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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Die Mängel des bei uns bis aus den heutigen Tag im Steuerwesen
statt des Budgetsystems geltenden Aversionalsystems sind zu oft erörtert
worden, als daß es hier mehr als einer bloßen Erinnerung an dieselben be¬
dürfte. Die Stände freilich haben sich von diesen Mängeln nicht überzeugen
können, sie wissen, daß mit dem bisherigen Aversionalsystem ihre "gesegnete"
Verfassung zu eng verbunden ist, als daß die eine ohne das andere bestehen
könnte. Mit dem jetzigen Steuersystem muß der Erbvergletch fallen und mit
diesem fallen die Privilegien der Stände und der Ritter, unter diesen nament¬
lich wieder die des sog. eingeborenen Adels. Das Köstlichste dieser Privilegien
ist in seinen Augen, der Genuß der zur Unterhaltung seiner Töchter bestimm¬
ten drei Landesklöster Ribnitz, Dobbertin und Malchow, deren Vermögen
nach Millionen zählt und außer wenigen landesherrlich auch an bürgerliche
Jungfrauen zu verleihenden Pensionen, Hunderten adliger Damen zu Gute
kommt. Diesen Umstand als den eigentlichen Grund der ständischen Ab¬
neigung gegen eine gründliche Reform des Steuersystems hervorgehoben
zusahen -- ist das Verdienst einzelner Ritter, die unbekümmert um die
darob entstehende Entrüstung ihrer Standesgenossen immer wieder auf die
Nothwendigkeit der Aufstellung eines Staatsfondshaltsetats zurückkommen.
Secundirt wurden ihre desfallsigen Bemühungen diesmal durch die Seestädte
Rostock und Wismar. Beide können zu Folge ihrer besonders privilegirten, un¬
abhängigen Stellung im mecklenburgischen Staatskörper jedem neuen Steuer¬
gesetz ein vollwichtiges Veto entgegensetzen, so lange sie nicht im Wege freier
Vereinbarung sich demselben unterworfen haben und beide haben von diesem
Recht Gebrauch gemacht, indem sie die Einführung des Budgetsystems for¬
derten und sich das Recht der freien Entschließung reservirten.

Käme also auch über kurz oder lang ein neues Steuergesetz zu Stande,
so würde dasselbe doch nicht publicirt werden können, bevor die Forde¬
rung der Seestädte befriedigt worden: man müßte denn den mecklenburgi¬
schen Staatskörper noch mehr zerreißen wollen, als er ohnehin schon ist, oder
aber, die Seestädte müßten sich aus ihrem correcten Standpunkt verdrängen
lassen. Daß das nicht geschehe, ist die Hoffnung derer, die noch immer nicht
daran verzweifeln mögen, daß endlich einmal ein Umschwung im mecklen¬
burgischen Versassungsleben eintreten werde.

Die Stände wollen das bisherige Aversionalsystem beibehalten. Ueber
die Höhe des dem Großherzoge jährlich als Zuschuß zur Bestreitung der zu¬
nächst auf die Domanialintraden angewiesenen Staatsbedürfnisse ist freilich
für Strelitz noch keine Einigung erzielt: daß aber ein Aversum in Panhas
und Bogen bewilligt werden soll, darüber ist hier so wenig Streit, wie in
Schwerin. Berechnet ist der Betrag dieser Summe hier freilich nur auf
Grund ungefährer Ermittelungen und Nachweise, so daß z. B. bei einer


Die Mängel des bei uns bis aus den heutigen Tag im Steuerwesen
statt des Budgetsystems geltenden Aversionalsystems sind zu oft erörtert
worden, als daß es hier mehr als einer bloßen Erinnerung an dieselben be¬
dürfte. Die Stände freilich haben sich von diesen Mängeln nicht überzeugen
können, sie wissen, daß mit dem bisherigen Aversionalsystem ihre „gesegnete"
Verfassung zu eng verbunden ist, als daß die eine ohne das andere bestehen
könnte. Mit dem jetzigen Steuersystem muß der Erbvergletch fallen und mit
diesem fallen die Privilegien der Stände und der Ritter, unter diesen nament¬
lich wieder die des sog. eingeborenen Adels. Das Köstlichste dieser Privilegien
ist in seinen Augen, der Genuß der zur Unterhaltung seiner Töchter bestimm¬
ten drei Landesklöster Ribnitz, Dobbertin und Malchow, deren Vermögen
nach Millionen zählt und außer wenigen landesherrlich auch an bürgerliche
Jungfrauen zu verleihenden Pensionen, Hunderten adliger Damen zu Gute
kommt. Diesen Umstand als den eigentlichen Grund der ständischen Ab¬
neigung gegen eine gründliche Reform des Steuersystems hervorgehoben
zusahen — ist das Verdienst einzelner Ritter, die unbekümmert um die
darob entstehende Entrüstung ihrer Standesgenossen immer wieder auf die
Nothwendigkeit der Aufstellung eines Staatsfondshaltsetats zurückkommen.
Secundirt wurden ihre desfallsigen Bemühungen diesmal durch die Seestädte
Rostock und Wismar. Beide können zu Folge ihrer besonders privilegirten, un¬
abhängigen Stellung im mecklenburgischen Staatskörper jedem neuen Steuer¬
gesetz ein vollwichtiges Veto entgegensetzen, so lange sie nicht im Wege freier
Vereinbarung sich demselben unterworfen haben und beide haben von diesem
Recht Gebrauch gemacht, indem sie die Einführung des Budgetsystems for¬
derten und sich das Recht der freien Entschließung reservirten.

