Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in dem gleichen Sinne entschieden") und alle neueren Untersuchungen, die
vornehmlich von belgischen Gelehrten angestellt worden sind, haben dasselbe
Resultat ergeben"). Commynes hat darnach freilich keine urkundlich beglau¬
bigte, nach allen Seiten gleichmäßig ausführliche Geschichte seiner Zeit ge¬
schrieben; er hat nur Erinnerungen aus seinem Leben aufgezeichnet, bei denen
ihn sein Gedächtniß manchmal täuschte und innerhalb denen auch einige
wichtigere Ereignisse jener Tage keine Stelle fanden; es läßt sich aber keines¬
wegs nachweisen, daß er den Thatbestand, den er zu überliefern hatte, durch
Reden oder durch Verschweigen absichtlich fälschte, und es tritt im Gegen¬
theile klar hervor, daß er sittlich verwerfliche Maßregeln der zeitgenössischen
Fürsten und vornehmlich Ludwig's XI. ohne irgend eine Verschleierung mit¬
theilt.

Gerade dies führt nun aber auf die höchst eigenthümliche sittliche Hal¬
tung, welche Commynes als Schriftsteller zeigt. Es ist wahr, er spricht
mehrfach in großsinniger Weise über das Wohl der Staaten und der Völker;
er tadelt offen einige abscheuliche Verbrechen, deren Zeuge er gewesen ist; er
erhebt sich, nachdem er die letzten von Angst und Qualen erfüllten Tage
Ludwig's XI. dargestellt hat, zu einer erhabenen Rede über das Thema, wie
viel besser es wäre, wenn die Fürsten weniger Uebles thäten und mehr Gott
liebten. Aber trotz alledem zeigt er, daß eine gemeine Weltklugheit, die von
einer reinen und sicheren Sittlichkeit vollständig verurtheilt werden muß, ihm
nicht tadelnswerth erscheint; das Wohl der Staaten erlaubt nach seiner Mei¬
nung, daß man gegen einen Feind auch andere als offene und ehrliche
Mittel anwende; nur müsse man sein Ziel erreichen, denn diejenigen, welche
Macht gewinnen, haben immer Ehre***), während es eine große Schande ist,
sich betrügen zu lassen und durch eigenes Ungeschick zu Grunde zu gehen.

Diese bedenkliche Schwäche politischer Moral tritt in den Memoiren
Commynes' bei näherer Prüfung aller Orten und oft in abschreckender Weise
hervor. Uns tromxeris nennt er einmal uno Iradiletö und setzt hinzu: ainki
qu'on 1a voucirg, nommer, ear eile tut Kien oonäuits. Nach seiner Meinung
gibt es zwei Arten von Fürsten: sagss ot lois: ig. LSZessö consists . . . .
lians 1'g.re ä'aeeroitrs hö, Missavce, Zu diplomatischen Verhandlungen hat





') of ?nilipxi vomivÄLi nao Kistoi'iea. <lo!w. (Zinn. I^osbsll. Loniürs 1832.
Nur Camille Picquö braucht in einem kleinen Memoire über Commynes scharfe Aus¬
drücke gegen dessen Wahrhaftigkeit, vt'. Nvmoiros eouronnüs Ah l'irvirä. Lklgiquö, XII.
18S4.
N-Zu. II, 6S. Die folgenden Citate find sämmtlich den Memoiren Commynes' ent¬
nommen. Kervyn de Lettenhove hat einen Theil derselben Stellen, außerdem aber noch
eine große Zahl ähnlicher Aussprüche Commynes' zu dessen Charakteristik benutzt. Dasselbe
haben auch Picquü und Varenbergh in ihren Abhandlungen über Commynes gethan. (Zk.
Uömoires oouwimös as l'irvirüömiiz alö LolAi<in6, XVI, 64.

