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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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geben wurden, hat das Blatt sich Plötzlich gewendet. Zwar der Realcredit der
bäuerlichen Besitzer, der s. g. Erbzinspächter war von je nicht weit her. weil
die contrcictlichen Beschränkungen ihrer Dispositionsfreiheit einen lähmen¬
den Einfluß übten. Aber den Rittergutsbesitzern hatten die reichen Ernten
der fünfziger Jahre und günstige Conjuncturen des Kornmarktes den Kaufs¬
werth der Güter ebenso wie die Pachtzinsen der Höfe zu einer fabelhaften
Höhe hinauf geschraubt, daß eine Katastrophe nicht ausbleiben konnte. Die¬
selbe ist jetzt hereingebrochen. Mecklenburg steht mitten in der Krisis einer
unabsehbaren Hypothekennoth. Concurse der Rittergutsbesitzer und Rückgabe
der Pachthöfe Seitens der Pächter an die Großherzogliche Kammer stehen
auf der Tagesordnung. Die colossalen Verluste, welche die Hypothekengläu¬
biger jetzt regelmäßig erleiden, üben ihre deprimirende Wirkung auf das An¬
gebot; schon ist es fast unmöglich, selbst gut locirte Capitale zu dem lan¬
desüblichen Zinsfuß von 3Vs und 4°/<, aufzunehmen; es mehren sich die
Fälle, daß gekündigte Summen sogar gegen Offerte eines höhern Zins¬
fußes nicht mehr zu decken sind. Die "Mecklenburgischen Anzeigen,"
die in ihrer doppelten Stellung als officiöses und quasi ritterschaftliches Or¬
gan geneigt sind, die mecklenburgischen Zustände im rosigsten Licht zu er¬
blicken, konnten nicht umhin, unlängst zu fragen: welches Ende soll es
mit dem Grundbesitz in Mecklenburg nehmen, wenn nicht bald
Abhilfe geschafft wird? Sie scheinen die Hilfe von den Beschlüssen des ge¬
genwärtig in Berlin lagerten Delegirtentcongresses norddeutscher landwirth-
schaftlicher Vereine und der von ihm zu organisirenden Interessenvertretung
zu erwarten. Was sollen aber Beschlüsse einem Lande helfen, dem alle Vor¬
bedingungen ihrer Wirksamkeit fehlen ? Die Beschlüsse der Berliner Versamm¬
lungen wurden dictirt durch die Maximen einer gesunden Volkswirthschaft.
Im Mecklenburg wittert man in jedem Nationalökonomen einen verkapp¬
ten Demokraten und sieht in seinen Lehren nichts weiter, als Angriffe auf den
Bestand unserer "gesegneten" Verhältnisse.

Die Hypothekennoth einzelner Gutsbesitzer ließ dieselben zur Allerhöch¬
sten Gnade des Landesherrn ihre Zuflucht nehmen. Die Liberalität des
Großherzogs, die sich schon genöthigt sah, durch öffentliche Bekanntmachungen
im Regierungsblatt alle Gesuche um Darlehen ein für allemal zurückzuweisen,
ist bekannt; sie erbarmte sich der Noth der ..Besten, Lieben. Getreuen". Wie¬
derholt sind namhafte Summen aus der landesherrlichen Casse aufgewandt
worden, bedrängten Gutsbesitzern zu helfen. Fürstliche Liberalität zu kriti-
siren, mag keinem Unterthanen zustehen, am wenigsten in Mecklenburg, wo
der Landesherr über die Finanzen unbeschränkter verfügt, als in andern
Ländern; -- der Unterthanenverstand fühlt sich aber in dieser Beziehung nur
so lange beschränkt, als solche Erweisungen lediglich aus der Privat-


geben wurden, hat das Blatt sich Plötzlich gewendet. Zwar der Realcredit der
bäuerlichen Besitzer, der s. g. Erbzinspächter war von je nicht weit her. weil
die contrcictlichen Beschränkungen ihrer Dispositionsfreiheit einen lähmen¬
den Einfluß übten. Aber den Rittergutsbesitzern hatten die reichen Ernten
der fünfziger Jahre und günstige Conjuncturen des Kornmarktes den Kaufs¬
werth der Güter ebenso wie die Pachtzinsen der Höfe zu einer fabelhaften
Höhe hinauf geschraubt, daß eine Katastrophe nicht ausbleiben konnte. Die¬
selbe ist jetzt hereingebrochen. Mecklenburg steht mitten in der Krisis einer
unabsehbaren Hypothekennoth. Concurse der Rittergutsbesitzer und Rückgabe
der Pachthöfe Seitens der Pächter an die Großherzogliche Kammer stehen
auf der Tagesordnung. Die colossalen Verluste, welche die Hypothekengläu¬
biger jetzt regelmäßig erleiden, üben ihre deprimirende Wirkung auf das An¬
gebot; schon ist es fast unmöglich, selbst gut locirte Capitale zu dem lan¬
desüblichen Zinsfuß von 3Vs und 4°/<, aufzunehmen; es mehren sich die
Fälle, daß gekündigte Summen sogar gegen Offerte eines höhern Zins¬
fußes nicht mehr zu decken sind. Die „Mecklenburgischen Anzeigen,"
die in ihrer doppelten Stellung als officiöses und quasi ritterschaftliches Or¬
gan geneigt sind, die mecklenburgischen Zustände im rosigsten Licht zu er¬
blicken, konnten nicht umhin, unlängst zu fragen: welches Ende soll es
mit dem Grundbesitz in Mecklenburg nehmen, wenn nicht bald
Abhilfe geschafft wird? Sie scheinen die Hilfe von den Beschlüssen des ge¬
genwärtig in Berlin lagerten Delegirtentcongresses norddeutscher landwirth-
schaftlicher Vereine und der von ihm zu organisirenden Interessenvertretung
zu erwarten. Was sollen aber Beschlüsse einem Lande helfen, dem alle Vor¬
bedingungen ihrer Wirksamkeit fehlen ? Die Beschlüsse der Berliner Versamm¬
lungen wurden dictirt durch die Maximen einer gesunden Volkswirthschaft.
Im Mecklenburg wittert man in jedem Nationalökonomen einen verkapp¬
ten Demokraten und sieht in seinen Lehren nichts weiter, als Angriffe auf den
Bestand unserer „gesegneten" Verhältnisse.

Die Hypothekennoth einzelner Gutsbesitzer ließ dieselben zur Allerhöch¬
sten Gnade des Landesherrn ihre Zuflucht nehmen. Die Liberalität des
Großherzogs, die sich schon genöthigt sah, durch öffentliche Bekanntmachungen
im Regierungsblatt alle Gesuche um Darlehen ein für allemal zurückzuweisen,
ist bekannt; sie erbarmte sich der Noth der ..Besten, Lieben. Getreuen". Wie¬
derholt sind namhafte Summen aus der landesherrlichen Casse aufgewandt
worden, bedrängten Gutsbesitzern zu helfen. Fürstliche Liberalität zu kriti-
siren, mag keinem Unterthanen zustehen, am wenigsten in Mecklenburg, wo
der Landesherr über die Finanzen unbeschränkter verfügt, als in andern
Ländern; — der Unterthanenverstand fühlt sich aber in dieser Beziehung nur
so lange beschränkt, als solche Erweisungen lediglich aus der Privat-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/323>, abgerufen am 29.06.2024.