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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Sphäre das Bundes reicht, so weit geht naturgemäß die Strafgesetzgebung
des Bundes; soweit das Einzel- und Sonderleben des Einzelstaates sich er¬
streckt, soweit sollte von Rechtswegen auch die Strafgesetzgebung desselben
reichen. Oder ist in seinem individuellen Nechtskreis der Einzelstaat ein
niedreres staatliches Wesen, als der Bund in dem seinigen?" Und da man
am Schreibtisch wie aus dem Katheder sich des Privilegiums zu erfreuen
pflegt, auf die zuversichtlichsten rhetorischen Fragen niemals durch die Aeuße¬
rungen Andersdenkender interpellirt zu werden, so knüpfen sich an jene Be¬
trachtungen ungezwungen die Postulate: die Amtsverbrechen und eigent¬
lichen Staatsverbrechen, soweit sie lediglich Angriffe aus den Einzelstaat
und seine Organe enthalten, aus der Bundesstrafgesetzgebung auszuscheiden.

Die praktische Folgerung auf die gemeinen Verbrechen der Landesbe¬
amten -- denn um diese, nicht etwa um die Dtsciplinarvergehen handelt es
sich im Sinne des Herrn Verfassers -- ist ebenso bemerkenswerth, wie neu.
Die Consequenz scheint wirklich unabweisbar, daß, da der Landesbeamte in
seiner ganzen Amtsexistenz, seiner Anstellung, Besoldung, seinen Amtspflichten
ausschließlich seiner Territorialgewalt unterstellt ist, auch nur diese über die
Strafbarkeit seiner Amtsdelicte befinden kann. Wohin sollte es mit Deutsch¬
land kommen, wenn, etwa ex loro äepredönsionis, ein Hamburger Gericht
über Amtsmißbrauch eines Berliner Polizei-Präsidenten oder ein Coburger
Staatsanwalt über Amtsuntreue eines Dresdener Cassenbeamten ein Straf¬
verfahren eröffnete! Es wird zwar bei diesen Beispielen dem Herrn Versasser
nicht entgangen sein, daß in der gegenwärtigen preußischen Criminalpraxis
alle Tage Fälle vorkommen können, in denen ein preußisches Gericht z. B.
in Köln einen verbrecherischen Communalbeamten z.B. aus Königsberg
aburtheilen muß, dessen Amtssphäre ihm nach Art und Wesen ferner liegt,
als es die Beziehungen zwischen Hamburg und Berlin, Dresden und Coburg
mit sich bringen. Aber allerdings sind ja preußische Communalbeamte mittel¬
bare Staatsdiener, und es wäre Schade um unsere historisch-politischen
Staatsindividualitäten, wenn ihre Beamten auch einmal als mittelbare
Organe der deutschen Centralgewalt strafrechtlich behandelt würden.

Vortrefflich und der höchsten Beachtung werth sind dagegen die Aus¬
gleichsvorschläge der Schrift für das Gebiet des Polizeistrafrechts.
Mit.diesem Gegenstande gewinnt der Herr Verfasser wieder den festen Boden
wissenschaftlicher Kritik, um ihn für die folgenden strafrechtlichen Abhand¬
lungen nicht mehr zu verlassen. Dem Kriminalisten wird hier entschieden
das Gründlichste, scharfsinnigste und Beste geboten, was die Gelegenheits¬
literatur über den Entwurf des norddeutschen Strafrechts bisher zu Tage ge¬
fördert hat. Es darf lebhaft bedauert werden, daß dem Vorwort der "Er¬
örterungen" kein früheres Datum vorgesetzt werden konnte, als der 17. Januar


Sphäre das Bundes reicht, so weit geht naturgemäß die Strafgesetzgebung
des Bundes; soweit das Einzel- und Sonderleben des Einzelstaates sich er¬
streckt, soweit sollte von Rechtswegen auch die Strafgesetzgebung desselben
reichen. Oder ist in seinem individuellen Nechtskreis der Einzelstaat ein
niedreres staatliches Wesen, als der Bund in dem seinigen?" Und da man
am Schreibtisch wie aus dem Katheder sich des Privilegiums zu erfreuen
pflegt, auf die zuversichtlichsten rhetorischen Fragen niemals durch die Aeuße¬
rungen Andersdenkender interpellirt zu werden, so knüpfen sich an jene Be¬
trachtungen ungezwungen die Postulate: die Amtsverbrechen und eigent¬
lichen Staatsverbrechen, soweit sie lediglich Angriffe aus den Einzelstaat
und seine Organe enthalten, aus der Bundesstrafgesetzgebung auszuscheiden.