in dem gleichen Sinne entschieden") und alle neueren Untersuchungen, die
vornehmlich von belgischen Gelehrten angestellt worden sind, haben dasselbe
Resultat ergeben"). Commynes hat darnach freilich keine urkundlich beglau¬
bigte, nach allen Seiten gleichmäßig ausführliche Geschichte seiner Zeit ge¬
schrieben; er hat nur Erinnerungen aus seinem Leben aufgezeichnet, bei denen
ihn sein Gedächtniß manchmal täuschte und innerhalb denen auch einige
wichtigere Ereignisse jener Tage keine Stelle fanden; es läßt sich aber keines¬
wegs nachweisen, daß er den Thatbestand, den er zu überliefern hatte, durch
Reden oder durch Verschweigen absichtlich fälschte, und es tritt im Gegen¬
theile klar hervor, daß er sittlich verwerfliche Maßregeln der zeitgenössischen
Fürsten und vornehmlich Ludwig's XI. ohne irgend eine Verschleierung mit¬
theilt.

Gerade dies führt nun aber auf die höchst eigenthümliche sittliche Hal¬
tung, welche Commynes als Schriftsteller zeigt. Es ist wahr, er spricht
mehrfach in großsinniger Weise über das Wohl der Staaten und der Völker;
er tadelt offen einige abscheuliche Verbrechen, deren Zeuge er gewesen ist; er
erhebt sich, nachdem er die letzten von Angst und Qualen erfüllten Tage
Ludwig's XI. dargestellt hat, zu einer erhabenen Rede über das Thema, wie
viel besser es wäre, wenn die Fürsten weniger Uebles thäten und mehr Gott
liebten. Aber trotz alledem zeigt er, daß eine gemeine Weltklugheit, die von
einer reinen und sicheren Sittlichkeit vollständig verurtheilt werden muß, ihm
nicht tadelnswerth erscheint; das Wohl der Staaten erlaubt nach seiner Mei¬
nung, daß man gegen einen Feind auch andere als offene und ehrliche
Mittel anwende; nur müsse man sein Ziel erreichen, denn diejenigen, welche
Macht gewinnen, haben immer Ehre***), während es eine große Schande ist,
sich betrügen zu lassen und durch eigenes Ungeschick zu Grunde zu gehen.

Diese bedenkliche Schwäche politischer Moral tritt in den Memoiren
Commynes' bei näherer Prüfung aller Orten und oft in abschreckender Weise
hervor. Uns tromxeris nennt er einmal uno Iradiletö und setzt hinzu: ainki
qu'on 1a voucirg, nommer, ear eile tut Kien oonäuits. Nach seiner Meinung
gibt es zwei Arten von Fürsten: sagss ot lois: ig. LSZessö consists . . . .
lians 1'g.re ä'aeeroitrs hö, Missavce, Zu diplomatischen Verhandlungen hat





