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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Empörung scheiterte. Endlich Piso war von den Verschworenen unter Nero
bestimmt, den erledigten Kaiserthron einzunehmen und büßte den vergeblichen
Versuch mit dem Leben, zugleich mit dem philosophischen Staatsminister Se-
neca. Wem es gegeben gewesen wäre, mit der Gabe des zweiten Gesichts
jenem lustigen Maifest zuzuschauen, der würde einen ernsten Hintergrund ge¬
funden haben für jeden einzelnen Gast sowohl wie für das Schauspiel über¬
haupt, den Mörder oder den Henker hinter sechs von diesen acht jugend¬
lichen, aber bereits vom Laster gezeichneten Gestalten und hinter dem ganzen
Fest das jähe und blutige Ende der von dem großen Dictator begründeten
Dynastie, deren letzter Sprößling an jenem Tage den Schmaus gab. Hier
haben Sie sie vor sich, jene Selbstvernichtung der alten republikanischen
Aristokratie, welche die zweite Hälfte der jütischen Epoche, ausfüllt; zu^
nächst das sittliche Verkommen, sodann den physischen Untergang des re¬
gierenden Hauses sowohl wie des ganzen beispiellos großartigen Adelkreises,
zu dem es gehörte. Nur wenige Decennien noch, und diese Welt ist zu Ende,
so völlig zu Ende, wie das Venedig der Dandolo und Renier, der Foscari
und der Emo; der Kaiserthron löst sich von der altrömischen Adelsherrschaft
los und mehr und mehr von der Stadt Rom selber; die Fabler und die
Claudier, die Camiller und die Scipionen sinken in dieselbe Gruft wie die
mächtigen Julier; was einst der adlichste Name war, wird zur Herrscher-
Benennung und diese neuen Titulareaesaren, die Enkel von Bauern aus
der Sabina, von spanischen Halbrömern beherrschen das nur dem Namen
nach noch römische Reich; verständiges Regiment und mäßige Sitte, freilich
auch Nüchternheit und Oede treten an die Stelle jener tollen Mächtigen,
die die Welt zerschlagen, um mit ihren Trümmern ihr Spiel zu treiben, je¬
nes Cäsarenwahnsinnes, der die Signatur der Zeit ist, mag er nun greisen¬
haft auftreten, wie bei Tiberius, oder bubenhaft, wie bei Caligula und Nero,
oder, wie bei Claudius, als Blödsinn.

Aber kehren wir zurück von der Weltgeschichte zum Maifest im Haine
und versuchen wir wenigstens in einigen Zügen ein Bild zu geben von
seinem Verlauf. Am frühesten Morgen sand der Vorsitzende Priester in dem
Versammlungshaus sich ein und legte das Amtskleid an, die Toga mit dem
Purpursaum, wie sie auch die römischen Beamten trugen. Dann begab er
sich zu einem vor dem Eingange des Hains errichteten Altar und opferte
hier das gewöhnliche Sühnopfer für die Betretung des heiligen Raumes und
die dort vorzunehmenden Verrichtungen, zwei Schweinchen, so wie an einem
zweiten im Circus am Haine aufgestellten tragbaren Altar von Silber mit grü¬
nem Rasen geziert der Göttin des Tages die weiße Ehrenkuh. Darauf wurden
die Opferthiere zubereitet; und während das Opferfleisch briet und kochte, ver¬
sammelten sich allmählich die Collegen. War das Fleisch gar, so fand der


Grenzboten 1.1870. 22

Empörung scheiterte. Endlich Piso war von den Verschworenen unter Nero
bestimmt, den erledigten Kaiserthron einzunehmen und büßte den vergeblichen
Versuch mit dem Leben, zugleich mit dem philosophischen Staatsminister Se-
neca. Wem es gegeben gewesen wäre, mit der Gabe des zweiten Gesichts
jenem lustigen Maifest zuzuschauen, der würde einen ernsten Hintergrund ge¬
funden haben für jeden einzelnen Gast sowohl wie für das Schauspiel über¬
haupt, den Mörder oder den Henker hinter sechs von diesen acht jugend¬
lichen, aber bereits vom Laster gezeichneten Gestalten und hinter dem ganzen
Fest das jähe und blutige Ende der von dem großen Dictator begründeten
Dynastie, deren letzter Sprößling an jenem Tage den Schmaus gab. Hier
haben Sie sie vor sich, jene Selbstvernichtung der alten republikanischen
Aristokratie, welche die zweite Hälfte der jütischen Epoche, ausfüllt; zu^
nächst das sittliche Verkommen, sodann den physischen Untergang des re¬
gierenden Hauses sowohl wie des ganzen beispiellos großartigen Adelkreises,
zu dem es gehörte. Nur wenige Decennien noch, und diese Welt ist zu Ende,
so völlig zu Ende, wie das Venedig der Dandolo und Renier, der Foscari
und der Emo; der Kaiserthron löst sich von der altrömischen Adelsherrschaft
los und mehr und mehr von der Stadt Rom selber; die Fabler und die
Claudier, die Camiller und die Scipionen sinken in dieselbe Gruft wie die
mächtigen Julier; was einst der adlichste Name war, wird zur Herrscher-
Benennung und diese neuen Titulareaesaren, die Enkel von Bauern aus
der Sabina, von spanischen Halbrömern beherrschen das nur dem Namen
nach noch römische Reich; verständiges Regiment und mäßige Sitte, freilich
auch Nüchternheit und Oede treten an die Stelle jener tollen Mächtigen,
die die Welt zerschlagen, um mit ihren Trümmern ihr Spiel zu treiben, je¬
nes Cäsarenwahnsinnes, der die Signatur der Zeit ist, mag er nun greisen¬
haft auftreten, wie bei Tiberius, oder bubenhaft, wie bei Caligula und Nero,
oder, wie bei Claudius, als Blödsinn.

