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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Philippe de Carayas*).

Im Jahre 1824 erschien zu Paris die erste Hälfte der Memoiren Phi¬
lipps von Commynes, welche die Regierung des französischen Königs Lud¬
wigs XI. von dem Jahre 1464 bis zum Jahre 1483 umfaßt. Nicht lange
darauf wurde auch die zweite Hälfte dieser Memoiren, die sich bis zum Tode
des Königs Karl VIII. im Jahre 1498 erstreckt, veröffentlicht. Das ganze
Werk ist sowohl von den Zeitgenossen wie von der Nachwelt mit dem leb¬
haftesten Beifall aufgenommen worden. Kaiser Karl V. hat es zu seiner
Lieblingslectüre gemacht und fast immer mit sich geführt. Herzog Christoph
von Wirtenberg hat es sammt den Commentarien Sleidans und anderen
hervorragenden Geschichtswerken gleichsam seiner Familienbibliothek einverleibt:
seine Gemahlin, die Herzogin Anna Maria, sagte, es sei "ein solch Buch,
daß kein Fürst sein sollte, der's nit auswendig studirt hätte"**). In der
französischen Sprache, in der diese Memoiren geschrieben wurden, sind sie
von dem Jahre 1624 an bis zur Mitte unseres Jahrhunderts nicht weni¬
ger als vier und fünfzig mal edirt worden. Von der lateinischen Ueber¬
setzung, mit welcher Sleidanus sie ehrte, sind zwölf Editionen erschienen, von
mehreren italienischen Uebersetzungen ist eine fünfmal aufgelegt worden;
außerdem zählt man vier deutsche Ausgaben, fünf englische, vier holländi¬
sche, drei spanische und eine schwedische***). Und in der That, wenn man den
inneren Werth der Memoiren Commynes' ins Auge faßt, so kann eine so
ungemein starke Verbreitung und hohe Schätzung derselben nicht Wunder
nehmen. Sie umfassen ein ganzes und höchst ereignisreiches Menschenalter
der französischen Geschichte: sie sind von der kundigsten Hand geschrieben, von
einem Manne, welcher den Thaten, die er erzählt, nicht nur fortdauernd
nahe stand, sondern der an der Ausführung derselben oftmals selber Theil
nahm; und vor allen Dingen, diese Memoiren treten uns gleichsam als ein
Lehrbuch politischer Weisheit entgegen. Denn der Autor verflicht eine Menge
von Reflexionen in den einfachen historischen Bericht, ja er unterbricht die
Erzählung nicht selten vollständig, um irgend eine wichtige Frage des staat¬
lichen Lebens umfassend zu erörtern. Da wird der Nutzen fürstlicher Zu¬
sammenkünfte zur Erledigung politischer Geschäfte und ebenso der Charakter
des Gesandtschaftswesens eingehend besprochen; da werden die Könige er¬
mahnt, gute Zucht und Ordnung in ihrem Lande zu erhalten; feudaler Un-





") Ueber die Orthographie "Commynes" siehe Klümoirss <I<z ?I>. alö vom. vel. Mr Mio.
vuxorrt, ?alis 1840, 1^ XIII.
-) Pfister. Geschichte des Herzogs Christoph zu Wirtenberg, II, 66.
?vetu"se, bibliotliEva Iristoi'los, mean irovi p. 248 so<z.
Philippe de Carayas*).

Im Jahre 1824 erschien zu Paris die erste Hälfte der Memoiren Phi¬
lipps von Commynes, welche die Regierung des französischen Königs Lud¬
wigs XI. von dem Jahre 1464 bis zum Jahre 1483 umfaßt. Nicht lange
darauf wurde auch die zweite Hälfte dieser Memoiren, die sich bis zum Tode
des Königs Karl VIII. im Jahre 1498 erstreckt, veröffentlicht. Das ganze
Werk ist sowohl von den Zeitgenossen wie von der Nachwelt mit dem leb¬
haftesten Beifall aufgenommen worden. Kaiser Karl V. hat es zu seiner
Lieblingslectüre gemacht und fast immer mit sich geführt. Herzog Christoph
von Wirtenberg hat es sammt den Commentarien Sleidans und anderen
hervorragenden Geschichtswerken gleichsam seiner Familienbibliothek einverleibt:
seine Gemahlin, die Herzogin Anna Maria, sagte, es sei „ein solch Buch,
daß kein Fürst sein sollte, der's nit auswendig studirt hätte"**). In der
französischen Sprache, in der diese Memoiren geschrieben wurden, sind sie
von dem Jahre 1624 an bis zur Mitte unseres Jahrhunderts nicht weni¬
ger als vier und fünfzig mal edirt worden. Von der lateinischen Ueber¬
setzung, mit welcher Sleidanus sie ehrte, sind zwölf Editionen erschienen, von
mehreren italienischen Uebersetzungen ist eine fünfmal aufgelegt worden;
außerdem zählt man vier deutsche Ausgaben, fünf englische, vier holländi¬
sche, drei spanische und eine schwedische***). Und in der That, wenn man den
inneren Werth der Memoiren Commynes' ins Auge faßt, so kann eine so
ungemein starke Verbreitung und hohe Schätzung derselben nicht Wunder
nehmen. Sie umfassen ein ganzes und höchst ereignisreiches Menschenalter
der französischen Geschichte: sie sind von der kundigsten Hand geschrieben, von
einem Manne, welcher den Thaten, die er erzählt, nicht nur fortdauernd
nahe stand, sondern der an der Ausführung derselben oftmals selber Theil
nahm; und vor allen Dingen, diese Memoiren treten uns gleichsam als ein
Lehrbuch politischer Weisheit entgegen. Denn der Autor verflicht eine Menge
von Reflexionen in den einfachen historischen Bericht, ja er unterbricht die
Erzählung nicht selten vollständig, um irgend eine wichtige Frage des staat¬
lichen Lebens umfassend zu erörtern. Da wird der Nutzen fürstlicher Zu¬
sammenkünfte zur Erledigung politischer Geschäfte und ebenso der Charakter
des Gesandtschaftswesens eingehend besprochen; da werden die Könige er¬
mahnt, gute Zucht und Ordnung in ihrem Lande zu erhalten; feudaler Un-





