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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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der Strategie, die ihn zu so gefährlichen und verzweifelten Versuchen ge¬
bracht habe. (?. 287 vgl. v. 160).

Mehr noch als Charras (436--440) und Bernhard! (345--347) findet
Chesney das Verfahren Grouchy's von dem Momente an höchst lobenswerth,
da derselbe auf die Nachricht von der Niederlage Napoleon's ganz auf seine
eigenen Eingebungen gestellt war. Er meint, unter anderen Umständen würde
die französische Nation aus Grouchy's Rückzug von Wavre bis Dinant einen
Ruhmestitel für sich gemacht haben; er theilt nicht den Vorwurf d.er Unklar¬
heit und Unbeholfenheit, welchen Clausewitz (172) gegen Grouchy bei der
Verfolgung der Preußen zwischen Gemblaux und Wavre erhebt.

Auch in Bezug auf Ney's Verfahren bei Quatrebras schließt sich die
neue Untersuchung der von Charras (116--118, 544 flgde.) namentlich in
dem Nachweise an, daß die Einnahme dieses Knotenpunktes weder beabsich¬
tigt noch zulässig war, ehe der rechte Flügel der Armee Sombreffe besetzt
hatte; das sollte aber erst am 16. geschehen, wie schon Clausewitz (Werke
VIII. 62, 104) bemerkt. An diesem Orte hätte aber eine genaue Erörterung
über Clausewitz' fernere Ansicht -- und nicht blos eine Erwähnung derselben
-- aufgenommen werden müssen, daß die Stellung von Quatrebras die Wich¬
tigkeit gar nicht verdiene, die man ihr beimesse. Sehr erwünscht ist die
Bemerkung, daß die geringe Stärke der alliirten Streitkräfte dem französi¬
schen Befehlshaber durch das auf etwa 1S00 Fuß ansteigende und damals
noch mit Gehölz im Südwesten*) des Knotenpunktes besetzte Terrain ver¬
deckt wurde**).

Die preußische Heerleitung, namentlich der heroische Entschluß, den Rück¬
zug von Ligny auf Wavre zu lenken, findet bei Chesney, wie gesagt, die
wärmste Anerkennung; aber ein neues Ergebniß ist aus diesem Theile des
Buches nicht zu gewinnen; und es wäre am besten gewesen, einfach die edlen
Worte herüberzunehmen, mit denen Clausewitz (VII. 113) die Motive schildert.
Anderseits führt der Autor die Schwächen der englischen Heerleitung,
welche schon Charras (183 und 200) auffielen -- und denen, dem Verfasser
unbewußt, Bernhardt (278 und 288) näher nachgegangen war -- mit voll¬
kommener Unbefangenheit aus. Zu denselben ist die weitere Bemerkung
Chesney's einleuchtend, daß die westwärts aufgestellten 18,000 Mann unter
den Befehlen Colville's und des Prinzen Friedrich der Niederlande, welche
eine Umgehung über Nivelles und Hat verhindern sollten, diesem Zwecke
ebenso gut entsprochen haben würden, wenn sie dem Schlachtfelde von Waterloo
zwei Stunden näher aufgestellt worden wären. Auf alle Fälle hätten sie




") sua-ost hat 101, "im südlichen Winkel jener Kreuzwege" hat v. ö9.
-) Dieser letztere Umstand tritt aus der Charras'schen Ncproducirung des Schlachtfeldes
in seinem Zustande von 1815 (Planche ö) schön hervor.

der Strategie, die ihn zu so gefährlichen und verzweifelten Versuchen ge¬
bracht habe. (?. 287 vgl. v. 160).

Mehr noch als Charras (436—440) und Bernhard! (345—347) findet
Chesney das Verfahren Grouchy's von dem Momente an höchst lobenswerth,
da derselbe auf die Nachricht von der Niederlage Napoleon's ganz auf seine
eigenen Eingebungen gestellt war. Er meint, unter anderen Umständen würde
die französische Nation aus Grouchy's Rückzug von Wavre bis Dinant einen
Ruhmestitel für sich gemacht haben; er theilt nicht den Vorwurf d.er Unklar¬
heit und Unbeholfenheit, welchen Clausewitz (172) gegen Grouchy bei der
Verfolgung der Preußen zwischen Gemblaux und Wavre erhebt.

Auch in Bezug auf Ney's Verfahren bei Quatrebras schließt sich die
neue Untersuchung der von Charras (116—118, 544 flgde.) namentlich in
dem Nachweise an, daß die Einnahme dieses Knotenpunktes weder beabsich¬
tigt noch zulässig war, ehe der rechte Flügel der Armee Sombreffe besetzt
hatte; das sollte aber erst am 16. geschehen, wie schon Clausewitz (Werke
VIII. 62, 104) bemerkt. An diesem Orte hätte aber eine genaue Erörterung
über Clausewitz' fernere Ansicht — und nicht blos eine Erwähnung derselben
— aufgenommen werden müssen, daß die Stellung von Quatrebras die Wich¬
tigkeit gar nicht verdiene, die man ihr beimesse. Sehr erwünscht ist die
Bemerkung, daß die geringe Stärke der alliirten Streitkräfte dem französi¬
schen Befehlshaber durch das auf etwa 1S00 Fuß ansteigende und damals
noch mit Gehölz im Südwesten*) des Knotenpunktes besetzte Terrain ver¬
deckt wurde**).

