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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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von Commynes im vorigen Jahre bewilligt hatte. Und so entfloh dieser in
derjenigen Stunde, in welcher sein bisheriger Herr und Freund sieglos zu¬
rückwich, während sein neuer Gönner durch die einstweilige Zurücknahme der
Pension zeigte, daß seine Geduld aufs äußerste gespannt war und daß er
kein Mittel scheue, um den erwünschten Parteigänger endlich zu gewinnen-
Der ganze Hergang erhält noch eine eigenthümliche Beleuchtung durch die
in den Memoiren Commynes' vorkommenden Worte, er habe in seinem
Leben wenig Leute gesehen, die es verstanden hätten, gut zu fliehen*).

Als Commynes am Hofe Ludwigs XI. anlangte, lastete auf seinem Ge¬
wissen übrigens nicht allein der verrätherische Uebergang von der burgundi¬
schen zur französischen Partei, sondern außerdem noch manche schlimme That,
die er nach den Forderungen der ränkevollen Politik jener Tage im Dienste
Karls des Kühnen auf sich genommen hatte. Er war daher auch völlig
vorbereitet, die listige Staatskunst des französischen Königs nach dessen
Sinn zu unterstützen und wir finden ihn von nun an in einer Menge
von häßlichen Geschäften, in denen Spionage, Betrug und Bestechung eine
große Rolle spielten. Jahre hindurch war hiebei das Hauptziel seines
Meisters sowie sein eigenes, die burgundische Macht zu schwächen und zu
vernichten und schließlich, nachdem Herzog Karl bei Nancy gefallen war,
einen möglichst großen Theil der Städte und Länder desselben dem französi"
schen Reiche einzuverleiben. Karls Untergang, durch den Ludwig XI. von
seinem gefährlichsten Gegner befreit wurde, wird uns von Commynes in den
Memoiren ausführlich erzählt, aber in völlig kühler Objectivität, ohne daß
dem Autor auch nur ein Wort wahrhaft inniger Theilnahme oder schmerz¬
licher Bekümmerniß über den kläglichen Tod seines ehemaligen Herrn und
Freundes entschlüpfte**).

Nach der Abwickelung der burgundischen Angelegenheiten erhielt Com¬
mynes einen neuen Wirkungskreis. Denn nun wendete Ludwig XI. seine
Augen auf auswärtige Verhältnisse und faßte den Gedanken, während der
damalige Papst Sixtus IV. die fürstliche Macht des römischen Stuhles in
Italien zu vergrößern suchte, im Gegensatze hierzu eine norditaliänische Ligue
unter dem Protektorate Frankreichs zu schaffen. Commynes wurde zur Be¬
förderung dieser Absicht als Gesandter nach Florenz geschickt, verweilte dort
während des Sommers 1478 und zeigte wieder die eminente staatsmänni¬
sche Begabung, die den Mittelpunkt seines Wesens ausmacht***).





-) N6in. I. 383.
"1 In der Erzählung von der Katastrophe Karls ist das einzige mitleidige Wort: es
vsuvro uno as LourZonkne. Ebenso nüchtern sind die darauf folgenden Reflexionen. Si6in.
II. 63 ff.
XervM als I>etteiilrove, I^ottiös et llökooiations et<z ?M. as Loma. La. I.
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von Commynes im vorigen Jahre bewilligt hatte. Und so entfloh dieser in
derjenigen Stunde, in welcher sein bisheriger Herr und Freund sieglos zu¬
rückwich, während sein neuer Gönner durch die einstweilige Zurücknahme der
Pension zeigte, daß seine Geduld aufs äußerste gespannt war und daß er
kein Mittel scheue, um den erwünschten Parteigänger endlich zu gewinnen-
Der ganze Hergang erhält noch eine eigenthümliche Beleuchtung durch die
in den Memoiren Commynes' vorkommenden Worte, er habe in seinem
Leben wenig Leute gesehen, die es verstanden hätten, gut zu fliehen*).

Als Commynes am Hofe Ludwigs XI. anlangte, lastete auf seinem Ge¬
wissen übrigens nicht allein der verrätherische Uebergang von der burgundi¬
schen zur französischen Partei, sondern außerdem noch manche schlimme That,
die er nach den Forderungen der ränkevollen Politik jener Tage im Dienste
Karls des Kühnen auf sich genommen hatte. Er war daher auch völlig
vorbereitet, die listige Staatskunst des französischen Königs nach dessen
Sinn zu unterstützen und wir finden ihn von nun an in einer Menge
von häßlichen Geschäften, in denen Spionage, Betrug und Bestechung eine
große Rolle spielten. Jahre hindurch war hiebei das Hauptziel seines
Meisters sowie sein eigenes, die burgundische Macht zu schwächen und zu
vernichten und schließlich, nachdem Herzog Karl bei Nancy gefallen war,
einen möglichst großen Theil der Städte und Länder desselben dem französi«
schen Reiche einzuverleiben. Karls Untergang, durch den Ludwig XI. von
seinem gefährlichsten Gegner befreit wurde, wird uns von Commynes in den
Memoiren ausführlich erzählt, aber in völlig kühler Objectivität, ohne daß
dem Autor auch nur ein Wort wahrhaft inniger Theilnahme oder schmerz¬
licher Bekümmerniß über den kläglichen Tod seines ehemaligen Herrn und
Freundes entschlüpfte**).