Die praktische Folgerung auf die gemeinen Verbrechen der Landesbe¬
amten — denn um diese, nicht etwa um die Dtsciplinarvergehen handelt es
sich im Sinne des Herrn Verfassers — ist ebenso bemerkenswerth, wie neu.
Die Consequenz scheint wirklich unabweisbar, daß, da der Landesbeamte in
seiner ganzen Amtsexistenz, seiner Anstellung, Besoldung, seinen Amtspflichten
ausschließlich seiner Territorialgewalt unterstellt ist, auch nur diese über die
Strafbarkeit seiner Amtsdelicte befinden kann. Wohin sollte es mit Deutsch¬
land kommen, wenn, etwa ex loro äepredönsionis, ein Hamburger Gericht
über Amtsmißbrauch eines Berliner Polizei-Präsidenten oder ein Coburger
Staatsanwalt über Amtsuntreue eines Dresdener Cassenbeamten ein Straf¬
verfahren eröffnete! Es wird zwar bei diesen Beispielen dem Herrn Versasser
nicht entgangen sein, daß in der gegenwärtigen preußischen Criminalpraxis
alle Tage Fälle vorkommen können, in denen ein preußisches Gericht z. B.
in Köln einen verbrecherischen Communalbeamten z.B. aus Königsberg
aburtheilen muß, dessen Amtssphäre ihm nach Art und Wesen ferner liegt,
als es die Beziehungen zwischen Hamburg und Berlin, Dresden und Coburg
mit sich bringen. Aber allerdings sind ja preußische Communalbeamte mittel¬
bare Staatsdiener, und es wäre Schade um unsere historisch-politischen
Staatsindividualitäten, wenn ihre Beamten auch einmal als mittelbare
Organe der deutschen Centralgewalt strafrechtlich behandelt würden.

Vortrefflich und der höchsten Beachtung werth sind dagegen die Aus¬
gleichsvorschläge der Schrift für das Gebiet des Polizeistrafrechts.
Mit.diesem Gegenstande gewinnt der Herr Verfasser wieder den festen Boden
wissenschaftlicher Kritik, um ihn für die folgenden strafrechtlichen Abhand¬
lungen nicht mehr zu verlassen. Dem Kriminalisten wird hier entschieden
das Gründlichste, scharfsinnigste und Beste geboten, was die Gelegenheits¬
literatur über den Entwurf des norddeutschen Strafrechts bisher zu Tage ge¬
fördert hat. Es darf lebhaft bedauert werden, daß dem Vorwort der „Er¬
örterungen" kein früheres Datum vorgesetzt werden konnte, als der 17. Januar


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[0387] Sphäre das Bundes reicht, so weit geht naturgemäß die Strafgesetzgebung des Bundes; soweit das Einzel- und Sonderleben des Einzelstaates sich er¬ streckt, soweit sollte von Rechtswegen auch die Strafgesetzgebung desselben reichen. Oder ist in seinem individuellen Nechtskreis der Einzelstaat ein niedreres staatliches Wesen, als der Bund in dem seinigen?" Und da man am Schreibtisch wie aus dem Katheder sich des Privilegiums zu erfreuen pflegt, auf die zuversichtlichsten rhetorischen Fragen niemals durch die Aeuße¬ rungen Andersdenkender interpellirt zu werden, so knüpfen sich an jene Be¬ trachtungen ungezwungen die Postulate: die Amtsverbrechen und eigent¬ lichen Staatsverbrechen, soweit sie lediglich Angriffe aus den Einzelstaat und seine Organe enthalten, aus der Bundesstrafgesetzgebung auszuscheiden. Die praktische Folgerung auf die gemeinen Verbrechen der Landesbe¬ amten — denn um diese, nicht etwa um die Dtsciplinarvergehen handelt es sich im Sinne des Herrn Verfassers — ist ebenso bemerkenswerth, wie neu. Die Consequenz scheint wirklich unabweisbar, daß, da der Landesbeamte in seiner ganzen Amtsexistenz, seiner Anstellung, Besoldung, seinen Amtspflichten ausschließlich seiner Territorialgewalt unterstellt ist, auch nur diese über die Strafbarkeit seiner Amtsdelicte befinden kann. Wohin sollte es mit Deutsch¬ land kommen, wenn, etwa ex loro äepredönsionis, ein Hamburger Gericht über Amtsmißbrauch eines Berliner Polizei-Präsidenten oder ein Coburger Staatsanwalt über Amtsuntreue eines Dresdener Cassenbeamten ein Straf¬ verfahren eröffnete! Es wird zwar bei diesen Beispielen dem Herrn Versasser nicht entgangen sein, daß in der gegenwärtigen preußischen Criminalpraxis alle Tage Fälle vorkommen können, in denen ein preußisches Gericht z. B. in Köln einen verbrecherischen Communalbeamten z.B. aus Königsberg aburtheilen muß, dessen Amtssphäre ihm nach Art und Wesen ferner liegt, als es die Beziehungen zwischen Hamburg und Berlin, Dresden und Coburg mit sich bringen. Aber allerdings sind ja preußische Communalbeamte mittel¬ bare Staatsdiener, und es wäre Schade um unsere historisch-politischen Staatsindividualitäten, wenn ihre Beamten auch einmal als mittelbare Organe der deutschen Centralgewalt strafrechtlich behandelt würden. Vortrefflich und der höchsten Beachtung werth sind dagegen die Aus¬ gleichsvorschläge der Schrift für das Gebiet des Polizeistrafrechts. Mit.diesem Gegenstande gewinnt der Herr Verfasser wieder den festen Boden wissenschaftlicher Kritik, um ihn für die folgenden strafrechtlichen Abhand¬ lungen nicht mehr zu verlassen. Dem Kriminalisten wird hier entschieden das Gründlichste, scharfsinnigste und Beste geboten, was die Gelegenheits¬ literatur über den Entwurf des norddeutschen Strafrechts bisher zu Tage ge¬ fördert hat. Es darf lebhaft bedauert werden, daß dem Vorwort der „Er¬ örterungen" kein früheres Datum vorgesetzt werden konnte, als der 17. Januar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/387>, abgerufen am 28.06.2024.