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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Die vorliegende Revision wird, wenn man solchergestalt Ziel und Zeit
der Arbeit in gebührende Rücksicht zieht, allen mäßigen Ansprüchen genügen.
Gegenüber dem Entwurf des preußischen Justizministeriums tritt einem
überall, in der systematischen Methode der Anordnung, der Terminologie,
den materiellen Begriffsbestimmungen, den Grundsätzen der Strafzumessung
die bessernde, sichtende Hand, der befruchtende Einfluß der außerpreußischen
Criminalwissenschaft, wie - Praxis entgegen. Wo Schwierigkeiten zu lösen
waren von besonders heikeler Beschaffenheit, wo man auf politische Gegen¬
sätze und Widersprüche stieß, deren Tragweite- von einer derartig componirter
Fachcommission nicht auszumessen und wohl auch im Wege parlamentarischer
Abstimmungen nicht kurzer Hand zu erledigen sein wird, umging man sie mit
Nothbehelfen. Selbst schärfer einschneidende technische Fragen, wie das grund¬
sätzliche Fortbestehen der gesetzlichen Strafminima mit den eireoustemoes
atteuualltes, ließ man im Wesentlichen unberührt liegen. -- Den Juristen
und juristischen Zeitschriften muß es vorbehalten bleiben, hier im Einzelnen
ihre comparative Kritik zu üben. Mir sei es gestattet, einige Punkte von
allgemeinerem Interesse aus den Conferenzen und Amendirungen der Com¬
mission hervorzuheben.

Im Einführungsgesetz scheint es nicht gelungen zu sein, den störenden
Eingriffen der Parriculargesetzvung einen sicheren Riegel vorzuschieben. Zwar
hat man den Art. IV des ersten Entwurfs im §. 6 des zweiten dahin er¬
weitert, daß die Landesgesetze fortan nicht über zwei Jahre Gefäng¬
niß in den durch das Strafgesetzbuch nicht berührten Materien androhen
dürfen. Doch ist dieser vernünftigen Einschränkung sofort ein recht dehnbarer
Zusatz angehängt worden, der in seinen Motiven schwer verständlich und in
seiner particulären Ausgiebigkeit recht bedenklich erscheint. Insoweit nämlich
die Landesgesetzgebung in den ihr frei gebliebenen Materien die durch das
Bundesgesetz generell aufgehobenen Strasvorschriften durch andere zu "er¬
setzen" für gut findet, soll sie auch über zwei Jahre Gefängniß und jede
andere dem Bundesgesetz bekannte Strafart androhen dürfen. Die unbe¬
dingte Untersagung der Androhung von Todesstrafe, Zuchthaus, Ehrverlust
und Polizeiaufsicht im Art. IV des preußischen Entwurfs war entschieden
rationeller.

Die Todesstrafe durch Enthauptung ist stehen geblieben; nur
hat man alle weiteren Vorschriften über die Modalitäten der Hinrichtung --
Beil, Schwert oder Fallbeil -- öffentliche oder Intramuranhinrichtung -- Aus¬
lieferung des Leichnams u. f. f. -- beseitigt, d. h. den particulären Gewohn¬
heiten überlassen. Hochverrath, Majestätsverbrechen und Mord sind dieser
Capttalstrafe vorbehalten. -- Da heutzutage in Angelegenheiten der Todes¬
strafe ein jedes Männlein und Fräulein seine unerschütterliche Meinung zu


Die vorliegende Revision wird, wenn man solchergestalt Ziel und Zeit
der Arbeit in gebührende Rücksicht zieht, allen mäßigen Ansprüchen genügen.
Gegenüber dem Entwurf des preußischen Justizministeriums tritt einem
überall, in der systematischen Methode der Anordnung, der Terminologie,
den materiellen Begriffsbestimmungen, den Grundsätzen der Strafzumessung
die bessernde, sichtende Hand, der befruchtende Einfluß der außerpreußischen
Criminalwissenschaft, wie - