deshalb den Namen seiner Firma auf die Titelseite des Buches.

Lange vor Erfindung des Bücherdrucks zürnten die Autoren dem unbefug¬
ten Abschreiber, welcher ihnen durch Gedankenlosigkeit oder eigene Zuthat den
Sinn der Worte entstellte, ausließ und veränderte. Schon im kaiserlichen Rom
übergab der Schriftsteller in dem Bedürfniß einer zuverlässigen Vervielfältigung
gern seine Schrift einem bewährten Unternehmer von Abschriften, und an den
mittelalterlichen Universitäten Italiens wurden die Lehrbücher der Studenten
durch approbirte Unterbeamte in corrigirten Abschriften und zu festen Preisen
vertrieben. Seit Erfindung der Druckschrift galt das unberechtigte Abdrucken
eines bereits gedruckten Werkes für eine tadelnswerthe Sache, gegen welche
nicht nur die geschädigten Verleger die Faust ballten, sondern ebenso die Au¬
toren, welche damals noch nicht durch ein besonderes Honorar-Interesse
an den Verleger gebunden waren. Sogar bet den kleinen politischen und
religiösen Flugschriften des 16. Jahrhunderts, welche wesentlich die Stelle
unserer Zeitungsartikel vertraten, und bei denen die Autoren den Nachdruck
im Ganzen für einen Vortheil halten konnten, erscholl laut ihre Klage gegen
die falschen Drucke. Der größte Tagesschriftsteller des 16- Jahrhunderts,
Luther, hat in seiner gewaltigen Art gelegentlich gegen die schnöden Nach¬
drucker gewettert und seine Büchlein zu zuverlässigem Druck bald dem einen,
bald dem andern bittenden Drucker zugetheilt. Je ausgebildeter der litera¬
rische Verkehr wurde, um so verächtlicher und verhaßter erschien der Nachdruck.
Immer häufiger wurden kaiserliche Privilegien erkauft, durch welche die Straf¬
fälligkeit des Nachdrucks für ein einzelnes Werk ausgesprochen wurde. End¬
lich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gelangten folgende große
Grundsätze des literanschen Verkehrs aus der ethischen Empfindung der Zeitge¬
nossen zur rechtlichen Anerkennung: daß die Herstellung authentischer Texte
bei neuen Druckwerken ein öffentliches Interesse sei. daß der Nachdruck eine
strafbare Täuschung des Publikums sei, weil der Nachdrucker unter dem Na¬
men des Autors und unter dem Titel seiner Arbeit einen Text verbreite,
welchen der Autor nicht genehmigt hat; daß die Gesetzgebung dringende
Veranlassung habe, die Straffälligkeit des Nachdrucks festzustellen, weil der¬
selbe zahlreiche, wohlerworbene Rechte beeinträchtige, ernsthafte Störung des
literarischen Verkehrs herbeiführe, die Ursache endloser Händel geworden


seines Werkes der authentische Abdruck seiner niedergesehriebenen Worte, der
Notenzeichen oder der geschwungenen Linien sei. Was er so dem Publicum
dargeboten hat, das hat er völlig bis auf Wortlaut und Punkt zu vertreten,
so lange er lebt, und nach seinem Tode hängt sein Ruf davon ab und die Ehre
seines Gedächtnisses. Der Verleger aber bürgt mit seiner geschäftlichen Ehre
dafür, daß das Buch diese Sicherheit der Reproduction gewähre und auch er
setzt deshalb den Namen seiner Firma auf die Titelseite des Buches.

