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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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pfeifen die Spatzen auf den Dächern von zwei Seelen in dem bisher so ein,
wüthigen Körper. Es ist überhaupt gekommen, wie man es voraussehen
konnte und ich Ihnen auch schon hin und wieder angedeutet hatte. Wochen¬
lang zankten sich die Parteien um die beiden Memoranden, deren Inhalt
außer dem Kaiser und dessen uneinigen Räthen Niemand bekannt war. Die
Minister selbst hatten einander das Wort gegeben, sich bis zur Entscheidung
des Kaisers vollkommen passiv zu verhalten. Als aber der Reichsrath nach
den Weihnachtsferien wieder zusammentrat und an den Entwurf einer Adresse
ging, gaben die Majoritätsminister dem Drängen ihrer Parteifreunde nach,
sich über den Inhalt des Berger'schen Memorandums zu äußern. Ihre Mit¬
theilungen wurden, schwerlich mit diplomatischer Genauigkeit, sofort den
Journalisten überantwortet, welche von denselben in ihrer Weise Gebrauch
machten, und so las man denn, die Herren Giskra und Genossen hätten das
Gerücht direct bestätigt, daß ihre Gegner den Belcredi'schen außerordentlichen
Reichsrath, wenn auch "in verschämter Form", wieder in Vorschlag gebracht
hätten. Die Drei beschwerten sich über das "illoyale" Vorgehen ihrer Col-
egen und baten den Kaiser um die Erlaubniß, zur Widerlegung der ihnen
ungünstigen Ausstreuungen ihre Denkschrift veröffentlichen zu dürfen. Dar¬
auf erfolgte des Kaisers Befehl, beide Schriftstücke in ihrem vollen Inhalte
im amtlichen Blatte erscheinen zu lassen. Daß Actenstücke solcher Art officiell
in die Oeffentlichkeit gebracht worden sind, so lange die Unterzeichner noch
factisch Mitglieder desselben Regierungs-Collegiums waren, ist wohl ohne
Beispiel und konnte nicht dazu beitragen, die Autorität des ganzen Cabinets
oder einer von den Fractionen desselben zu stärken, das Vertrauen in den
Bestand constitutioneller Zustände überhaupt zu beleben. Aber provocirt war
die befremdliche Maßregel unstreitig durch dieselbe Partei, welche am meisten
darunter litt und noch leidet. Mochten die Minister sich in jener verhäng-
nißvollen Abgeordnetenversammlung immerhin mit viel mehr Reserve geäu¬
ßert haben, als es nach den Darstellungen der Blätter schien: Andeutungen
in dem gleichen Sinne waren doch schon längst aus's beflissenste verbreitet
worden, und während die ministeriellen Zeitungen des In- und Auslandes
rührende Klage darüber führten, daß ihre Patrone keinen Preßfond zur Ver¬
fügung hätten, wurde die Minorität mit einem Eifer angeschwärzt, welcher
dem bezahlten zum Verwechseln ähnlich sah. Diese Thätigkeit hatte aller¬
dings ihren sichern Erfolg. Die große Schaar der "gebildeten Politiker" er¬
sparte sich die Mühe, die Staatsschriften zu lesen, über welche sie sich
ja lange vorher ihr Urtheil aus den Mittheilungen ihrer Parteiblätter
"gebildet" hatten, während unabhängige Personen sich weder für die Mi¬
norität noch für die Majorität enthusiasmiren konnten. So sehr auch Ber¬
ger sich an Scharfsinn und dialectischer Gewandtheit dem Verfasser des


pfeifen die Spatzen auf den Dächern von zwei Seelen in dem bisher so ein,
wüthigen Körper. Es ist überhaupt gekommen, wie man es voraussehen
konnte und ich Ihnen auch schon hin und wieder angedeutet hatte. Wochen¬
lang zankten sich die Parteien um die beiden Memoranden, deren Inhalt
außer dem Kaiser und dessen uneinigen Räthen Niemand bekannt war. Die
Minister selbst hatten einander das Wort gegeben, sich bis zur Entscheidung
des Kaisers vollkommen passiv zu verhalten. Als aber der Reichsrath nach
den Weihnachtsferien wieder zusammentrat und an den Entwurf einer Adresse
ging, gaben die Majoritätsminister dem Drängen ihrer Parteifreunde nach,
sich über den Inhalt des Berger'schen Memorandums zu äußern. Ihre Mit¬
theilungen wurden, schwerlich mit diplomatischer Genauigkeit, sofort den
Journalisten überantwortet, welche von denselben in ihrer Weise Gebrauch
machten, und so las man denn, die Herren Giskra und Genossen hätten das
Gerücht direct bestätigt, daß ihre Gegner den Belcredi'schen außerordentlichen
Reichsrath, wenn auch „in verschämter Form", wieder in Vorschlag gebracht
hätten. Die Drei beschwerten sich über das „illoyale" Vorgehen ihrer Col-
egen und baten den Kaiser um die Erlaubniß, zur Widerlegung der ihnen
ungünstigen Ausstreuungen ihre Denkschrift veröffentlichen zu dürfen. Dar¬
auf erfolgte des Kaisers Befehl, beide Schriftstücke in ihrem vollen Inhalte
im amtlichen Blatte erscheinen zu lassen. Daß Actenstücke solcher Art officiell
in die Oeffentlichkeit gebracht worden sind, so lange die Unterzeichner noch
factisch Mitglieder desselben Regierungs-Collegiums waren, ist wohl ohne
Beispiel und konnte nicht dazu beitragen, die Autorität des ganzen Cabinets
oder einer von den Fractionen desselben zu stärken, das Vertrauen in den
Bestand constitutioneller Zustände überhaupt zu beleben. Aber provocirt war
die befremdliche Maßregel unstreitig durch dieselbe Partei, welche am meisten
darunter litt und noch leidet. Mochten die Minister sich in jener verhäng-
nißvollen Abgeordnetenversammlung immerhin mit viel mehr Reserve geäu¬
ßert haben, als es nach den Darstellungen der Blätter schien: Andeutungen
in dem gleichen Sinne waren doch schon längst aus's beflissenste verbreitet
worden, und während die ministeriellen Zeitungen des In- und Auslandes
rührende Klage darüber führten, daß ihre Patrone keinen Preßfond zur Ver¬
fügung hätten, wurde die Minorität mit einem Eifer angeschwärzt, welcher
dem bezahlten zum Verwechseln ähnlich sah. Diese Thätigkeit hatte aller¬
dings ihren sichern Erfolg. Die große Schaar der „gebildeten Politiker" er¬
sparte sich die Mühe, die Staatsschriften zu lesen, über welche sie sich
ja lange vorher ihr Urtheil aus den Mittheilungen ihrer Parteiblätter
„gebildet" hatten, während unabhängige Personen sich weder für die Mi¬
norität noch für die Majorität enthusiasmiren konnten. So sehr auch Ber¬
ger sich an Scharfsinn und dialectischer Gewandtheit dem Verfasser des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/275>, abgerufen am 29.06.2024.