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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Portefeuille gesucht hat, sondern das Portefeuille nach ihm, daß, als er zum
Eintritt in das Ministerium gedrängt ward, seine Antwort war: "Nehmt
mein Programm an." Ohne ihn würde das Cabinet alles Zutrauen bei den
Liberalen verloren haben.

Daru's Rede schlug durch und gab der Negierung eine Majorität, wie
sie Gladstone schwerlich je gehabt, aber: ano si taeiunt iäöin, von est lava.
Sachlich scheinen uns seine Argumente nicht sehr stark. Er antwortete wohl
zutreffend auf den ersten Angriff Favre's, daß die Negierung die Freiheit
unterdrücke, aber nicht auf den zweiten, daß ein Parlament, dessen vierter
Theil aus officiellen Candidaten besteht, also von der Negierung ernannt ist,
kein Parlament genannt werden kann. Er sagte, eine Auflösung werde große
Aufregung hervorrufen, ihr müßten die nothwendigen Reformen vorausgehen,
aber das Land ist überzeugt, daß eine frei gewählte Kammer die Reformen
besser machen würde. Ollivier selbst hat die officiellen Kandidaturen in sei¬
nem Buche I,e 19. ^anvier aufs schneidendste angegriffen, das Programm der
Linken, ihre Abschaffung als unabweislich hingestellt; aber Daru hat sie nicht
ausgegeben, der Minister des Innern Chevandier de Valdrome sagte, die
Regierung wolle wohl das System der officiellen Candidaturcn fallen lassen,
aber darum nicht aus das Recht verzichten den Wählern zu erkennen zu
geben, welches ihre Freunde und welches ihre Gegner sind. Das klingt nicht
sehr darnach, als ob man auf das System völlig verzichte, welches die im¬
perialistischen Philosophen als ein Lebenselement des Kaiserreichs, als noth¬
wendig um bei dem allgemeinen Stimmrecht den Wählern die nöthigen Voraus¬
setzungen zu geben, sich ein Urtheil zu bilden, bezeichneten. Daß die Mitglieder
der Rechten darin sehr sensitiv sind, daß sie mit offener Opposition drohen,
wenn die Regierung in diesem Punkte nachgiebt, begreift sich, denn was
würde aus ihnen bei Neuwahlen ohne officielle Candidaturen? aber alle
unabhängigen Mitglieder sühlen auch, daß diese von der Negierung Nouhers
Ernannten die Kammer in der öffentlichen Meinung discreditiren. Nos c!6-
Me6s LOvt ä6mon5t.is68, wie ein geistreicher Mann sagte. Der Minister des
Innern suchte eine Unterscheidung zwischen jetzt und früher zu machen, diese
wird aber nicht im Prinzip, sondern im Temperament liegen, man wird nicht
mehr jene brutale Unterdrückung der Wahlfreiheit üben wie früher, aber
wenn eine Negierung wie die allmächtige französische ihre Freunde bezeichnet
und vor ihren Gegnern warnt, so heißt das einfach die ganze Macht einer
centralisirten Bureaukratie in die Schaale werfen; der Bauer wird immer
denken, daß es sicherer sei, für den Candidaten zu stimmen, den der Feld¬
hüter ihm als einen "guten" bezeichnet. Mit dieser Erklärung Chevandieis
war denn auch die Rechte leidlich zufrieden, erhob sich aber zu zornigem Pro¬
test, als Ollivier, durch die Linke gedrängt, am folgenden Tage erklärte, er


Grenzboten I. 1870. L3

Portefeuille gesucht hat, sondern das Portefeuille nach ihm, daß, als er zum
Eintritt in das Ministerium gedrängt ward, seine Antwort war: „Nehmt
mein Programm an." Ohne ihn würde das Cabinet alles Zutrauen bei den
Liberalen verloren haben.

