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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Tochter des preußischen Königspaars, und der Prinzessin Ludwig von Hessen,
Alice, Tochter der Königin von England und Schwester der Kronprinzessin
von Preußen. Der Darmstädter Verein zählte im vorigen Jahre nicht weniger
als drittehalbtausend Mitglieder mit dreitausend Gulden an Jahresbeiträgen.
Er hat Lehrcurse eingerichtet, in denen Frauen und Mädchen von allgemei¬
ner Bildung sich die allgemeine wissenschaftliche Erkenntniß aneignen können,
welcher eine wahrhafte tüchtige Krankenpflegerin bedarf. Diese Lehrcurse
sollte man aller Orten einrichten, wo es an den erforderlichen Kräften.
Mitteln und Lernbegieriger nicht fehlt. Sie sind zur Erreichung dieses Zieles
der schlechthin entscheidende Schritt. Sie erheben die bisherige Pfuscherei auf
diesem Gebiet zum Beruf und stellen diesen auf ein Piedestal, von wel¬
chem herab er den dafür angelegten weiblichen Seelen hinlänglich sichtbar
werden wird.

Alle Sachkenner sind darüber einverstanden, daß die Krankenpflege im
Allgemeinen besser in weiblichen als in männlichen Händen aufgehoben ist.
Nur wo es auf besonders starke Muskeln und Nerven ankommt, wie z. B.
bei der Bewachung tobsüchtiger Irren oder bei gewissen chirurgischen Opera¬
tionen, sind Wärter nicht ganz zu entbehren. Zu der Masse der in Betracht
kommenden Geschäfte aber befähigen Sanftmuth, Geduld und Sorgfalt in
kleinen Dingen die Frauen mehr. Weshalb haben sich denn also nicht
von jeher ebenso viele tüchtige und gebildete junge Mädchen dem Dienste
der leidenden Menschheit als Krankenpflegerinnen gewidmet, wie junge
Männer als Aerzte? Setzt jener Theil des Dienstes wirklich im Vergleich
zu diesem soviel höhere Hingebung und Entsagungskraft voraus, wie ge¬
wöhnlich ohne viel Ueberlegung angenommen wird, oder ist es vielmehr nur
theils die herkömmliche Beschränktheit der weiblichen Berufswahl, theils die
Folge derselben, der durchschnittliche Mangel an geschäftlicher Initiative und
Energie bei den Frauen, was das bezeichnete Mißverhältniß der Meldungen
erklärt? Die Berufssphäre der Frau war bisher in Deutschland eine durch
Herkommen, Sitte und Gesetz engbegrenzte. Töchter gebildeter, wohlhabender
und einen gewissen gesellschaftlichen Rang einnehmender Familien insbeson¬
dere konnten entweder überhaupt keinem Erwerbe nachgehen oder nur inner¬
halb bestimmt angewiesener Laufbahnen; manche Berufszweige, die anderen
Mädchen und Frauen offenstanden, waren ihnen verschlossen. Dazu zählte
auch der Dienst am fremden Krankenbett. Eine gewöhnliche, rohe. Wartung
durfte durch Frauen geleistet werden -- sachverständige Pflege nicht. In
diesen Bann haben die Diaconissenanstalten die erste Bresche gebrochen, und
dos ist ihr historisches Verdienst gewesen. Aber sie öffneten den Zugang nur für
einen sehr kleinen Theil gebildeter evangelischer Frauen. -- Die große Masse
schlössen sie geflissentlich und unvermeidlich aus. Um durch dieses Thor die


Tochter des preußischen Königspaars, und der Prinzessin Ludwig von Hessen,
Alice, Tochter der Königin von England und Schwester der Kronprinzessin
von Preußen. Der Darmstädter Verein zählte im vorigen Jahre nicht weniger
als drittehalbtausend Mitglieder mit dreitausend Gulden an Jahresbeiträgen.
Er hat Lehrcurse eingerichtet, in denen Frauen und Mädchen von allgemei¬
ner Bildung sich die allgemeine wissenschaftliche Erkenntniß aneignen können,
welcher eine wahrhafte tüchtige Krankenpflegerin bedarf. Diese Lehrcurse
sollte man aller Orten einrichten, wo es an den erforderlichen Kräften.
Mitteln und Lernbegieriger nicht fehlt. Sie sind zur Erreichung dieses Zieles
der schlechthin entscheidende Schritt. Sie erheben die bisherige Pfuscherei auf
diesem Gebiet zum Beruf und stellen diesen auf ein Piedestal, von wel¬
chem herab er den dafür angelegten weiblichen Seelen hinlänglich sichtbar
werden wird.