Aber kehren wir zurück von der Weltgeschichte zum Maifest im Haine
und versuchen wir wenigstens in einigen Zügen ein Bild zu geben von
seinem Verlauf. Am frühesten Morgen sand der Vorsitzende Priester in dem
Versammlungshaus sich ein und legte das Amtskleid an, die Toga mit dem
Purpursaum, wie sie auch die römischen Beamten trugen. Dann begab er
sich zu einem vor dem Eingange des Hains errichteten Altar und opferte
hier das gewöhnliche Sühnopfer für die Betretung des heiligen Raumes und
die dort vorzunehmenden Verrichtungen, zwei Schweinchen, so wie an einem
zweiten im Circus am Haine aufgestellten tragbaren Altar von Silber mit grü¬
nem Rasen geziert der Göttin des Tages die weiße Ehrenkuh. Darauf wurden
die Opferthiere zubereitet; und während das Opferfleisch briet und kochte, ver¬
sammelten sich allmählich die Collegen. War das Fleisch gar, so fand der


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[0175] Empörung scheiterte. Endlich Piso war von den Verschworenen unter Nero bestimmt, den erledigten Kaiserthron einzunehmen und büßte den vergeblichen Versuch mit dem Leben, zugleich mit dem philosophischen Staatsminister Se- neca. Wem es gegeben gewesen wäre, mit der Gabe des zweiten Gesichts jenem lustigen Maifest zuzuschauen, der würde einen ernsten Hintergrund ge¬ funden haben für jeden einzelnen Gast sowohl wie für das Schauspiel über¬ haupt, den Mörder oder den Henker hinter sechs von diesen acht jugend¬ lichen, aber bereits vom Laster gezeichneten Gestalten und hinter dem ganzen Fest das jähe und blutige Ende der von dem großen Dictator begründeten Dynastie, deren letzter Sprößling an jenem Tage den Schmaus gab. Hier haben Sie sie vor sich, jene Selbstvernichtung der alten republikanischen Aristokratie, welche die zweite Hälfte der jütischen Epoche, ausfüllt; zu^ nächst das sittliche Verkommen, sodann den physischen Untergang des re¬ gierenden Hauses sowohl wie des ganzen beispiellos großartigen Adelkreises, zu dem es gehörte. Nur wenige Decennien noch, und diese Welt ist zu Ende, so völlig zu Ende, wie das Venedig der Dandolo und Renier, der Foscari und der Emo; der Kaiserthron löst sich von der altrömischen Adelsherrschaft los und mehr und mehr von der Stadt Rom selber; die Fabler und die Claudier, die Camiller und die Scipionen sinken in dieselbe Gruft wie die mächtigen Julier; was einst der adlichste Name war, wird zur Herrscher- Benennung und diese neuen Titulareaesaren, die Enkel von Bauern aus der Sabina, von spanischen Halbrömern beherrschen das nur dem Namen nach noch römische Reich; verständiges Regiment und mäßige Sitte, freilich auch Nüchternheit und Oede treten an die Stelle jener tollen Mächtigen, die die Welt zerschlagen, um mit ihren Trümmern ihr Spiel zu treiben, je¬ nes Cäsarenwahnsinnes, der die Signatur der Zeit ist, mag er nun greisen¬ haft auftreten, wie bei Tiberius, oder bubenhaft, wie bei Caligula und Nero, oder, wie bei Claudius, als Blödsinn. Aber kehren wir zurück von der Weltgeschichte zum Maifest im Haine und versuchen wir wenigstens in einigen Zügen ein Bild zu geben von seinem Verlauf. Am frühesten Morgen sand der Vorsitzende Priester in dem Versammlungshaus sich ein und legte das Amtskleid an, die Toga mit dem Purpursaum, wie sie auch die römischen Beamten trugen. Dann begab er sich zu einem vor dem Eingange des Hains errichteten Altar und opferte hier das gewöhnliche Sühnopfer für die Betretung des heiligen Raumes und die dort vorzunehmenden Verrichtungen, zwei Schweinchen, so wie an einem zweiten im Circus am Haine aufgestellten tragbaren Altar von Silber mit grü¬ nem Rasen geziert der Göttin des Tages die weiße Ehrenkuh. Darauf wurden die Opferthiere zubereitet; und während das Opferfleisch briet und kochte, ver¬ sammelten sich allmählich die Collegen. War das Fleisch gar, so fand der Grenzboten 1.1870. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/175>, abgerufen am 26.06.2024.