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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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und mit mehr Manier und "Schick" gegeben, als auf deutschen Stadttheatern
ersten Ranges; das angeborene dramatische Talent der Slaven ist ein sehr
bedeutendes und die Polen sind außerdem im Besitz einer wirklichen Literatur
und in der Lage, hervorragendere Leistungen anderer Nationen brauchbar
übersetzen zu lassen.

Aber trotz seiner unbestrittenen Herrschaft über Deutsche und Polen Lem-
bergs und Galiziens macht das polnische Element auf den Zuschauer keinen
wohlthuenden, keinen ermutigenden Eindruck. Das beste Theil der natio¬
nalen Kraft wird in prunkenden Aeußerlichkeiten und unheilvollen Partei¬
reibungen consumirt und darüber die materielle Kräftigung und Entwickelung
des Landes verabsäumt, das die Rolle in Anspruch nimmt, Fundament und
Ausgangspunkt für das wieder herzustellende Polenreich zu sein. Goluchowski
und dessen Freunde wollten sich an dem reichen Maß autonomistischer und
nationaler Zugeständnisse genügen lassen, die ihrem Vaterlande gemacht wor¬
den, auf dieser Grundlage weiter bauen, das Land organisiren und die unge¬
heuren Versäumnisse nachholen, welche Bornirtheit, Aengstlichkeit und Indiffe¬
renz des schwarzgelben Absolutismus verschuldet hatten. Ein Schulgesetz
sollte den Landmann zum einsichtigen Theilnehmer am nationalen Staats¬
und Geistesleben machen, eine Gemeindeordnung die ländlichen Verhältnisse
von den Ueberbleibseln der alten wüsten Herrenwirthschaft befreien; es galt
Straßen zu pflastern, Chausseen anzulegen. Credit- und Hypothekenbanken
zu schaffen, die Justiz zeitgemäß zu reformiren und dadurch die erste Bedin¬
gung für Hebung von Handel und Verkehr herzustellen, endlich dem Krebs¬
schaden des Propinationswesens zu steuern und an die mit diesem zusammen¬
gewachsenen Uebel systematischer Kraftvergeudung und wüster Völlerei die
Axt zu legen. So sollte die Grundlage für ein neues, besseres Polen ge¬
wonnen werden. Aber Unverstand turbulenter Demokraten und Egoismus
der bigotten Feudalpartei reichten sich, sobald das Programm Goluchowski-
Zemialkowski bekannt geworden war, zu einem unheilvollen Bündniß die
Hände. Mit der hochmüthigen Verachtung gegen die Arbeit im kleinen
Kreise, welche politischen Dilettanten allenthalben eigenthümlich ist, zuckten die
demokratischen Jünger Smolkas zu einem Programm die Achseln, das mit
den administrativen Concessionen Beust's zufrieden war und an die Hebung
der materiellen Interessen gehen wollte, ehe die idealen Güter vollständiger
Befreiung von den Centralbehörden und unbeschränkten Selbstbestimmungs¬
rechts auf breitester demokratischer Basis erlangt waren. Smolka stellte den
Satz auf, daß die Polen im Bunde mit den übrigen slavischen Stämmen
Oestreichs die cisleithanische Reichseinheit sprengen und ein föderatives System
herstellen müßten, das jede Provinz zur Herrin ihrer Geschicke mache. Die


Grenzboten I. 1870. SS

und mit mehr Manier und „Schick" gegeben, als auf deutschen Stadttheatern
ersten Ranges; das angeborene dramatische Talent der Slaven ist ein sehr
bedeutendes und die Polen sind außerdem im Besitz einer wirklichen Literatur
und in der Lage, hervorragendere Leistungen anderer Nationen brauchbar
übersetzen zu lassen.

Aber trotz seiner unbestrittenen Herrschaft über Deutsche und Polen Lem-
bergs und Galiziens macht das polnische Element auf den Zuschauer keinen
wohlthuenden, keinen ermutigenden Eindruck. Das beste Theil der natio¬
nalen Kraft wird in prunkenden Aeußerlichkeiten und unheilvollen Partei¬
reibungen consumirt und darüber die materielle Kräftigung und Entwickelung
des Landes verabsäumt, das die Rolle in Anspruch nimmt, Fundament und
Ausgangspunkt für das wieder herzustellende Polenreich zu sein. Goluchowski
und dessen Freunde wollten sich an dem reichen Maß autonomistischer und
nationaler Zugeständnisse genügen lassen, die ihrem Vaterlande gemacht wor¬
den, auf dieser Grundlage weiter bauen, das Land organisiren und die unge¬
heuren Versäumnisse nachholen, welche Bornirtheit, Aengstlichkeit und Indiffe¬
renz des schwarzgelben Absolutismus verschuldet hatten. Ein Schulgesetz
sollte den Landmann zum einsichtigen Theilnehmer am nationalen Staats¬
und Geistesleben machen, eine Gemeindeordnung die ländlichen Verhältnisse
von den Ueberbleibseln der alten wüsten Herrenwirthschaft befreien; es galt
Straßen zu pflastern, Chausseen anzulegen. Credit- und Hypothekenbanken
zu schaffen, die Justiz zeitgemäß zu reformiren und dadurch die erste Bedin¬
gung für Hebung von Handel und Verkehr herzustellen, endlich dem Krebs¬
schaden des Propinationswesens zu steuern und an die mit diesem zusammen¬
gewachsenen Uebel systematischer Kraftvergeudung und wüster Völlerei die
Axt zu legen. So sollte die Grundlage für ein neues, besseres Polen ge¬
wonnen werden. Aber Unverstand turbulenter Demokraten und Egoismus
der bigotten Feudalpartei reichten sich, sobald das Programm Goluchowski-
Zemialkowski bekannt geworden war, zu einem unheilvollen Bündniß die
Hände. Mit der hochmüthigen Verachtung gegen die Arbeit im kleinen
Kreise, welche politischen Dilettanten allenthalben eigenthümlich ist, zuckten die
demokratischen Jünger Smolkas zu einem Programm die Achseln, das mit
den administrativen Concessionen Beust's zufrieden war und an die Hebung
der materiellen Interessen gehen wollte, ehe die idealen Güter vollständiger
Befreiung von den Centralbehörden und unbeschränkten Selbstbestimmungs¬
rechts auf breitester demokratischer Basis erlangt waren. Smolka stellte den
Satz auf, daß die Polen im Bunde mit den übrigen slavischen Stämmen
Oestreichs die cisleithanische Reichseinheit sprengen und ein föderatives System
herstellen müßten, das jede Provinz zur Herrin ihrer Geschicke mache. Die


Grenzboten I. 1870. SS
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/439>, abgerufen am 29.06.2024.