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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Jagd-, Forst-, Fischerei-, Feldpolizei-, Steuer- und Zollvergehen in parti¬
kulärer Mannichfaltigkeit fortfristen. Wir werden sodann überall, wo das
Bundes-Straf-Gesetzbuch das Civilrecht, Polizeiverordnungen oder bestimmte
staatsrechtliche Verhältnisse zur Voraussetzung hat, die betreffenden einzelnen
Bestimmungen je nach der verschiedenartigen Gestalt dieser concreten Voraus¬
setzungen von sehr verschiedenartiger crimineller Bedeutung in den einzelnen
Ländern und Ländchen ausgefüllt sehen. Und endlich wird die particuläre
Praxis dafür Sorge tragen, im Wege der Strafzumessung und Rechtsaus¬
legung landschaftliche Besonderheiten aufrecht zu erhalten, wo die umforme
Codification es sich vielleicht am wenigsten träumen läßt. "Die Praxis der
neun obersten Gerichtshöfe Norddeutschlands wird den Wortlaut des einen
Gesetzes in mehr verschiedene Färbungen zerlegen, als das Prisma den Sonnen¬
strahl." So gewiß wir mit dem Herrn Verfasser darin übereinstimmen, daß
das Nebeneinanderstehen materiell verschiedener Gesetze leichter zu ertragen
ist, als die in gleicher Spannweite auseinanderklaffende Auslegung desselben
Gesetzes, so wenig sind wir doch geneigt, deshalb der kurzen Wort¬
fassung der dem preußischen Strafgesetzbuch entlehnten Formulirung des Ent¬
wurfs einen Vorwurf zu machen. Dort, wo Professor Heinze mit besorgter
Miene eine verhängnißvolle Consequenz des einheitstaatlichen Charakters des
Entwurfs zweifelnd voraussieht, erblicken wir zuversichtlich die naturgemäße,
mit aller Energie anzustrebende Sicherung des strafrechtlichen Einheitswerks
gegen die zerstörenden Gewalten des Particularismus. Wir wollen in jedem
Falle die baldige Schaffung eines obersten deutschen Gerichtshofs, der die
Rechtseinheit durch seine Spruchpraxis garantirt, und die Vollendung des
Strasgerichtsorganismus durch eine beaufsichtigende Bundesjustizbehörde. Im
Bundeskanzleramt hätte recht gut noch ein Vicekanzler für die Bundesjustiz-
sachen Platz.

Nicht ganz so leicht ist über die Frage hinfortzukommen, welche die
vierte Abhandlung eingehend erörtert: Die Behandlung der eigentlichen
Staatsverbrechen im Bundesstrafrecht. Der erste Entwurf hatte es sich
bekanntlich recht bequem gemacht, indem er das Wort "Preußen" im Straf¬
gesetzbuch vom 14. April 1851 abwechselnd mit "Bund" oder mit "Einzel¬
staat" vertauschte, für "König" "Bundessürst" setzte, und alles Uebrige Gott
anheimstellte. Der revidirte Entwurf -- die "Erörterungen,, sind vor der
Publication desselben geschrieben -- hat bekanntlich beim Majestätsverbrechen
und anderwärts einige Unterscheidung hineinamendirt. Aber für die, Dauer
ist auch damit nicht viel geholfen. Ueber kurz oder lang wird eine categori-
sche Antwort auf die Frage erfolgen müssen: sind für das Bundesstrafrecht
die ehemals souveränen deutschen Bundesländer überhaupt noch als indivi¬
duelle Staatswesen, ihre Dynasten als souveräne Fürsten anzusehen, gegen


Jagd-, Forst-, Fischerei-, Feldpolizei-, Steuer- und Zollvergehen in parti¬
kulärer Mannichfaltigkeit fortfristen. Wir werden sodann überall, wo das
Bundes-Straf-Gesetzbuch das Civilrecht, Polizeiverordnungen oder bestimmte
staatsrechtliche Verhältnisse zur Voraussetzung hat, die betreffenden einzelnen
Bestimmungen je nach der verschiedenartigen Gestalt dieser concreten Voraus¬
setzungen von sehr verschiedenartiger crimineller Bedeutung in den einzelnen
Ländern und Ländchen ausgefüllt sehen. Und endlich wird die particuläre
Praxis dafür Sorge tragen, im Wege der Strafzumessung und Rechtsaus¬
legung landschaftliche Besonderheiten aufrecht zu erhalten, wo die umforme
Codification es sich vielleicht am wenigsten träumen läßt. „Die Praxis der
neun obersten Gerichtshöfe Norddeutschlands wird den Wortlaut des einen
Gesetzes in mehr verschiedene Färbungen zerlegen, als das Prisma den Sonnen¬
strahl." So gewiß wir mit dem Herrn Verfasser darin übereinstimmen, daß
das Nebeneinanderstehen materiell verschiedener Gesetze leichter zu ertragen
ist, als die in gleicher Spannweite auseinanderklaffende Auslegung desselben
Gesetzes, so wenig sind wir doch geneigt, deshalb der kurzen Wort¬
fassung der dem preußischen Strafgesetzbuch entlehnten Formulirung des Ent¬
wurfs einen Vorwurf zu machen. Dort, wo Professor Heinze mit besorgter
Miene eine verhängnißvolle Consequenz des einheitstaatlichen Charakters des
Entwurfs zweifelnd voraussieht, erblicken wir zuversichtlich die naturgemäße,
mit aller Energie anzustrebende Sicherung des strafrechtlichen Einheitswerks
gegen die zerstörenden Gewalten des Particularismus. Wir wollen in jedem
Falle die baldige Schaffung eines obersten deutschen Gerichtshofs, der die
Rechtseinheit durch seine Spruchpraxis garantirt, und die Vollendung des
Strasgerichtsorganismus durch eine beaufsichtigende Bundesjustizbehörde. Im
Bundeskanzleramt hätte recht gut noch ein Vicekanzler für die Bundesjustiz-
sachen Platz.

