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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Krakauer Pfaffen- und Magnaten-Fraction, welche mit den Czechen unter einer
Decke steckt, sah in diesen Jüngern des demokratisch-föderativem Utopien
brauchbare Werkzeuge zum Sturmlauf gegen das liberale System, welches das
Concordat gesprengt, die allgemeine Wehrpflicht hergestellt, Gleichheit aller
Staatsbürger vor dem Gesetz durchgesetzt hatte. Da die Demokratie anfangs
nur geringe Anhängerschaft hatte und diese aus dem Proletariat der Städte
und der grünen Jagend rekrutiren mußte, benutzte man dieselbe unter geschickter
Ausbeutung gewisser administrativer Mißgriffe Goluchowski's zunächst nur zur
Herstellung einer Mittelpartei, welche sich principiell auf den Boden Zemial-
kowski's stellte und angeblich nur dessen letzte Ziele anticipiren d. h. größere
Unabhängigkeit Galiziens von der cisleithanischen Regierung bewirken wollte.
So kamen auf dem Landtage vom Sommer 1868 die bekannten Resolutionen
zu Stande: statt an die lohnende Arbeit einer wirklichen Neugestaltung des
Provinziallebens zu gehen, das verkommene Land materiell und intellectuell
zu heben, erging man sich in hochtönenden Forderungen vollständiger An¬
erkennung der polnisch-galizischen Staatsindividualität, indem man sich gleich-
zeitig zu der albernen Drohung verstieg, Galizien werde bei fortgesetztem
Sträuben der Wiener Regierung gegen die Landeswünsche, von der cislei¬
thanischen zur transleithanischen Reichshälfte übertraten.

Die Folge dieser Thorheit war, daß die Bevölkerung aufgewühlt und von
der Theilnahme für die verhießenen Reformarbeiten ab-, plan- und maßloser
Agitation zugewendet wurde. Goluchowski mußte sein Statthalteramt nieder¬
legen, weil ihm nicht gelungen war, der turbulenter Geister auf dem Land¬
tage Herr zu werden und weiter für den Vertreter der provinziellen Majori¬
tät zu gelten. -- In den letzten achtzehn Monaten ist es soweit gekommen,
daß der ehemalige Statthalter, Zemialkowsky, Dubs und die übrigen "Ma¬
melucken" ihre Mandate niederlegen mußten, um nicht wiedergewählt zu wer¬
den; die Resolutionisten bildeten auf dem Landtage von 1869 die Rechte
und das zwischen Smolka und den Krakauer Reactionären geschlossene Bünd-
niß (man versuchte auch die Ruthenen in dasselbe zu ziehen), sorgte dafür
daß die Resolutionen von 1868 der Bevölkerung für das Minimum der
Forderungen galten, die als Preis für das Verbleiben der polnischen Ver¬
treter im Reichstage verlangt werden müßten. Bei der Schwäche der Wiener
Negierung ist es nicht unmöglich, daß diese Bedingungen erfüllt werden.
Geschieht das, so wird die Rollenvertheilung binnen Kurzem wieder verändert
sein; man wird die Resolutionisten, nachdem man sie abgenutzt, ebenso bei
Seite schieben wie früher die Zemialkowsky und Goluchowski, um Smolka
zum Haupt der Majorität, den Föderalismus zum officiellen Programm
Galiziens zu machen. Ganz abgesehen von dem Einfluß, den dieser Gang
der Dinge auf die Nuthenen geübt hat und noch üben wird -- dieselben


Krakauer Pfaffen- und Magnaten-Fraction, welche mit den Czechen unter einer
Decke steckt, sah in diesen Jüngern des demokratisch-föderativem Utopien
brauchbare Werkzeuge zum Sturmlauf gegen das liberale System, welches das
Concordat gesprengt, die allgemeine Wehrpflicht hergestellt, Gleichheit aller
Staatsbürger vor dem Gesetz durchgesetzt hatte. Da die Demokratie anfangs
nur geringe Anhängerschaft hatte und diese aus dem Proletariat der Städte
und der grünen Jagend rekrutiren mußte, benutzte man dieselbe unter geschickter
Ausbeutung gewisser administrativer Mißgriffe Goluchowski's zunächst nur zur
Herstellung einer Mittelpartei, welche sich principiell auf den Boden Zemial-
kowski's stellte und angeblich nur dessen letzte Ziele anticipiren d. h. größere
Unabhängigkeit Galiziens von der cisleithanischen Regierung bewirken wollte.
So kamen auf dem Landtage vom Sommer 1868 die bekannten Resolutionen
zu Stande: statt an die lohnende Arbeit einer wirklichen Neugestaltung des
Provinziallebens zu gehen, das verkommene Land materiell und intellectuell
zu heben, erging man sich in hochtönenden Forderungen vollständiger An¬
erkennung der polnisch-galizischen Staatsindividualität, indem man sich gleich-
zeitig zu der albernen Drohung verstieg, Galizien werde bei fortgesetztem
Sträuben der Wiener Regierung gegen die Landeswünsche, von der cislei¬
thanischen zur transleithanischen Reichshälfte übertraten.

