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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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oberungen in Süddentschland zu machen, wer will das in Abrede stellen?
In der ernsten Gesetzgebungsarbeit sollte die Zeit besser überhaupt keine
Rolls spielen. Wenn schon der leichtgeschürzte Dichter auf seinem novum
xi^natur in annum bestehen will, wie sollte es der feierliche Gesetzgeber im
Staatsgewande nicht? Aber es ist nun einmal unser böses Verhängnis daß
wir statt juristischer Musterarbeit politisches Tage- und Flickwerk treiben
müssen. Das Strafrecht ist ein Einheitselement von unschätzbarem Werth,
sowohl für die Auflösung widerstrebender Bestandtheile, wie für die Ge¬
winnung neuen Materials zum Weiterbau. Es ist von der höchsten politi¬
schen Wichtigkeit, daß es -- nicht in der denkbar vortrefflichsten Gestalt --
sondern in thunlichst kürzester Frist in Wirksamkeit tritt. Schon wartet
eine Reihe ähnlicher legislativer Aufgaben darauf, daß das Strafgesetzbuch
ihnen im Reichstag Platz macht. Warum sind die Herren Bundesstaatlich-
Constitutionellen auch so sehr eingenommen von ihren historisch-politischen
Individualitäten, zumal in Sachsen! Wären sie das nicht, wüßten wir nicht,
wieviel man sich hier und da zu Gut hält auf selbständige Particulargesetz-
gebung, und wie stark man grade in Sachsen an jedem vom Bunde nicht
ausdrücklich occupirten Stücke sonderstaatlicher Souveränetät festhält, um es
flugs noch für eigene Liebhabereien Zu verwerthen,--die Materie der Straf¬
rechtsgesetzgebung ließe sich dann mit einiger Ruhe u,ut UeberlegWH pon-
deriren. Denn es ist durchaus nicht unsere Meinung, daß alles Heil in der
mechanischen Uniformität des materiellen Rechts zu suchen sei, und daß eine
vernünftige Grenzregulirung zwischen der Criminalgesetzgebung des Bundes
und der sonderstaatlichen nicht eine ebenso schwierige, wie segensreiche Auf¬
gabe darstelle.

Mit solchen vorwortlichen Bemerkungen kann B mir selbstverständlich
nicht im entferntesten beikommen, den rechtswissenschaftlichen oder auch nur
den criminalpolitischen Werth der "Erörterungen" abfertigen zu wollen. Herr
Professor Heinze ist ein Mann von viel zu bedeutendem Scharfsinn, gelehrter
Capacität und politischer Einsicht, als daß seine Bedenken gegen gewisse
Wege der norddeutschen Reichsgesetzgebung nicht durchaus auf eine ernsthafte
Würdigung Anspruch machen sollten, auch da, wo wir ihre Ausgangspunkte
rächt theilen. Ganz abgesehen von dem specifisch strafrechtlichen Th.eil der
"Erörterungen", deren Kritik den Zeitschriften des Fachs anheimfallen muß,
scheint es nix grade ein hervorragendes Verdienst der vorliegenden Schrift
zu sein, in nachdrücklicher und subtiler Weise aus die schreienden staatsrecht¬
lichen Widersprüche Hinzuweisen, welche das norddeutsche Strafgesetzbuch in
unseren Bundesverhältnissen nicht sowohl schaffen, als bloslegen und schärfen
wird. Zwischen einer umfassenden Codification des Strafrechts, hervorge¬
gangen aus der Fülle legislativer Bundesgewalt, und der Fortexistenz par-


oberungen in Süddentschland zu machen, wer will das in Abrede stellen?
In der ernsten Gesetzgebungsarbeit sollte die Zeit besser überhaupt keine
Rolls spielen. Wenn schon der leichtgeschürzte Dichter auf seinem novum
xi^natur in annum bestehen will, wie sollte es der feierliche Gesetzgeber im
Staatsgewande nicht? Aber es ist nun einmal unser böses Verhängnis daß
wir statt juristischer Musterarbeit politisches Tage- und Flickwerk treiben
müssen. Das Strafrecht ist ein Einheitselement von unschätzbarem Werth,
sowohl für die Auflösung widerstrebender Bestandtheile, wie für die Ge¬
winnung neuen Materials zum Weiterbau. Es ist von der höchsten politi¬
schen Wichtigkeit, daß es — nicht in der denkbar vortrefflichsten Gestalt —
sondern in thunlichst kürzester Frist in Wirksamkeit tritt. Schon wartet
eine Reihe ähnlicher legislativer Aufgaben darauf, daß das Strafgesetzbuch
ihnen im Reichstag Platz macht. Warum sind die Herren Bundesstaatlich-
Constitutionellen auch so sehr eingenommen von ihren historisch-politischen
Individualitäten, zumal in Sachsen! Wären sie das nicht, wüßten wir nicht,
wieviel man sich hier und da zu Gut hält auf selbständige Particulargesetz-
gebung, und wie stark man grade in Sachsen an jedem vom Bunde nicht
ausdrücklich occupirten Stücke sonderstaatlicher Souveränetät festhält, um es
flugs noch für eigene Liebhabereien Zu verwerthen,—die Materie der Straf¬
rechtsgesetzgebung ließe sich dann mit einiger Ruhe u,ut UeberlegWH pon-
deriren. Denn es ist durchaus nicht unsere Meinung, daß alles Heil in der
mechanischen Uniformität des materiellen Rechts zu suchen sei, und daß eine
vernünftige Grenzregulirung zwischen der Criminalgesetzgebung des Bundes
und der sonderstaatlichen nicht eine ebenso schwierige, wie segensreiche Auf¬
gabe darstelle.

Mit solchen vorwortlichen Bemerkungen kann B mir selbstverständlich
nicht im entferntesten beikommen, den rechtswissenschaftlichen oder auch nur
den criminalpolitischen Werth der „Erörterungen" abfertigen zu wollen. Herr
Professor Heinze ist ein Mann von viel zu bedeutendem Scharfsinn, gelehrter
Capacität und politischer Einsicht, als daß seine Bedenken gegen gewisse
Wege der norddeutschen Reichsgesetzgebung nicht durchaus auf eine ernsthafte
Würdigung Anspruch machen sollten, auch da, wo wir ihre Ausgangspunkte
rächt theilen. Ganz abgesehen von dem specifisch strafrechtlichen Th.eil der
„Erörterungen", deren Kritik den Zeitschriften des Fachs anheimfallen muß,
scheint es nix grade ein hervorragendes Verdienst der vorliegenden Schrift
zu sein, in nachdrücklicher und subtiler Weise aus die schreienden staatsrecht¬
lichen Widersprüche Hinzuweisen, welche das norddeutsche Strafgesetzbuch in
unseren Bundesverhältnissen nicht sowohl schaffen, als bloslegen und schärfen
wird. Zwischen einer umfassenden Codification des Strafrechts, hervorge¬
gangen aus der Fülle legislativer Bundesgewalt, und der Fortexistenz par-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/382>, abgerufen am 29.06.2024.