") Ueber die Orthographie „Commynes" siehe Klümoirss <I<z ?I>. alö vom. vel. Mr Mio.
vuxorrt, ?alis 1840, 1^ XIII.
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[0292] Philippe de Carayas*). Im Jahre 1824 erschien zu Paris die erste Hälfte der Memoiren Phi¬ lipps von Commynes, welche die Regierung des französischen Königs Lud¬ wigs XI. von dem Jahre 1464 bis zum Jahre 1483 umfaßt. Nicht lange darauf wurde auch die zweite Hälfte dieser Memoiren, die sich bis zum Tode des Königs Karl VIII. im Jahre 1498 erstreckt, veröffentlicht. Das ganze Werk ist sowohl von den Zeitgenossen wie von der Nachwelt mit dem leb¬ haftesten Beifall aufgenommen worden. Kaiser Karl V. hat es zu seiner Lieblingslectüre gemacht und fast immer mit sich geführt. Herzog Christoph von Wirtenberg hat es sammt den Commentarien Sleidans und anderen hervorragenden Geschichtswerken gleichsam seiner Familienbibliothek einverleibt: seine Gemahlin, die Herzogin Anna Maria, sagte, es sei „ein solch Buch, daß kein Fürst sein sollte, der's nit auswendig studirt hätte"**). In der französischen Sprache, in der diese Memoiren geschrieben wurden, sind sie von dem Jahre 1624 an bis zur Mitte unseres Jahrhunderts nicht weni¬ ger als vier und fünfzig mal edirt worden. Von der lateinischen Ueber¬ setzung, mit welcher Sleidanus sie ehrte, sind zwölf Editionen erschienen, von mehreren italienischen Uebersetzungen ist eine fünfmal aufgelegt worden; außerdem zählt man vier deutsche Ausgaben, fünf englische, vier holländi¬ sche, drei spanische und eine schwedische***). Und in der That, wenn man den inneren Werth der Memoiren Commynes' ins Auge faßt, so kann eine so ungemein starke Verbreitung und hohe Schätzung derselben nicht Wunder nehmen. Sie umfassen ein ganzes und höchst ereignisreiches Menschenalter der französischen Geschichte: sie sind von der kundigsten Hand geschrieben, von einem Manne, welcher den Thaten, die er erzählt, nicht nur fortdauernd nahe stand, sondern der an der Ausführung derselben oftmals selber Theil nahm; und vor allen Dingen, diese Memoiren treten uns gleichsam als ein Lehrbuch politischer Weisheit entgegen. Denn der Autor verflicht eine Menge von Reflexionen in den einfachen historischen Bericht, ja er unterbricht die Erzählung nicht selten vollständig, um irgend eine wichtige Frage des staat¬ lichen Lebens umfassend zu erörtern. Da wird der Nutzen fürstlicher Zu¬ sammenkünfte zur Erledigung politischer Geschäfte und ebenso der Charakter des Gesandtschaftswesens eingehend besprochen; da werden die Könige er¬ mahnt, gute Zucht und Ordnung in ihrem Lande zu erhalten; feudaler Un- ") Ueber die Orthographie „Commynes" siehe Klümoirss <I<z ?I>. alö vom. vel. Mr Mio. vuxorrt, ?alis 1840, 1^ XIII. -) Pfister. Geschichte des Herzogs Christoph zu Wirtenberg, II, 66. ?vetu»se, bibliotliEva Iristoi'los, mean irovi p. 248 so<z.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/292>, abgerufen am 29.06.2024.