') of ?nilipxi vomivÄLi nao Kistoi'iea. <lo!w. (Zinn. I^osbsll. Loniürs 1832.
Nur Camille Picquö braucht in einem kleinen Memoire über Commynes scharfe Aus¬
drücke gegen dessen Wahrhaftigkeit, vt'. Nvmoiros eouronnüs Ah l'irvirä. Lklgiquö, XII.
18S4.
N-Zu. II, 6S. Die folgenden Citate find sämmtlich den Memoiren Commynes' ent¬
nommen. Kervyn de Lettenhove hat einen Theil derselben Stellen, außerdem aber noch
eine große Zahl ähnlicher Aussprüche Commynes' zu dessen Charakteristik benutzt. Dasselbe
haben auch Picquü und Varenbergh in ihren Abhandlungen über Commynes gethan. (Zk.
Uömoires oouwimös as l'irvirüömiiz alö LolAi<in6, XVI, 64.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123388"/>
          <p xml:id="ID_826" prev="#ID_825"> in dem gleichen Sinne entschieden") und alle neueren Untersuchungen, die<lb/>
vornehmlich von belgischen Gelehrten angestellt worden sind, haben dasselbe<lb/>
Resultat ergeben"). Commynes hat darnach freilich keine urkundlich beglau¬<lb/>
bigte, nach allen Seiten gleichmäßig ausführliche Geschichte seiner Zeit ge¬<lb/>
schrieben; er hat nur Erinnerungen aus seinem Leben aufgezeichnet, bei denen<lb/>
ihn sein Gedächtniß manchmal täuschte und innerhalb denen auch einige<lb/>
wichtigere Ereignisse jener Tage keine Stelle fanden; es läßt sich aber keines¬<lb/>
wegs nachweisen, daß er den Thatbestand, den er zu überliefern hatte, durch<lb/>
Reden oder durch Verschweigen absichtlich fälschte, und es tritt im Gegen¬<lb/>
theile klar hervor, daß er sittlich verwerfliche Maßregeln der zeitgenössischen<lb/>
Fürsten und vornehmlich Ludwig's XI. ohne irgend eine Verschleierung mit¬<lb/>
theilt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_827"> Gerade dies führt nun aber auf die höchst eigenthümliche sittliche Hal¬<lb/>
tung, welche Commynes als Schriftsteller zeigt. Es ist wahr, er spricht<lb/>
mehrfach in großsinniger Weise über das Wohl der Staaten und der Völker;<lb/>
er tadelt offen einige abscheuliche Verbrechen, deren Zeuge er gewesen ist; er<lb/>
erhebt sich, nachdem er die letzten von Angst und Qualen erfüllten Tage<lb/>
Ludwig's XI. dargestellt hat, zu einer erhabenen Rede über das Thema, wie<lb/>
viel besser es wäre, wenn die Fürsten weniger Uebles thäten und mehr Gott<lb/>
liebten. Aber trotz alledem zeigt er, daß eine gemeine Weltklugheit, die von<lb/>
einer reinen und sicheren Sittlichkeit vollständig verurtheilt werden muß, ihm<lb/>
nicht tadelnswerth erscheint; das Wohl der Staaten erlaubt nach seiner Mei¬<lb/>
nung, daß man gegen einen Feind auch andere als offene und ehrliche<lb/>
Mittel anwende; nur müsse man sein Ziel erreichen, denn diejenigen, welche<lb/>
Macht gewinnen, haben immer Ehre***), während es eine große Schande ist,<lb/>
sich betrügen zu lassen und durch eigenes Ungeschick zu Grunde zu gehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_828" next="#ID_829"> Diese bedenkliche Schwäche politischer Moral tritt in den Memoiren<lb/>
Commynes' bei näherer Prüfung aller Orten und oft in abschreckender Weise<lb/>
hervor. Uns tromxeris nennt er einmal uno Iradiletö und setzt hinzu: ainki<lb/>
qu'on 1a voucirg, nommer, ear eile tut Kien oonäuits. Nach seiner Meinung<lb/>
gibt es zwei Arten von Fürsten: sagss ot lois: ig. LSZessö consists . . . .<lb/>
lians 1'g.re ä'aeeroitrs hö, Missavce, Zu diplomatischen Verhandlungen hat</p><lb/>
          <note xml:id="FID_60" place="foot"> ') of ?nilipxi vomivÄLi nao Kistoi'iea. &lt;lo!w. (Zinn. I^osbsll. Loniürs 1832.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_61" place="foot"> Nur Camille Picquö braucht in einem kleinen Memoire über Commynes scharfe Aus¬<lb/>
drücke gegen dessen Wahrhaftigkeit, vt'. Nvmoiros eouronnüs Ah l'irvirä. Lklgiquö, XII.<lb/>
