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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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führbarkeit fehle, könnte man über sie hinwegsehen, zu fürchten sei nur,
daß sie durch die bekannten und oft versuchten Agitationsmittel auch außer
dem Landtagssaale proclamirt würden. Die Mitglieder des Landtags stän¬
den allerdings unter dem Schutze der Immunität, nicht aber ebenso die Nach¬
klänge außerhalb des Saales, und da sich diese mit dem Nimbus eines Land¬
tagsbeschlusses umgeben und die öffentliche Ruhe und Ordnung stören könn¬
ten, fühle er, der Statthalter, sich auch veranlaßt, den Landtag vor einer
Beschlußfassung über die Ausschußanträge zu bewahren. Im allerhöchsten
Austrage fordere er darum den Landeshauptmann auf, den Landtag sofort
zu schließen.

Dadurch war der großen Action, die in der Absicht ihrer Anstifter den
Sieg der Reaction für ganz Oestreich bedeuten sollte, plötzlich der Boden
unter den Füßen entrückt. Stürmischer Beifall von der Linken und der
Gallerie gaben der Freude über die zur rechten Zeit gesprochene Entschei¬
dung Ausdruck. Pater Jäger "forderte nach altem Tiroler Brauch" zu
einem Hoch auf den Kaiser auf, worin die ganze Rechte einstimmte. Der volle
Jubel brach aber erst dann wieder los, als der liberale Landeshauptmann
Dr. v. Grebmer die Session mit einem dreimaligen Hoch auf Se. Majestät
für geschlossen erklärte.

So weit herausgewagt hatte sich die feudal-clericale Partei in Tirol
früher nie. Fragen wir nach den Ursachen, die sie gerade jetzt zu einer Rück¬
kehr zu den vier Ständen und der alten Landesmatrikel verleiteten, so sind
sie in höheren Kreisen zu suchen, in denen man einer selbständigen Ord¬
nung der besonderen Verhältnisse der Königreiche und Lander die sorgsamste
Rücksicht schenkt. Die Partei, die den "Ausgleich" durch einen "außerordent¬
lichen" Reichsrath nach dem ruhmvollen Vorbilde Belcredi's und den Sturz
der Verfassung als Ziel anstrebt, ist eben nicht groß, aber mächtig,
zumal in Wien. Am Ende muß es doch zum Bruche kommen. Besitzt
das deutsche Element die Kraft, aus den Trümmern des alten verrotteten
Kaiserstaats ein neues Oestreich zu schaffen, das auch den Muth hat, zu
brechen mit Rom und seinen Knappen, so liegt darin eine Bürgschaft für
seinen Bestand, wo nicht, wird es dem Hader der Länder und Nationalitäten
unrettbar zum Opfer fallen.




führbarkeit fehle, könnte man über sie hinwegsehen, zu fürchten sei nur,
daß sie durch die bekannten und oft versuchten Agitationsmittel auch außer
dem Landtagssaale proclamirt würden. Die Mitglieder des Landtags stän¬
den allerdings unter dem Schutze der Immunität, nicht aber ebenso die Nach¬
klänge außerhalb des Saales, und da sich diese mit dem Nimbus eines Land¬
tagsbeschlusses umgeben und die öffentliche Ruhe und Ordnung stören könn¬
ten, fühle er, der Statthalter, sich auch veranlaßt, den Landtag vor einer
Beschlußfassung über die Ausschußanträge zu bewahren. Im allerhöchsten
Austrage fordere er darum den Landeshauptmann auf, den Landtag sofort
zu schließen.

Dadurch war der großen Action, die in der Absicht ihrer Anstifter den
Sieg der Reaction für ganz Oestreich bedeuten sollte, plötzlich der Boden
unter den Füßen entrückt. Stürmischer Beifall von der Linken und der
Gallerie gaben der Freude über die zur rechten Zeit gesprochene Entschei¬
dung Ausdruck. Pater Jäger „forderte nach altem Tiroler Brauch" zu
einem Hoch auf den Kaiser auf, worin die ganze Rechte einstimmte. Der volle
Jubel brach aber erst dann wieder los, als der liberale Landeshauptmann
Dr. v. Grebmer die Session mit einem dreimaligen Hoch auf Se. Majestät
für geschlossen erklärte.

