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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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pas revenu. -- Einige Jahre später kam ein Gesandter des Grafen Saint-Pol,
desselben, der seine kleine Macht möglichst selbständig zwischen Frankreich und
Burgund zu entwickeln suchte, deshalb aber auf beiden Seiten Feinde hatte,
zu König Ludwig. Bei diesem war gerade ein burgundischer Gesandter an¬
wesend, den der König nun, ehe er den Boten des Grasen zur Audienz an¬
nahm, hinter einem xaravent versteckte. Während der Audienz begann der
gräfliche Gesandte, der sich mit Ludwig allein glaubte, die Manieren des
Herzogs von Burgund zu verspotten, "a krapper an pica covtrs terre, et
a jurer Laire KeorZes . . . . , et toutes les mooMeries pu'en es nouae
estoit possibls ac aire ä'nomme. Als der König dies hörte, lachte er sehr,
bat den Gesandten, sich zu wiederholen und laut zu reden, weil er etwas
taub wäre. Der burgundische Herr war bei diesen Vorgängen wie angedon¬
nert in seinem Versteck und war kaum aus demselben befreit, als er ventre
a terre nach Burgund eilte, um dem Herzog Karl das Gehörte mitzutheilen.
Nicht lange darauf erlag der Graf von Saint-Pol seinen Gegnern. -- Ue¬
beraus charakteristisch ist auch das Verhältniß der französischen Regierung zu
den Ministern der englischen Krone. Ludwig suchte dieselben sämmtlich durch
Pensionen an sein Interesse zu ketten; es gelang ihm bei den Meisten ohne
Mühe; nur Einer zögerte, der Großkämmerer Hastings. und als er sich
schließlich bereit erklärte, eine Pension von 2000 Thalern anzunehmen, so
weigerte er sich doch entschieden, eine Quittung über den Empfang dersel¬
ben auszustellen, theils weil er nicht wollte, daß eine solche Quittung in die
französischen Archive käme, theils wohl auch deshalb, um einen Schritt zu
vermeiden, der ihn zur Ausgabe der burgundischen Pension von 1000 Thalern,
die er schon seit geraumer Zeit bezog, nöthigen konnte. Seit diesem schlauen
Verfahren lobte und achtete aber Ludwig XI. den Großkämmerer Hastings
mehr als alle andern Diener des Königs von England und bezahlte stets die
Pension, ohne eine Quittung zu fordern. Commynes aber nannte den Käm¬
merer un Iiomwe ac graut sens et vertu.

Aus alledem ersehen wir, wie es mit der politischen Moral Commynes'
bestellt ist. Mag die lichtvolle Klarheit, mit der er die Verwickelisten Her¬
gange darstellt, noch so anziehend wirken; mögen die politischen Reflexionen,
die er der Erzählung beimischt, für jeden Historiker und jeden Staatsmann noch
so lehrreich sein, mag sogar die sittliche Weltordnung, die er anerkennt, das
Gleichgewicht von Schuld und Strafe, welches er andeutet, den Eindruck le¬
bendiger Religiosität machen, so steht es dennoch fest, daß auch er den¬
selben Grundsätzen gehuldigt hat, welche wenige Jahre nach ihm in dem
"Fürsten" Macchiavelli's ihren vollendetsten Ausdruck gefunden haben. Com¬
mynes beklagt freilich I'allmssemellt as toute too et lovaute'; es ist ihm
schmerzlich, daß kein Land mehr eristire, par leyuel on se xuisse asseurer


pas revenu. — Einige Jahre später kam ein Gesandter des Grafen Saint-Pol,
desselben, der seine kleine Macht möglichst selbständig zwischen Frankreich und
Burgund zu entwickeln suchte, deshalb aber auf beiden Seiten Feinde hatte,
zu König Ludwig. Bei diesem war gerade ein burgundischer Gesandter an¬
wesend, den der König nun, ehe er den Boten des Grasen zur Audienz an¬
nahm, hinter einem xaravent versteckte. Während der Audienz begann der
gräfliche Gesandte, der sich mit Ludwig allein glaubte, die Manieren des
Herzogs von Burgund zu verspotten, „a krapper an pica covtrs terre, et
a jurer Laire KeorZes . . . . , et toutes les mooMeries pu'en es nouae
estoit possibls ac aire ä'nomme. Als der König dies hörte, lachte er sehr,
bat den Gesandten, sich zu wiederholen und laut zu reden, weil er etwas
taub wäre. Der burgundische Herr war bei diesen Vorgängen wie angedon¬
nert in seinem Versteck und war kaum aus demselben befreit, als er ventre
a terre nach Burgund eilte, um dem Herzog Karl das Gehörte mitzutheilen.
Nicht lange darauf erlag der Graf von Saint-Pol seinen Gegnern. — Ue¬
beraus charakteristisch ist auch das Verhältniß der französischen Regierung zu
den Ministern der englischen Krone. Ludwig suchte dieselben sämmtlich durch
Pensionen an sein Interesse zu ketten; es gelang ihm bei den Meisten ohne
Mühe; nur Einer zögerte, der Großkämmerer Hastings. und als er sich
schließlich bereit erklärte, eine Pension von 2000 Thalern anzunehmen, so
weigerte er sich doch entschieden, eine Quittung über den Empfang dersel¬
ben auszustellen, theils weil er nicht wollte, daß eine solche Quittung in die
französischen Archive käme, theils wohl auch deshalb, um einen Schritt zu
vermeiden, der ihn zur Ausgabe der burgundischen Pension von 1000 Thalern,
die er schon seit geraumer Zeit bezog, nöthigen konnte. Seit diesem schlauen
Verfahren lobte und achtete aber Ludwig XI. den Großkämmerer Hastings
mehr als alle andern Diener des Königs von England und bezahlte stets die
Pension, ohne eine Quittung zu fordern. Commynes aber nannte den Käm¬
merer un Iiomwe ac graut sens et vertu.