18S4.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_62" place="foot"> N-Zu. II, 6S. Die folgenden Citate find sämmtlich den Memoiren Commynes' ent¬<lb/>
nommen. Kervyn de Lettenhove hat einen Theil derselben Stellen, außerdem aber noch<lb/>
eine große Zahl ähnlicher Aussprüche Commynes' zu dessen Charakteristik benutzt. Dasselbe<lb/>
haben auch Picquü und Varenbergh in ihren Abhandlungen über Commynes gethan. (Zk.<lb/>
Uömoires oouwimös as l'irvirüömiiz alö LolAi&lt;in6, XVI, 64.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0300] in dem gleichen Sinne entschieden") und alle neueren Untersuchungen, die vornehmlich von belgischen Gelehrten angestellt worden sind, haben dasselbe Resultat ergeben"). Commynes hat darnach freilich keine urkundlich beglau¬ bigte, nach allen Seiten gleichmäßig ausführliche Geschichte seiner Zeit ge¬ schrieben; er hat nur Erinnerungen aus seinem Leben aufgezeichnet, bei denen ihn sein Gedächtniß manchmal täuschte und innerhalb denen auch einige wichtigere Ereignisse jener Tage keine Stelle fanden; es läßt sich aber keines¬ wegs nachweisen, daß er den Thatbestand, den er zu überliefern hatte, durch Reden oder durch Verschweigen absichtlich fälschte, und es tritt im Gegen¬ theile klar hervor, daß er sittlich verwerfliche Maßregeln der zeitgenössischen Fürsten und vornehmlich Ludwig's XI. ohne irgend eine Verschleierung mit¬ theilt. Gerade dies führt nun aber auf die höchst eigenthümliche sittliche Hal¬ tung, welche Commynes als Schriftsteller zeigt. Es ist wahr, er spricht mehrfach in großsinniger Weise über das Wohl der Staaten und der Völker; er tadelt offen einige abscheuliche Verbrechen, deren Zeuge er gewesen ist; er erhebt sich, nachdem er die letzten von Angst und Qualen erfüllten Tage Ludwig's XI. dargestellt hat, zu einer erhabenen Rede über das Thema, wie viel besser es wäre, wenn die Fürsten weniger Uebles thäten und mehr Gott liebten. Aber trotz alledem zeigt er, daß eine gemeine Weltklugheit, die von einer reinen und sicheren Sittlichkeit vollständig verurtheilt werden muß, ihm nicht tadelnswerth erscheint; das Wohl der Staaten erlaubt nach seiner Mei¬ nung, daß man gegen einen Feind auch andere als offene und ehrliche Mittel anwende; nur müsse man sein Ziel erreichen, denn diejenigen, welche Macht gewinnen, haben immer Ehre***), während es eine große Schande ist, sich betrügen zu lassen und durch eigenes Ungeschick zu Grunde zu gehen. Diese bedenkliche Schwäche politischer Moral tritt in den Memoiren Commynes' bei näherer Prüfung aller Orten und oft in abschreckender Weise hervor. Uns tromxeris nennt er einmal uno Iradiletö und setzt hinzu: ainki qu'on 1a voucirg, nommer, ear eile tut Kien oonäuits. Nach seiner Meinung gibt es zwei Arten von Fürsten: sagss ot lois: ig. LSZessö consists . . . . lians 1'g.re ä'aeeroitrs hö, Missavce, Zu diplomatischen Verhandlungen hat ') of ?nilipxi vomivÄLi nao Kistoi'iea. <lo!w. (Zinn. I^osbsll. Loniürs 1832. Nur Camille Picquö braucht in einem kleinen Memoire über Commynes scharfe Aus¬ drücke gegen dessen Wahrhaftigkeit, vt'. Nvmoiros eouronnüs Ah l'irvirä. Lklgiquö, XII. 18S4. N-Zu. II, 6S. Die folgenden Citate find sämmtlich den Memoiren Commynes' ent¬ nommen. Kervyn de Lettenhove hat einen Theil derselben Stellen, außerdem aber noch eine große Zahl ähnlicher Aussprüche Commynes' zu dessen Charakteristik benutzt. Dasselbe haben auch Picquü und Varenbergh in ihren Abhandlungen über Commynes gethan. (Zk. Uömoires oouwimös as l'irvirüömiiz alö LolAi<in6, XVI, 64.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/300
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/300>, abgerufen am 28.09.2024.