Lange vor Erfindung des Bücherdrucks zürnten die Autoren dem unbefug¬
ten Abschreiber, welcher ihnen durch Gedankenlosigkeit oder eigene Zuthat den
Sinn der Worte entstellte, ausließ und veränderte. Schon im kaiserlichen Rom
übergab der Schriftsteller in dem Bedürfniß einer zuverlässigen Vervielfältigung
gern seine Schrift einem bewährten Unternehmer von Abschriften, und an den
mittelalterlichen Universitäten Italiens wurden die Lehrbücher der Studenten
durch approbirte Unterbeamte in corrigirten Abschriften und zu festen Preisen
vertrieben. Seit Erfindung der Druckschrift galt das unberechtigte Abdrucken
eines bereits gedruckten Werkes für eine tadelnswerthe Sache, gegen welche
nicht nur die geschädigten Verleger die Faust ballten, sondern ebenso die Au¬
toren, welche damals noch nicht durch ein besonderes Honorar-Interesse
an den Verleger gebunden waren. Sogar bet den kleinen politischen und
religiösen Flugschriften des 16. Jahrhunderts, welche wesentlich die Stelle
unserer Zeitungsartikel vertraten, und bei denen die Autoren den Nachdruck
im Ganzen für einen Vortheil halten konnten, erscholl laut ihre Klage gegen
die falschen Drucke. Der größte Tagesschriftsteller des 16- Jahrhunderts,
Luther, hat in seiner gewaltigen Art gelegentlich gegen die schnöden Nach¬
drucker gewettert und seine Büchlein zu zuverlässigem Druck bald dem einen,
bald dem andern bittenden Drucker zugetheilt. Je ausgebildeter der litera¬
rische Verkehr wurde, um so verächtlicher und verhaßter erschien der Nachdruck.
Immer häufiger wurden kaiserliche Privilegien erkauft, durch welche die Straf¬
fälligkeit des Nachdrucks für ein einzelnes Werk ausgesprochen wurde. End¬
lich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gelangten folgende große
Grundsätze des literanschen Verkehrs aus der ethischen Empfindung der Zeitge¬
nossen zur rechtlichen Anerkennung: daß die Herstellung authentischer Texte
bei neuen Druckwerken ein öffentliches Interesse sei. daß der Nachdruck eine
strafbare Täuschung des Publikums sei, weil der Nachdrucker unter dem Na¬
men des Autors und unter dem Titel seiner Arbeit einen Text verbreite,
welchen der Autor nicht genehmigt hat; daß die Gesetzgebung dringende
Veranlassung habe, die Straffälligkeit des Nachdrucks festzustellen, weil der¬
selbe zahlreiche, wohlerworbene Rechte beeinträchtige, ernsthafte Störung des
literarischen Verkehrs herbeiführe, die Ursache endloser Händel geworden


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[0443] seines Werkes der authentische Abdruck seiner niedergesehriebenen Worte, der Notenzeichen oder der geschwungenen Linien sei. Was er so dem Publicum dargeboten hat, das hat er völlig bis auf Wortlaut und Punkt zu vertreten, so lange er lebt, und nach seinem Tode hängt sein Ruf davon ab und die Ehre seines Gedächtnisses. Der Verleger aber bürgt mit seiner geschäftlichen Ehre dafür, daß das Buch diese Sicherheit der Reproduction gewähre und auch er setzt deshalb den Namen seiner Firma auf die Titelseite des Buches. Lange vor Erfindung des Bücherdrucks zürnten die Autoren dem unbefug¬ ten Abschreiber, welcher ihnen durch Gedankenlosigkeit oder eigene Zuthat den Sinn der Worte entstellte, ausließ und veränderte. Schon im kaiserlichen Rom übergab der Schriftsteller in dem Bedürfniß einer zuverlässigen Vervielfältigung gern seine Schrift einem bewährten Unternehmer von Abschriften, und an den mittelalterlichen Universitäten Italiens wurden die Lehrbücher der Studenten durch approbirte Unterbeamte in corrigirten Abschriften und zu festen Preisen vertrieben. Seit Erfindung der Druckschrift galt das unberechtigte Abdrucken eines bereits gedruckten Werkes für eine tadelnswerthe Sache, gegen welche nicht nur die geschädigten Verleger die Faust ballten, sondern ebenso die Au¬ toren, welche damals noch nicht durch ein besonderes Honorar-Interesse an den Verleger gebunden waren. Sogar bet den kleinen politischen und religiösen Flugschriften des 16. Jahrhunderts, welche wesentlich die Stelle unserer Zeitungsartikel vertraten, und bei denen die Autoren den Nachdruck im Ganzen für einen Vortheil halten konnten, erscholl laut ihre Klage gegen die falschen Drucke. Der größte Tagesschriftsteller des 16- Jahrhunderts, Luther, hat in seiner gewaltigen Art gelegentlich gegen die schnöden Nach¬ drucker gewettert und seine Büchlein zu zuverlässigem Druck bald dem einen, bald dem andern bittenden Drucker zugetheilt. Je ausgebildeter der litera¬ rische Verkehr wurde, um so verächtlicher und verhaßter erschien der Nachdruck. Immer häufiger wurden kaiserliche Privilegien erkauft, durch welche die Straf¬ fälligkeit des Nachdrucks für ein einzelnes Werk ausgesprochen wurde. End¬ lich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gelangten folgende große Grundsätze des literanschen Verkehrs aus der ethischen Empfindung der Zeitge¬ nossen zur rechtlichen Anerkennung: daß die Herstellung authentischer Texte bei neuen Druckwerken ein öffentliches Interesse sei. daß der Nachdruck eine strafbare Täuschung des Publikums sei, weil der Nachdrucker unter dem Na¬ men des Autors und unter dem Titel seiner Arbeit einen Text verbreite, welchen der Autor nicht genehmigt hat; daß die Gesetzgebung dringende Veranlassung habe, die Straffälligkeit des Nachdrucks festzustellen, weil der¬ selbe zahlreiche, wohlerworbene Rechte beeinträchtige, ernsthafte Störung des literarischen Verkehrs herbeiführe, die Ursache endloser Händel geworden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/443>, abgerufen am 26.06.2024.