Aus alledem ersehen wir, wie es mit der politischen Moral Commynes'
bestellt ist. Mag die lichtvolle Klarheit, mit der er die Verwickelisten Her¬
gange darstellt, noch so anziehend wirken; mögen die politischen Reflexionen,
die er der Erzählung beimischt, für jeden Historiker und jeden Staatsmann noch
so lehrreich sein, mag sogar die sittliche Weltordnung, die er anerkennt, das
Gleichgewicht von Schuld und Strafe, welches er andeutet, den Eindruck le¬
bendiger Religiosität machen, so steht es dennoch fest, daß auch er den¬
selben Grundsätzen gehuldigt hat, welche wenige Jahre nach ihm in dem
„Fürsten" Macchiavelli's ihren vollendetsten Ausdruck gefunden haben. Com¬
mynes beklagt freilich I'allmssemellt as toute too et lovaute'; es ist ihm
schmerzlich, daß kein Land mehr eristire, par leyuel on se xuisse asseurer


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[0302] pas revenu. — Einige Jahre später kam ein Gesandter des Grafen Saint-Pol, desselben, der seine kleine Macht möglichst selbständig zwischen Frankreich und Burgund zu entwickeln suchte, deshalb aber auf beiden Seiten Feinde hatte, zu König Ludwig. Bei diesem war gerade ein burgundischer Gesandter an¬ wesend, den der König nun, ehe er den Boten des Grasen zur Audienz an¬ nahm, hinter einem xaravent versteckte. Während der Audienz begann der gräfliche Gesandte, der sich mit Ludwig allein glaubte, die Manieren des Herzogs von Burgund zu verspotten, „a krapper an pica covtrs terre, et a jurer Laire KeorZes . . . . , et toutes les mooMeries pu'en es nouae estoit possibls ac aire ä'nomme. Als der König dies hörte, lachte er sehr, bat den Gesandten, sich zu wiederholen und laut zu reden, weil er etwas taub wäre. Der burgundische Herr war bei diesen Vorgängen wie angedon¬ nert in seinem Versteck und war kaum aus demselben befreit, als er ventre a terre nach Burgund eilte, um dem Herzog Karl das Gehörte mitzutheilen. Nicht lange darauf erlag der Graf von Saint-Pol seinen Gegnern. — Ue¬ beraus charakteristisch ist auch das Verhältniß der französischen Regierung zu den Ministern der englischen Krone. Ludwig suchte dieselben sämmtlich durch Pensionen an sein Interesse zu ketten; es gelang ihm bei den Meisten ohne Mühe; nur Einer zögerte, der Großkämmerer Hastings. und als er sich schließlich bereit erklärte, eine Pension von 2000 Thalern anzunehmen, so weigerte er sich doch entschieden, eine Quittung über den Empfang dersel¬ ben auszustellen, theils weil er nicht wollte, daß eine solche Quittung in die französischen Archive käme, theils wohl auch deshalb, um einen Schritt zu vermeiden, der ihn zur Ausgabe der burgundischen Pension von 1000 Thalern, die er schon seit geraumer Zeit bezog, nöthigen konnte. Seit diesem schlauen Verfahren lobte und achtete aber Ludwig XI. den Großkämmerer Hastings mehr als alle andern Diener des Königs von England und bezahlte stets die Pension, ohne eine Quittung zu fordern. Commynes aber nannte den Käm¬ merer un Iiomwe ac graut sens et vertu. Aus alledem ersehen wir, wie es mit der politischen Moral Commynes' bestellt ist. Mag die lichtvolle Klarheit, mit der er die Verwickelisten Her¬ gange darstellt, noch so anziehend wirken; mögen die politischen Reflexionen, die er der Erzählung beimischt, für jeden Historiker und jeden Staatsmann noch so lehrreich sein, mag sogar die sittliche Weltordnung, die er anerkennt, das Gleichgewicht von Schuld und Strafe, welches er andeutet, den Eindruck le¬ bendiger Religiosität machen, so steht es dennoch fest, daß auch er den¬ selben Grundsätzen gehuldigt hat, welche wenige Jahre nach ihm in dem „Fürsten" Macchiavelli's ihren vollendetsten Ausdruck gefunden haben. Com¬ mynes beklagt freilich I'allmssemellt as toute too et lovaute'; es ist ihm schmerzlich, daß kein Land mehr eristire, par leyuel on se xuisse asseurer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/302>, abgerufen am 28.09.2024.