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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Priestern lorbeerbekränzte Brötchen -- sie waren den Tag vorher dazu ge¬
weiht worden. Sodann wurden die Bildsäulen der Gottheiten, die im Tem¬
pel standen, von den Priestern gesalbt, wie denn gleich den Menschen auch
die Götter der Alten an ihren Festtagen mit duftender Salbe geehrt zu
werden pflegten. Alsdann hatten alle nicht zum Collegium gehörenden Per¬
sonen den Tempel zu verlassen; die Thüre wurde geschlossen und einge¬
schlossen in dem heiligen Raume gürteten die Priester ihr Gewand zum Tanze
auf und sangen oder sagten nun jenes heilige Lied aus ältester Zeit, ihnen
so unverständlich wie das Kyrie eleeson dem heutigen Meßner, weßhalb denn
auch jedem Priester vorher sein Textbuch von den Dienern überreicht ward.
War dieser "Dreitriit" zu Ende, so wurden die Tempelthüren wieder geöff¬
net und die Diener erschienen abermals, nahmen den Geistlichen die Text¬
bücher ab und reichten ihnen Kränze, mit welchen jeder Priester den Altar
berührte und dann die Bildsäulen der Gottheit krönte. Damit war die
heilige Handlung geschlossen. Es wurde noch die Wahl des Vorstandes für
das nächste Jahr vorgenommen; sodann rief einer dem andern das übliche
Glückauf zu -- telieia! -- und man verließ den Hain, um in dem Ver-
sammlungshaus das Amtskleid mit dem bequemen Tafelgewand zu ver¬
tauschen und sich zu Tisch zu setzen oder vielmehr zu legen -- denn dies war
kein Imbiß mehr, den man sitzend einnahm, sondern ein eigentliches Mahl,
und wenn kein Diner, doch mindestens ein ernsthaftes Dejeuner divatoirs.
Der fromme Speisezettel ist nicht erhalten, aber die Schüsseln erschienen im
festlichen Zug, jede auf besonderer Trage, und man wird den einsichtigen
Vätern zutrauen dürfen, daß sie für Erholung von der überstandenen Müh-
waltung gesorgt haben werden. Daß jedem Mitglied auch sein besonderer
Weinkrug hingestellt wurde, haben unsere Acten nicht versäumt zu ver¬
merken.

Nach aufgehobener Tafel und nachdem unter die Anwesenden
Rosensträuße vertheilt sind, folgt nun das Schauspiel. Wieder in Pro¬
cession und mit dem Purpur geschmückt, aber diesmal in griechischer oder,
was fast auf dasselbe hinauskommt, in Frauentracht, das Purpurtuch über
das Haupt gezogen, mit dem Rosenkranz geschmückt und an den Füßen die
bequemen Pantoffeln, begeben sich die Priester nach dem Circus und hier be¬
ginnen die Festspiele -- nicht Tragödien von bedenklichem Ernste oder auch
Komödien wenigstens von bedenklicher Länge, sondern was allenfalls auch
nach der Tafel vertragen werden kann, der Circus Renz: Wettfahren und
Wettreiten, insbesondere das beliebte Reitkunststück von einem Pferd zum
andern springend zwei zugleich zu regieren. Einer der Priester führte den
Vorsitz und entschied, wenn der Sieg zweifelhaft war; den Sieger lohnte eine
Palme und ein silberner Kranz.


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Priestern lorbeerbekränzte Brötchen — sie waren den Tag vorher dazu ge¬
weiht worden. Sodann wurden die Bildsäulen der Gottheiten, die im Tem¬
pel standen, von den Priestern gesalbt, wie denn gleich den Menschen auch
die Götter der Alten an ihren Festtagen mit duftender Salbe geehrt zu
werden pflegten. Alsdann hatten alle nicht zum Collegium gehörenden Per¬
sonen den Tempel zu verlassen; die Thüre wurde geschlossen und einge¬
schlossen in dem heiligen Raume gürteten die Priester ihr Gewand zum Tanze
auf und sangen oder sagten nun jenes heilige Lied aus ältester Zeit, ihnen
so unverständlich wie das Kyrie eleeson dem heutigen Meßner, weßhalb denn
auch jedem Priester vorher sein Textbuch von den Dienern überreicht ward.
War dieser „Dreitriit" zu Ende, so wurden die Tempelthüren wieder geöff¬
net und die Diener erschienen abermals, nahmen den Geistlichen die Text¬
bücher ab und reichten ihnen Kränze, mit welchen jeder Priester den Altar
berührte und dann die Bildsäulen der Gottheit krönte. Damit war die
heilige Handlung geschlossen. Es wurde noch die Wahl des Vorstandes für
das nächste Jahr vorgenommen; sodann rief einer dem andern das übliche
Glückauf zu — telieia! — und man verließ den Hain, um in dem Ver-
sammlungshaus das Amtskleid mit dem bequemen Tafelgewand zu ver¬
tauschen und sich zu Tisch zu setzen oder vielmehr zu legen — denn dies war
kein Imbiß mehr, den man sitzend einnahm, sondern ein eigentliches Mahl,
und wenn kein Diner, doch mindestens ein ernsthaftes Dejeuner divatoirs.
Der fromme Speisezettel ist nicht erhalten, aber die Schüsseln erschienen im
festlichen Zug, jede auf besonderer Trage, und man wird den einsichtigen
Vätern zutrauen dürfen, daß sie für Erholung von der überstandenen Müh-
waltung gesorgt haben werden. Daß jedem Mitglied auch sein besonderer
Weinkrug hingestellt wurde, haben unsere Acten nicht versäumt zu ver¬
merken.