Die Folge dieser Thorheit war, daß die Bevölkerung aufgewühlt und von
der Theilnahme für die verhießenen Reformarbeiten ab-, plan- und maßloser
Agitation zugewendet wurde. Goluchowski mußte sein Statthalteramt nieder¬
legen, weil ihm nicht gelungen war, der turbulenter Geister auf dem Land¬
tage Herr zu werden und weiter für den Vertreter der provinziellen Majori¬
tät zu gelten. — In den letzten achtzehn Monaten ist es soweit gekommen,
daß der ehemalige Statthalter, Zemialkowsky, Dubs und die übrigen „Ma¬
melucken" ihre Mandate niederlegen mußten, um nicht wiedergewählt zu wer¬
den; die Resolutionisten bildeten auf dem Landtage von 1869 die Rechte
und das zwischen Smolka und den Krakauer Reactionären geschlossene Bünd-
niß (man versuchte auch die Ruthenen in dasselbe zu ziehen), sorgte dafür
daß die Resolutionen von 1868 der Bevölkerung für das Minimum der
Forderungen galten, die als Preis für das Verbleiben der polnischen Ver¬
treter im Reichstage verlangt werden müßten. Bei der Schwäche der Wiener
Negierung ist es nicht unmöglich, daß diese Bedingungen erfüllt werden.
Geschieht das, so wird die Rollenvertheilung binnen Kurzem wieder verändert
sein; man wird die Resolutionisten, nachdem man sie abgenutzt, ebenso bei
Seite schieben wie früher die Zemialkowsky und Goluchowski, um Smolka
zum Haupt der Majorität, den Föderalismus zum officiellen Programm
Galiziens zu machen. Ganz abgesehen von dem Einfluß, den dieser Gang
der Dinge auf die Nuthenen geübt hat und noch üben wird — dieselben


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[0440] Krakauer Pfaffen- und Magnaten-Fraction, welche mit den Czechen unter einer Decke steckt, sah in diesen Jüngern des demokratisch-föderativem Utopien brauchbare Werkzeuge zum Sturmlauf gegen das liberale System, welches das Concordat gesprengt, die allgemeine Wehrpflicht hergestellt, Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz durchgesetzt hatte. Da die Demokratie anfangs nur geringe Anhängerschaft hatte und diese aus dem Proletariat der Städte und der grünen Jagend rekrutiren mußte, benutzte man dieselbe unter geschickter Ausbeutung gewisser administrativer Mißgriffe Goluchowski's zunächst nur zur Herstellung einer Mittelpartei, welche sich principiell auf den Boden Zemial- kowski's stellte und angeblich nur dessen letzte Ziele anticipiren d. h. größere Unabhängigkeit Galiziens von der cisleithanischen Regierung bewirken wollte. So kamen auf dem Landtage vom Sommer 1868 die bekannten Resolutionen zu Stande: statt an die lohnende Arbeit einer wirklichen Neugestaltung des Provinziallebens zu gehen, das verkommene Land materiell und intellectuell zu heben, erging man sich in hochtönenden Forderungen vollständiger An¬ erkennung der polnisch-galizischen Staatsindividualität, indem man sich gleich- zeitig zu der albernen Drohung verstieg, Galizien werde bei fortgesetztem Sträuben der Wiener Regierung gegen die Landeswünsche, von der cislei¬ thanischen zur transleithanischen Reichshälfte übertraten. Die Folge dieser Thorheit war, daß die Bevölkerung aufgewühlt und von der Theilnahme für die verhießenen Reformarbeiten ab-, plan- und maßloser Agitation zugewendet wurde. Goluchowski mußte sein Statthalteramt nieder¬ legen, weil ihm nicht gelungen war, der turbulenter Geister auf dem Land¬ tage Herr zu werden und weiter für den Vertreter der provinziellen Majori¬ tät zu gelten. — In den letzten achtzehn Monaten ist es soweit gekommen, daß der ehemalige Statthalter, Zemialkowsky, Dubs und die übrigen „Ma¬ melucken" ihre Mandate niederlegen mußten, um nicht wiedergewählt zu wer¬ den; die Resolutionisten bildeten auf dem Landtage von 1869 die Rechte und das zwischen Smolka und den Krakauer Reactionären geschlossene Bünd- niß (man versuchte auch die Ruthenen in dasselbe zu ziehen), sorgte dafür daß die Resolutionen von 1868 der Bevölkerung für das Minimum der Forderungen galten, die als Preis für das Verbleiben der polnischen Ver¬ treter im Reichstage verlangt werden müßten. Bei der Schwäche der Wiener Negierung ist es nicht unmöglich, daß diese Bedingungen erfüllt werden. Geschieht das, so wird die Rollenvertheilung binnen Kurzem wieder verändert sein; man wird die Resolutionisten, nachdem man sie abgenutzt, ebenso bei Seite schieben wie früher die Zemialkowsky und Goluchowski, um Smolka zum Haupt der Majorität, den Föderalismus zum officiellen Programm Galiziens zu machen. Ganz abgesehen von dem Einfluß, den dieser Gang der Dinge auf die Nuthenen geübt hat und noch üben wird — dieselben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/440>, abgerufen am 29.06.2024.