Daru's Rede schlug durch und gab der Negierung eine Majorität, wie
sie Gladstone schwerlich je gehabt, aber: ano si taeiunt iäöin, von est lava.
Sachlich scheinen uns seine Argumente nicht sehr stark. Er antwortete wohl
zutreffend auf den ersten Angriff Favre's, daß die Negierung die Freiheit
unterdrücke, aber nicht auf den zweiten, daß ein Parlament, dessen vierter
Theil aus officiellen Candidaten besteht, also von der Negierung ernannt ist,
kein Parlament genannt werden kann. Er sagte, eine Auflösung werde große
Aufregung hervorrufen, ihr müßten die nothwendigen Reformen vorausgehen,
aber das Land ist überzeugt, daß eine frei gewählte Kammer die Reformen
besser machen würde. Ollivier selbst hat die officiellen Kandidaturen in sei¬
nem Buche I,e 19. ^anvier aufs schneidendste angegriffen, das Programm der
Linken, ihre Abschaffung als unabweislich hingestellt; aber Daru hat sie nicht
ausgegeben, der Minister des Innern Chevandier de Valdrome sagte, die
Regierung wolle wohl das System der officiellen Candidaturcn fallen lassen,
aber darum nicht aus das Recht verzichten den Wählern zu erkennen zu
geben, welches ihre Freunde und welches ihre Gegner sind. Das klingt nicht
sehr darnach, als ob man auf das System völlig verzichte, welches die im¬
perialistischen Philosophen als ein Lebenselement des Kaiserreichs, als noth¬
wendig um bei dem allgemeinen Stimmrecht den Wählern die nöthigen Voraus¬
setzungen zu geben, sich ein Urtheil zu bilden, bezeichneten. Daß die Mitglieder
der Rechten darin sehr sensitiv sind, daß sie mit offener Opposition drohen,
wenn die Regierung in diesem Punkte nachgiebt, begreift sich, denn was
würde aus ihnen bei Neuwahlen ohne officielle Candidaturen? aber alle
unabhängigen Mitglieder sühlen auch, daß diese von der Negierung Nouhers
Ernannten die Kammer in der öffentlichen Meinung discreditiren. Nos c!6-
Me6s LOvt ä6mon5t.is68, wie ein geistreicher Mann sagte. Der Minister des
Innern suchte eine Unterscheidung zwischen jetzt und früher zu machen, diese
wird aber nicht im Prinzip, sondern im Temperament liegen, man wird nicht
mehr jene brutale Unterdrückung der Wahlfreiheit üben wie früher, aber
wenn eine Negierung wie die allmächtige französische ihre Freunde bezeichnet
und vor ihren Gegnern warnt, so heißt das einfach die ganze Macht einer
centralisirten Bureaukratie in die Schaale werfen; der Bauer wird immer
denken, daß es sicherer sei, für den Candidaten zu stimmen, den der Feld¬
hüter ihm als einen „guten" bezeichnet. Mit dieser Erklärung Chevandieis
war denn auch die Rechte leidlich zufrieden, erhob sich aber zu zornigem Pro¬
test, als Ollivier, durch die Linke gedrängt, am folgenden Tage erklärte, er


Grenzboten I. 1870. L3
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[0423] Portefeuille gesucht hat, sondern das Portefeuille nach ihm, daß, als er zum Eintritt in das Ministerium gedrängt ward, seine Antwort war: „Nehmt mein Programm an." Ohne ihn würde das Cabinet alles Zutrauen bei den Liberalen verloren haben. Daru's Rede schlug durch und gab der Negierung eine Majorität, wie sie Gladstone schwerlich je gehabt, aber: ano si taeiunt iäöin, von est lava. Sachlich scheinen uns seine Argumente nicht sehr stark. Er antwortete wohl zutreffend auf den ersten Angriff Favre's, daß die Negierung die Freiheit unterdrücke, aber nicht auf den zweiten, daß ein Parlament, dessen vierter Theil aus officiellen Candidaten besteht, also von der Negierung ernannt ist, kein Parlament genannt werden kann. Er sagte, eine Auflösung werde große Aufregung hervorrufen, ihr müßten die nothwendigen Reformen vorausgehen, aber das Land ist überzeugt, daß eine frei gewählte Kammer die Reformen besser machen würde. Ollivier selbst hat die officiellen Kandidaturen in sei¬ nem Buche I,e 19. ^anvier aufs schneidendste angegriffen, das Programm der Linken, ihre Abschaffung als unabweislich hingestellt; aber Daru hat sie nicht ausgegeben, der Minister des Innern Chevandier de Valdrome sagte, die Regierung wolle wohl das System der officiellen Candidaturcn fallen lassen, aber darum nicht aus das Recht verzichten den Wählern zu erkennen zu geben, welches ihre Freunde und welches ihre Gegner sind. Das klingt nicht sehr darnach, als ob man auf das System völlig verzichte, welches die im¬ perialistischen Philosophen als ein Lebenselement des Kaiserreichs, als noth¬ wendig um bei dem allgemeinen Stimmrecht den Wählern die nöthigen Voraus¬ setzungen zu geben, sich ein Urtheil zu bilden, bezeichneten. Daß die Mitglieder der Rechten darin sehr sensitiv sind, daß sie mit offener Opposition drohen, wenn die Regierung in diesem Punkte nachgiebt, begreift sich, denn was würde aus ihnen bei Neuwahlen ohne officielle Candidaturen? aber alle unabhängigen Mitglieder sühlen auch, daß diese von der Negierung Nouhers Ernannten die Kammer in der öffentlichen Meinung discreditiren. Nos c!6- Me6s LOvt ä6mon5t.is68, wie ein geistreicher Mann sagte. Der Minister des Innern suchte eine Unterscheidung zwischen jetzt und früher zu machen, diese wird aber nicht im Prinzip, sondern im Temperament liegen, man wird nicht mehr jene brutale Unterdrückung der Wahlfreiheit üben wie früher, aber wenn eine Negierung wie die allmächtige französische ihre Freunde bezeichnet und vor ihren Gegnern warnt, so heißt das einfach die ganze Macht einer centralisirten Bureaukratie in die Schaale werfen; der Bauer wird immer denken, daß es sicherer sei, für den Candidaten zu stimmen, den der Feld¬ hüter ihm als einen „guten" bezeichnet. Mit dieser Erklärung Chevandieis war denn auch die Rechte leidlich zufrieden, erhob sich aber zu zornigem Pro¬ test, als Ollivier, durch die Linke gedrängt, am folgenden Tage erklärte, er Grenzboten I. 1870. L3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/423>, abgerufen am 28.09.2024.