Nicht ganz so leicht ist über die Frage hinfortzukommen, welche die
vierte Abhandlung eingehend erörtert: Die Behandlung der eigentlichen
Staatsverbrechen im Bundesstrafrecht. Der erste Entwurf hatte es sich
bekanntlich recht bequem gemacht, indem er das Wort „Preußen" im Straf¬
gesetzbuch vom 14. April 1851 abwechselnd mit „Bund" oder mit „Einzel¬
staat" vertauschte, für „König" „Bundessürst" setzte, und alles Uebrige Gott
anheimstellte. Der revidirte Entwurf — die „Erörterungen,, sind vor der
Publication desselben geschrieben — hat bekanntlich beim Majestätsverbrechen
und anderwärts einige Unterscheidung hineinamendirt. Aber für die, Dauer
ist auch damit nicht viel geholfen. Ueber kurz oder lang wird eine categori-
sche Antwort auf die Frage erfolgen müssen: sind für das Bundesstrafrecht
die ehemals souveränen deutschen Bundesländer überhaupt noch als indivi¬
duelle Staatswesen, ihre Dynasten als souveräne Fürsten anzusehen, gegen


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[0384] Jagd-, Forst-, Fischerei-, Feldpolizei-, Steuer- und Zollvergehen in parti¬ kulärer Mannichfaltigkeit fortfristen. Wir werden sodann überall, wo das Bundes-Straf-Gesetzbuch das Civilrecht, Polizeiverordnungen oder bestimmte staatsrechtliche Verhältnisse zur Voraussetzung hat, die betreffenden einzelnen Bestimmungen je nach der verschiedenartigen Gestalt dieser concreten Voraus¬ setzungen von sehr verschiedenartiger crimineller Bedeutung in den einzelnen Ländern und Ländchen ausgefüllt sehen. Und endlich wird die particuläre Praxis dafür Sorge tragen, im Wege der Strafzumessung und Rechtsaus¬ legung landschaftliche Besonderheiten aufrecht zu erhalten, wo die umforme Codification es sich vielleicht am wenigsten träumen läßt. „Die Praxis der neun obersten Gerichtshöfe Norddeutschlands wird den Wortlaut des einen Gesetzes in mehr verschiedene Färbungen zerlegen, als das Prisma den Sonnen¬ strahl." So gewiß wir mit dem Herrn Verfasser darin übereinstimmen, daß das Nebeneinanderstehen materiell verschiedener Gesetze leichter zu ertragen ist, als die in gleicher Spannweite auseinanderklaffende Auslegung desselben Gesetzes, so wenig sind wir doch geneigt, deshalb der kurzen Wort¬ fassung der dem preußischen Strafgesetzbuch entlehnten Formulirung des Ent¬ wurfs einen Vorwurf zu machen. Dort, wo Professor Heinze mit besorgter Miene eine verhängnißvolle Consequenz des einheitstaatlichen Charakters des Entwurfs zweifelnd voraussieht, erblicken wir zuversichtlich die naturgemäße, mit aller Energie anzustrebende Sicherung des strafrechtlichen Einheitswerks gegen die zerstörenden Gewalten des Particularismus. Wir wollen in jedem Falle die baldige Schaffung eines obersten deutschen Gerichtshofs, der die Rechtseinheit durch seine Spruchpraxis garantirt, und die Vollendung des Strasgerichtsorganismus durch eine beaufsichtigende Bundesjustizbehörde. Im Bundeskanzleramt hätte recht gut noch ein Vicekanzler für die Bundesjustiz- sachen Platz. Nicht ganz so leicht ist über die Frage hinfortzukommen, welche die vierte Abhandlung eingehend erörtert: Die Behandlung der eigentlichen Staatsverbrechen im Bundesstrafrecht. Der erste Entwurf hatte es sich bekanntlich recht bequem gemacht, indem er das Wort „Preußen" im Straf¬ gesetzbuch vom 14. April 1851 abwechselnd mit „Bund" oder mit „Einzel¬ staat" vertauschte, für „König" „Bundessürst" setzte, und alles Uebrige Gott anheimstellte. Der revidirte Entwurf — die „Erörterungen,, sind vor der Publication desselben geschrieben — hat bekanntlich beim Majestätsverbrechen und anderwärts einige Unterscheidung hineinamendirt. Aber für die, Dauer ist auch damit nicht viel geholfen. Ueber kurz oder lang wird eine categori- sche Antwort auf die Frage erfolgen müssen: sind für das Bundesstrafrecht die ehemals souveränen deutschen Bundesländer überhaupt noch als indivi¬ duelle Staatswesen, ihre Dynasten als souveräne Fürsten anzusehen, gegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/384>, abgerufen am 29.06.2024.