Nach der Abwickelung der burgundischen Angelegenheiten erhielt Com¬
mynes einen neuen Wirkungskreis. Denn nun wendete Ludwig XI. seine
Augen auf auswärtige Verhältnisse und faßte den Gedanken, während der
damalige Papst Sixtus IV. die fürstliche Macht des römischen Stuhles in
Italien zu vergrößern suchte, im Gegensatze hierzu eine norditaliänische Ligue
unter dem Protektorate Frankreichs zu schaffen. Commynes wurde zur Be¬
förderung dieser Absicht als Gesandter nach Florenz geschickt, verweilte dort
während des Sommers 1478 und zeigte wieder die eminente staatsmänni¬
sche Begabung, die den Mittelpunkt seines Wesens ausmacht***).





-) N6in. I. 383.
"1 In der Erzählung von der Katastrophe Karls ist das einzige mitleidige Wort: es
vsuvro uno as LourZonkne. Ebenso nüchtern sind die darauf folgenden Reflexionen. Si6in.
II. 63 ff.
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[0297] von Commynes im vorigen Jahre bewilligt hatte. Und so entfloh dieser in derjenigen Stunde, in welcher sein bisheriger Herr und Freund sieglos zu¬ rückwich, während sein neuer Gönner durch die einstweilige Zurücknahme der Pension zeigte, daß seine Geduld aufs äußerste gespannt war und daß er kein Mittel scheue, um den erwünschten Parteigänger endlich zu gewinnen- Der ganze Hergang erhält noch eine eigenthümliche Beleuchtung durch die in den Memoiren Commynes' vorkommenden Worte, er habe in seinem Leben wenig Leute gesehen, die es verstanden hätten, gut zu fliehen*). Als Commynes am Hofe Ludwigs XI. anlangte, lastete auf seinem Ge¬ wissen übrigens nicht allein der verrätherische Uebergang von der burgundi¬ schen zur französischen Partei, sondern außerdem noch manche schlimme That, die er nach den Forderungen der ränkevollen Politik jener Tage im Dienste Karls des Kühnen auf sich genommen hatte. Er war daher auch völlig vorbereitet, die listige Staatskunst des französischen Königs nach dessen Sinn zu unterstützen und wir finden ihn von nun an in einer Menge von häßlichen Geschäften, in denen Spionage, Betrug und Bestechung eine große Rolle spielten. Jahre hindurch war hiebei das Hauptziel seines Meisters sowie sein eigenes, die burgundische Macht zu schwächen und zu vernichten und schließlich, nachdem Herzog Karl bei Nancy gefallen war, einen möglichst großen Theil der Städte und Länder desselben dem französi« schen Reiche einzuverleiben. Karls Untergang, durch den Ludwig XI. von seinem gefährlichsten Gegner befreit wurde, wird uns von Commynes in den Memoiren ausführlich erzählt, aber in völlig kühler Objectivität, ohne daß dem Autor auch nur ein Wort wahrhaft inniger Theilnahme oder schmerz¬ licher Bekümmerniß über den kläglichen Tod seines ehemaligen Herrn und Freundes entschlüpfte**). Nach der Abwickelung der burgundischen Angelegenheiten erhielt Com¬ mynes einen neuen Wirkungskreis. Denn nun wendete Ludwig XI. seine Augen auf auswärtige Verhältnisse und faßte den Gedanken, während der damalige Papst Sixtus IV. die fürstliche Macht des römischen Stuhles in Italien zu vergrößern suchte, im Gegensatze hierzu eine norditaliänische Ligue unter dem Protektorate Frankreichs zu schaffen. Commynes wurde zur Be¬ förderung dieser Absicht als Gesandter nach Florenz geschickt, verweilte dort während des Sommers 1478 und zeigte wieder die eminente staatsmänni¬ sche Begabung, die den Mittelpunkt seines Wesens ausmacht***). -) N6in. I. 383. "1 In der Erzählung von der Katastrophe Karls ist das einzige mitleidige Wort: es vsuvro uno as LourZonkne. Ebenso nüchtern sind die darauf folgenden Reflexionen. Si6in. II. 63 ff. XervM als I>etteiilrove, I^ottiös et llökooiations et<z ?M. as Loma. La. I. 37*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/297>, abgerufen am 28.09.2024.