Nach aufgehobener Tafel und nachdem unter die Anwesenden
Rosensträuße vertheilt sind, folgt nun das Schauspiel. Wieder in Pro¬
cession und mit dem Purpur geschmückt, aber diesmal in griechischer oder,
was fast auf dasselbe hinauskommt, in Frauentracht, das Purpurtuch über
das Haupt gezogen, mit dem Rosenkranz geschmückt und an den Füßen die
bequemen Pantoffeln, begeben sich die Priester nach dem Circus und hier be¬
ginnen die Festspiele — nicht Tragödien von bedenklichem Ernste oder auch
Komödien wenigstens von bedenklicher Länge, sondern was allenfalls auch
nach der Tafel vertragen werden kann, der Circus Renz: Wettfahren und
Wettreiten, insbesondere das beliebte Reitkunststück von einem Pferd zum
andern springend zwei zugleich zu regieren. Einer der Priester führte den
Vorsitz und entschied, wenn der Sieg zweifelhaft war; den Sieger lohnte eine
Palme und ein silberner Kranz.


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[0177] Priestern lorbeerbekränzte Brötchen — sie waren den Tag vorher dazu ge¬ weiht worden. Sodann wurden die Bildsäulen der Gottheiten, die im Tem¬ pel standen, von den Priestern gesalbt, wie denn gleich den Menschen auch die Götter der Alten an ihren Festtagen mit duftender Salbe geehrt zu werden pflegten. Alsdann hatten alle nicht zum Collegium gehörenden Per¬ sonen den Tempel zu verlassen; die Thüre wurde geschlossen und einge¬ schlossen in dem heiligen Raume gürteten die Priester ihr Gewand zum Tanze auf und sangen oder sagten nun jenes heilige Lied aus ältester Zeit, ihnen so unverständlich wie das Kyrie eleeson dem heutigen Meßner, weßhalb denn auch jedem Priester vorher sein Textbuch von den Dienern überreicht ward. War dieser „Dreitriit" zu Ende, so wurden die Tempelthüren wieder geöff¬ net und die Diener erschienen abermals, nahmen den Geistlichen die Text¬ bücher ab und reichten ihnen Kränze, mit welchen jeder Priester den Altar berührte und dann die Bildsäulen der Gottheit krönte. Damit war die heilige Handlung geschlossen. Es wurde noch die Wahl des Vorstandes für das nächste Jahr vorgenommen; sodann rief einer dem andern das übliche Glückauf zu — telieia! — und man verließ den Hain, um in dem Ver- sammlungshaus das Amtskleid mit dem bequemen Tafelgewand zu ver¬ tauschen und sich zu Tisch zu setzen oder vielmehr zu legen — denn dies war kein Imbiß mehr, den man sitzend einnahm, sondern ein eigentliches Mahl, und wenn kein Diner, doch mindestens ein ernsthaftes Dejeuner divatoirs. Der fromme Speisezettel ist nicht erhalten, aber die Schüsseln erschienen im festlichen Zug, jede auf besonderer Trage, und man wird den einsichtigen Vätern zutrauen dürfen, daß sie für Erholung von der überstandenen Müh- waltung gesorgt haben werden. Daß jedem Mitglied auch sein besonderer Weinkrug hingestellt wurde, haben unsere Acten nicht versäumt zu ver¬ merken. Nach aufgehobener Tafel und nachdem unter die Anwesenden Rosensträuße vertheilt sind, folgt nun das Schauspiel. Wieder in Pro¬ cession und mit dem Purpur geschmückt, aber diesmal in griechischer oder, was fast auf dasselbe hinauskommt, in Frauentracht, das Purpurtuch über das Haupt gezogen, mit dem Rosenkranz geschmückt und an den Füßen die bequemen Pantoffeln, begeben sich die Priester nach dem Circus und hier be¬ ginnen die Festspiele — nicht Tragödien von bedenklichem Ernste oder auch Komödien wenigstens von bedenklicher Länge, sondern was allenfalls auch nach der Tafel vertragen werden kann, der Circus Renz: Wettfahren und Wettreiten, insbesondere das beliebte Reitkunststück von einem Pferd zum andern springend zwei zugleich zu regieren. Einer der Priester führte den Vorsitz und entschied, wenn der Sieg zweifelhaft war; den Sieger lohnte eine Palme und ein silberner Kranz. 22"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/177>, abgerufen am 26.06.2024.