So weit herausgewagt hatte sich die feudal-clericale Partei in Tirol
früher nie. Fragen wir nach den Ursachen, die sie gerade jetzt zu einer Rück¬
kehr zu den vier Ständen und der alten Landesmatrikel verleiteten, so sind
sie in höheren Kreisen zu suchen, in denen man einer selbständigen Ord¬
nung der besonderen Verhältnisse der Königreiche und Lander die sorgsamste
Rücksicht schenkt. Die Partei, die den „Ausgleich" durch einen „außerordent¬
lichen" Reichsrath nach dem ruhmvollen Vorbilde Belcredi's und den Sturz
der Verfassung als Ziel anstrebt, ist eben nicht groß, aber mächtig,
zumal in Wien. Am Ende muß es doch zum Bruche kommen. Besitzt
das deutsche Element die Kraft, aus den Trümmern des alten verrotteten
Kaiserstaats ein neues Oestreich zu schaffen, das auch den Muth hat, zu
brechen mit Rom und seinen Knappen, so liegt darin eine Bürgschaft für
seinen Bestand, wo nicht, wird es dem Hader der Länder und Nationalitäten
unrettbar zum Opfer fallen.




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[0270] führbarkeit fehle, könnte man über sie hinwegsehen, zu fürchten sei nur, daß sie durch die bekannten und oft versuchten Agitationsmittel auch außer dem Landtagssaale proclamirt würden. Die Mitglieder des Landtags stän¬ den allerdings unter dem Schutze der Immunität, nicht aber ebenso die Nach¬ klänge außerhalb des Saales, und da sich diese mit dem Nimbus eines Land¬ tagsbeschlusses umgeben und die öffentliche Ruhe und Ordnung stören könn¬ ten, fühle er, der Statthalter, sich auch veranlaßt, den Landtag vor einer Beschlußfassung über die Ausschußanträge zu bewahren. Im allerhöchsten Austrage fordere er darum den Landeshauptmann auf, den Landtag sofort zu schließen. Dadurch war der großen Action, die in der Absicht ihrer Anstifter den Sieg der Reaction für ganz Oestreich bedeuten sollte, plötzlich der Boden unter den Füßen entrückt. Stürmischer Beifall von der Linken und der Gallerie gaben der Freude über die zur rechten Zeit gesprochene Entschei¬ dung Ausdruck. Pater Jäger „forderte nach altem Tiroler Brauch" zu einem Hoch auf den Kaiser auf, worin die ganze Rechte einstimmte. Der volle Jubel brach aber erst dann wieder los, als der liberale Landeshauptmann Dr. v. Grebmer die Session mit einem dreimaligen Hoch auf Se. Majestät für geschlossen erklärte. So weit herausgewagt hatte sich die feudal-clericale Partei in Tirol früher nie. Fragen wir nach den Ursachen, die sie gerade jetzt zu einer Rück¬ kehr zu den vier Ständen und der alten Landesmatrikel verleiteten, so sind sie in höheren Kreisen zu suchen, in denen man einer selbständigen Ord¬ nung der besonderen Verhältnisse der Königreiche und Lander die sorgsamste Rücksicht schenkt. Die Partei, die den „Ausgleich" durch einen „außerordent¬ lichen" Reichsrath nach dem ruhmvollen Vorbilde Belcredi's und den Sturz der Verfassung als Ziel anstrebt, ist eben nicht groß, aber mächtig, zumal in Wien. Am Ende muß es doch zum Bruche kommen. Besitzt das deutsche Element die Kraft, aus den Trümmern des alten verrotteten Kaiserstaats ein neues Oestreich zu schaffen, das auch den Muth hat, zu brechen mit Rom und seinen Knappen, so liegt darin eine Bürgschaft für seinen Bestand, wo nicht, wird es dem Hader der Länder und Nationalitäten unrettbar zum Opfer fallen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/270>, abgerufen am 29.06.2024.