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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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zu ersetzen. Die großen Erfolge der Hinterladungsgewehre brachten auf
die Idee, die neuen Constructionen auch auf die Artillerie anzuwenden,
und durch eine "Jnfanteriekanone" größere Feuergeschwindigkeit und Feuer¬
wirkung hervorzubringen, als durch das Jnfanteriegewehr möglich wird.
Mannigfache Versuche wurden gemacht; namentlich sind es Frankreich,
(Belgien) und Amerika, welche sich durch neue Erfindungen auf diesem
Gebiete der Waffentechnik bekämpfen und einander den Rang streitig machen.
Preußen versuchte schon in den fünfziger Jahren in die Front der Infan¬
terie Geschütze zu vertheilen, Standbüchsen oder Amüsetten, welche das Klein¬
gewehrfeuer verstärken sollten. Sie hatten unsern Zündnadelverschuß und
schössen bis auf 2000 Schritt; ihre Einführung wurde jedoch nicht durch-
gesetzt, sie kamen schließlich nur als Stellvertreter der Wallbüchse in An¬
wendung.

Der amerikanische Bürgerkrieg gab darauf den Hauptimpuls zur Erfin¬
dung der Jnfanteriekanonen und der Kartätsch- und Repetirgeschütze. Für
diese Erfindung hat sich theilweise der Name "Kugelspritze" eingebürgert,
worunter man ursprünglich eine bayerische Erfindung verstand.

Es wird auch für das größere Publicum von Interesse sein, die Con-
struction dieser ersten bayrischen Erfindung kennen zu lernen.

Nach dem Gewerbeblatt des polytechnischen Vereins für Bayern ist
diese Construction folgende. Ein drei Centner schwerer Kreisel wird durch
den Dampf einer Locomotive mittelst einer Turbine in Rotation versetzt
und bis zu einer Geschwindigkeit von 100 Umdrehungen pro Secunde be¬
schleunigt, wozu etwa zwei Minuten erforderlich sind. Der Kreisel
schleudert dann dreilöthige Kartätschkugeln mit circa 1100 Fuß Anfangs¬
geschwindigkeit so schnell hintereinander, als man die Kugeln in die Ma¬
schine einlaufen läßt; die letztere steht auf einem Eisenbahnwagen, gestattet
sichere Richtung und wird von der Locomotive geschoben, wenn man
eine Bahnlinie vertheidigen will. -- Andere neuere Erfindungen haben
bis jetzt so wenig, wie diese erste, Verwendung in der Praxis gefunden, wir
nennen hier nur das System Claston, eine dem Gatling-Geschütz sehr ähnliche
aber complicirtere Maschine; ferner das noch weniger bekannte Eberhardt'sche
Modell; die Darapski'sche Schleuder, auf der logarithmischen Spirale be¬
ruhend, und endlich den von Mayer in Hamburg erfundenen Zündnadelre¬
volver mit einer einzigen seitlich angebrachten Nadel.

Die Erfindungen, welche das Interesse der militärischen Welt haupt¬
sächlich in Anspruch genommen haben, sind zunächst in Frankreich (Belgien)
der Mitrailleur (canon A, mitraille) auch Mitrailleuse genannt, eine höchst
originelle Kriegsmaschine. Im Gefechte von Mendana, 3. November 1867,
erhielt die französische Erfindung die erste Feuertaufe (vrgl. darüber "die


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zu ersetzen. Die großen Erfolge der Hinterladungsgewehre brachten auf
die Idee, die neuen Constructionen auch auf die Artillerie anzuwenden,
und durch eine „Jnfanteriekanone" größere Feuergeschwindigkeit und Feuer¬
wirkung hervorzubringen, als durch das Jnfanteriegewehr möglich wird.
Mannigfache Versuche wurden gemacht; namentlich sind es Frankreich,
(Belgien) und Amerika, welche sich durch neue Erfindungen auf diesem
Gebiete der Waffentechnik bekämpfen und einander den Rang streitig machen.
Preußen versuchte schon in den fünfziger Jahren in die Front der Infan¬
terie Geschütze zu vertheilen, Standbüchsen oder Amüsetten, welche das Klein¬
gewehrfeuer verstärken sollten. Sie hatten unsern Zündnadelverschuß und
schössen bis auf 2000 Schritt; ihre Einführung wurde jedoch nicht durch-
gesetzt, sie kamen schließlich nur als Stellvertreter der Wallbüchse in An¬
wendung.

Der amerikanische Bürgerkrieg gab darauf den Hauptimpuls zur Erfin¬
dung der Jnfanteriekanonen und der Kartätsch- und Repetirgeschütze. Für
diese Erfindung hat sich theilweise der Name „Kugelspritze" eingebürgert,
worunter man ursprünglich eine bayerische Erfindung verstand.

Es wird auch für das größere Publicum von Interesse sein, die Con-
struction dieser ersten bayrischen Erfindung kennen zu lernen.

Nach dem Gewerbeblatt des polytechnischen Vereins für Bayern ist
diese Construction folgende. Ein drei Centner schwerer Kreisel wird durch
den Dampf einer Locomotive mittelst einer Turbine in Rotation versetzt
und bis zu einer Geschwindigkeit von 100 Umdrehungen pro Secunde be¬
schleunigt, wozu etwa zwei Minuten erforderlich sind. Der Kreisel
schleudert dann dreilöthige Kartätschkugeln mit circa 1100 Fuß Anfangs¬
geschwindigkeit so schnell hintereinander, als man die Kugeln in die Ma¬
schine einlaufen läßt; die letztere steht auf einem Eisenbahnwagen, gestattet
sichere Richtung und wird von der Locomotive geschoben, wenn man
eine Bahnlinie vertheidigen will. — Andere neuere Erfindungen haben
bis jetzt so wenig, wie diese erste, Verwendung in der Praxis gefunden, wir
nennen hier nur das System Claston, eine dem Gatling-Geschütz sehr ähnliche
aber complicirtere Maschine; ferner das noch weniger bekannte Eberhardt'sche
Modell; die Darapski'sche Schleuder, auf der logarithmischen Spirale be¬
ruhend, und endlich den von Mayer in Hamburg erfundenen Zündnadelre¬
volver mit einer einzigen seitlich angebrachten Nadel.

Die Erfindungen, welche das Interesse der militärischen Welt haupt¬
sächlich in Anspruch genommen haben, sind zunächst in Frankreich (Belgien)
der Mitrailleur (canon A, mitraille) auch Mitrailleuse genannt, eine höchst
originelle Kriegsmaschine. Im Gefechte von Mendana, 3. November 1867,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/305>, abgerufen am 29.06.2024.