Die preußische Heerleitung, namentlich der heroische Entschluß, den Rück¬
zug von Ligny auf Wavre zu lenken, findet bei Chesney, wie gesagt, die
wärmste Anerkennung; aber ein neues Ergebniß ist aus diesem Theile des
Buches nicht zu gewinnen; und es wäre am besten gewesen, einfach die edlen
Worte herüberzunehmen, mit denen Clausewitz (VII. 113) die Motive schildert.
Anderseits führt der Autor die Schwächen der englischen Heerleitung,
welche schon Charras (183 und 200) auffielen — und denen, dem Verfasser
unbewußt, Bernhardt (278 und 288) näher nachgegangen war — mit voll¬
kommener Unbefangenheit aus. Zu denselben ist die weitere Bemerkung
Chesney's einleuchtend, daß die westwärts aufgestellten 18,000 Mann unter
den Befehlen Colville's und des Prinzen Friedrich der Niederlande, welche
eine Umgehung über Nivelles und Hat verhindern sollten, diesem Zwecke
ebenso gut entsprochen haben würden, wenn sie dem Schlachtfelde von Waterloo
zwei Stunden näher aufgestellt worden wären. Auf alle Fälle hätten sie




") sua-ost hat 101, „im südlichen Winkel jener Kreuzwege" hat v. ö9.
-) Dieser letztere Umstand tritt aus der Charras'schen Ncproducirung des Schlachtfeldes
in seinem Zustande von 1815 (Planche ö) schön hervor.
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[0197] der Strategie, die ihn zu so gefährlichen und verzweifelten Versuchen ge¬ bracht habe. (?. 287 vgl. v. 160). Mehr noch als Charras (436—440) und Bernhard! (345—347) findet Chesney das Verfahren Grouchy's von dem Momente an höchst lobenswerth, da derselbe auf die Nachricht von der Niederlage Napoleon's ganz auf seine eigenen Eingebungen gestellt war. Er meint, unter anderen Umständen würde die französische Nation aus Grouchy's Rückzug von Wavre bis Dinant einen Ruhmestitel für sich gemacht haben; er theilt nicht den Vorwurf d.er Unklar¬ heit und Unbeholfenheit, welchen Clausewitz (172) gegen Grouchy bei der Verfolgung der Preußen zwischen Gemblaux und Wavre erhebt. Auch in Bezug auf Ney's Verfahren bei Quatrebras schließt sich die neue Untersuchung der von Charras (116—118, 544 flgde.) namentlich in dem Nachweise an, daß die Einnahme dieses Knotenpunktes weder beabsich¬ tigt noch zulässig war, ehe der rechte Flügel der Armee Sombreffe besetzt hatte; das sollte aber erst am 16. geschehen, wie schon Clausewitz (Werke VIII. 62, 104) bemerkt. An diesem Orte hätte aber eine genaue Erörterung über Clausewitz' fernere Ansicht — und nicht blos eine Erwähnung derselben — aufgenommen werden müssen, daß die Stellung von Quatrebras die Wich¬ tigkeit gar nicht verdiene, die man ihr beimesse. Sehr erwünscht ist die Bemerkung, daß die geringe Stärke der alliirten Streitkräfte dem französi¬ schen Befehlshaber durch das auf etwa 1S00 Fuß ansteigende und damals noch mit Gehölz im Südwesten*) des Knotenpunktes besetzte Terrain ver¬ deckt wurde**). Die preußische Heerleitung, namentlich der heroische Entschluß, den Rück¬ zug von Ligny auf Wavre zu lenken, findet bei Chesney, wie gesagt, die wärmste Anerkennung; aber ein neues Ergebniß ist aus diesem Theile des Buches nicht zu gewinnen; und es wäre am besten gewesen, einfach die edlen Worte herüberzunehmen, mit denen Clausewitz (VII. 113) die Motive schildert. Anderseits führt der Autor die Schwächen der englischen Heerleitung, welche schon Charras (183 und 200) auffielen — und denen, dem Verfasser unbewußt, Bernhardt (278 und 288) näher nachgegangen war — mit voll¬ kommener Unbefangenheit aus. Zu denselben ist die weitere Bemerkung Chesney's einleuchtend, daß die westwärts aufgestellten 18,000 Mann unter den Befehlen Colville's und des Prinzen Friedrich der Niederlande, welche eine Umgehung über Nivelles und Hat verhindern sollten, diesem Zwecke ebenso gut entsprochen haben würden, wenn sie dem Schlachtfelde von Waterloo zwei Stunden näher aufgestellt worden wären. Auf alle Fälle hätten sie ") sua-ost hat 101, „im südlichen Winkel jener Kreuzwege" hat v. ö9. -) Dieser letztere Umstand tritt aus der Charras'schen Ncproducirung des Schlachtfeldes in seinem Zustande von 1815 (Planche ö) schön hervor.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/197>, abgerufen am 26.06.2024.