Alle Sachkenner sind darüber einverstanden, daß die Krankenpflege im
Allgemeinen besser in weiblichen als in männlichen Händen aufgehoben ist.
Nur wo es auf besonders starke Muskeln und Nerven ankommt, wie z. B.
bei der Bewachung tobsüchtiger Irren oder bei gewissen chirurgischen Opera¬
tionen, sind Wärter nicht ganz zu entbehren. Zu der Masse der in Betracht
kommenden Geschäfte aber befähigen Sanftmuth, Geduld und Sorgfalt in
kleinen Dingen die Frauen mehr. Weshalb haben sich denn also nicht
von jeher ebenso viele tüchtige und gebildete junge Mädchen dem Dienste
der leidenden Menschheit als Krankenpflegerinnen gewidmet, wie junge
Männer als Aerzte? Setzt jener Theil des Dienstes wirklich im Vergleich
zu diesem soviel höhere Hingebung und Entsagungskraft voraus, wie ge¬
wöhnlich ohne viel Ueberlegung angenommen wird, oder ist es vielmehr nur
theils die herkömmliche Beschränktheit der weiblichen Berufswahl, theils die
Folge derselben, der durchschnittliche Mangel an geschäftlicher Initiative und
Energie bei den Frauen, was das bezeichnete Mißverhältniß der Meldungen
erklärt? Die Berufssphäre der Frau war bisher in Deutschland eine durch
Herkommen, Sitte und Gesetz engbegrenzte. Töchter gebildeter, wohlhabender
und einen gewissen gesellschaftlichen Rang einnehmender Familien insbeson¬
dere konnten entweder überhaupt keinem Erwerbe nachgehen oder nur inner¬
halb bestimmt angewiesener Laufbahnen; manche Berufszweige, die anderen
Mädchen und Frauen offenstanden, waren ihnen verschlossen. Dazu zählte
auch der Dienst am fremden Krankenbett. Eine gewöhnliche, rohe. Wartung
durfte durch Frauen geleistet werden — sachverständige Pflege nicht. In
diesen Bann haben die Diaconissenanstalten die erste Bresche gebrochen, und
dos ist ihr historisches Verdienst gewesen. Aber sie öffneten den Zugang nur für
einen sehr kleinen Theil gebildeter evangelischer Frauen. — Die große Masse
schlössen sie geflissentlich und unvermeidlich aus. Um durch dieses Thor die


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[0187] Tochter des preußischen Königspaars, und der Prinzessin Ludwig von Hessen, Alice, Tochter der Königin von England und Schwester der Kronprinzessin von Preußen. Der Darmstädter Verein zählte im vorigen Jahre nicht weniger als drittehalbtausend Mitglieder mit dreitausend Gulden an Jahresbeiträgen. Er hat Lehrcurse eingerichtet, in denen Frauen und Mädchen von allgemei¬ ner Bildung sich die allgemeine wissenschaftliche Erkenntniß aneignen können, welcher eine wahrhafte tüchtige Krankenpflegerin bedarf. Diese Lehrcurse sollte man aller Orten einrichten, wo es an den erforderlichen Kräften. Mitteln und Lernbegieriger nicht fehlt. Sie sind zur Erreichung dieses Zieles der schlechthin entscheidende Schritt. Sie erheben die bisherige Pfuscherei auf diesem Gebiet zum Beruf und stellen diesen auf ein Piedestal, von wel¬ chem herab er den dafür angelegten weiblichen Seelen hinlänglich sichtbar werden wird. Alle Sachkenner sind darüber einverstanden, daß die Krankenpflege im Allgemeinen besser in weiblichen als in männlichen Händen aufgehoben ist. Nur wo es auf besonders starke Muskeln und Nerven ankommt, wie z. B. bei der Bewachung tobsüchtiger Irren oder bei gewissen chirurgischen Opera¬ tionen, sind Wärter nicht ganz zu entbehren. Zu der Masse der in Betracht kommenden Geschäfte aber befähigen Sanftmuth, Geduld und Sorgfalt in kleinen Dingen die Frauen mehr. Weshalb haben sich denn also nicht von jeher ebenso viele tüchtige und gebildete junge Mädchen dem Dienste der leidenden Menschheit als Krankenpflegerinnen gewidmet, wie junge Männer als Aerzte? Setzt jener Theil des Dienstes wirklich im Vergleich zu diesem soviel höhere Hingebung und Entsagungskraft voraus, wie ge¬ wöhnlich ohne viel Ueberlegung angenommen wird, oder ist es vielmehr nur theils die herkömmliche Beschränktheit der weiblichen Berufswahl, theils die Folge derselben, der durchschnittliche Mangel an geschäftlicher Initiative und Energie bei den Frauen, was das bezeichnete Mißverhältniß der Meldungen erklärt? Die Berufssphäre der Frau war bisher in Deutschland eine durch Herkommen, Sitte und Gesetz engbegrenzte. Töchter gebildeter, wohlhabender und einen gewissen gesellschaftlichen Rang einnehmender Familien insbeson¬ dere konnten entweder überhaupt keinem Erwerbe nachgehen oder nur inner¬ halb bestimmt angewiesener Laufbahnen; manche Berufszweige, die anderen Mädchen und Frauen offenstanden, waren ihnen verschlossen. Dazu zählte auch der Dienst am fremden Krankenbett. Eine gewöhnliche, rohe. Wartung durfte durch Frauen geleistet werden — sachverständige Pflege nicht. In diesen Bann haben die Diaconissenanstalten die erste Bresche gebrochen, und dos ist ihr historisches Verdienst gewesen. Aber sie öffneten den Zugang nur für einen sehr kleinen Theil gebildeter evangelischer Frauen. — Die große Masse schlössen sie geflissentlich und unvermeidlich aus. Um durch dieses Thor die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/187>, abgerufen am 26.06.2024.