Käme also auch über kurz oder lang ein neues Steuergesetz zu Stande,
so würde dasselbe doch nicht publicirt werden können, bevor die Forde¬
rung der Seestädte befriedigt worden: man müßte denn den mecklenburgi¬
schen Staatskörper noch mehr zerreißen wollen, als er ohnehin schon ist, oder
aber, die Seestädte müßten sich aus ihrem correcten Standpunkt verdrängen
lassen. Daß das nicht geschehe, ist die Hoffnung derer, die noch immer nicht
daran verzweifeln mögen, daß endlich einmal ein Umschwung im mecklen¬
burgischen Versassungsleben eintreten werde.

Die Stände wollen das bisherige Aversionalsystem beibehalten. Ueber
die Höhe des dem Großherzoge jährlich als Zuschuß zur Bestreitung der zu¬
nächst auf die Domanialintraden angewiesenen Staatsbedürfnisse ist freilich
für Strelitz noch keine Einigung erzielt: daß aber ein Aversum in Panhas
und Bogen bewilligt werden soll, darüber ist hier so wenig Streit, wie in
Schwerin. Berechnet ist der Betrag dieser Summe hier freilich nur auf
Grund ungefährer Ermittelungen und Nachweise, so daß z. B. bei einer


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[0144] Die Mängel des bei uns bis aus den heutigen Tag im Steuerwesen statt des Budgetsystems geltenden Aversionalsystems sind zu oft erörtert worden, als daß es hier mehr als einer bloßen Erinnerung an dieselben be¬ dürfte. Die Stände freilich haben sich von diesen Mängeln nicht überzeugen können, sie wissen, daß mit dem bisherigen Aversionalsystem ihre „gesegnete" Verfassung zu eng verbunden ist, als daß die eine ohne das andere bestehen könnte. Mit dem jetzigen Steuersystem muß der Erbvergletch fallen und mit diesem fallen die Privilegien der Stände und der Ritter, unter diesen nament¬ lich wieder die des sog. eingeborenen Adels. Das Köstlichste dieser Privilegien ist in seinen Augen, der Genuß der zur Unterhaltung seiner Töchter bestimm¬ ten drei Landesklöster Ribnitz, Dobbertin und Malchow, deren Vermögen nach Millionen zählt und außer wenigen landesherrlich auch an bürgerliche Jungfrauen zu verleihenden Pensionen, Hunderten adliger Damen zu Gute kommt. Diesen Umstand als den eigentlichen Grund der ständischen Ab¬ neigung gegen eine gründliche Reform des Steuersystems hervorgehoben zusahen — ist das Verdienst einzelner Ritter, die unbekümmert um die darob entstehende Entrüstung ihrer Standesgenossen immer wieder auf die Nothwendigkeit der Aufstellung eines Staatsfondshaltsetats zurückkommen. Secundirt wurden ihre desfallsigen Bemühungen diesmal durch die Seestädte Rostock und Wismar. Beide können zu Folge ihrer besonders privilegirten, un¬ abhängigen Stellung im mecklenburgischen Staatskörper jedem neuen Steuer¬ gesetz ein vollwichtiges Veto entgegensetzen, so lange sie nicht im Wege freier Vereinbarung sich demselben unterworfen haben und beide haben von diesem Recht Gebrauch gemacht, indem sie die Einführung des Budgetsystems for¬ derten und sich das Recht der freien Entschließung reservirten. Käme also auch über kurz oder lang ein neues Steuergesetz zu Stande, so würde dasselbe doch nicht publicirt werden können, bevor die Forde¬ rung der Seestädte befriedigt worden: man müßte denn den mecklenburgi¬ schen Staatskörper noch mehr zerreißen wollen, als er ohnehin schon ist, oder aber, die Seestädte müßten sich aus ihrem correcten Standpunkt verdrängen lassen. Daß das nicht geschehe, ist die Hoffnung derer, die noch immer nicht daran verzweifeln mögen, daß endlich einmal ein Umschwung im mecklen¬ burgischen Versassungsleben eintreten werde. Die Stände wollen das bisherige Aversionalsystem beibehalten. Ueber die Höhe des dem Großherzoge jährlich als Zuschuß zur Bestreitung der zu¬ nächst auf die Domanialintraden angewiesenen Staatsbedürfnisse ist freilich für Strelitz noch keine Einigung erzielt: daß aber ein Aversum in Panhas und Bogen bewilligt werden soll, darüber ist hier so wenig Streit, wie in Schwerin. Berechnet ist der Betrag dieser Summe hier freilich nur auf Grund ungefährer Ermittelungen und Nachweise, so daß z. B. bei einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/144>, abgerufen am 26.06.2024.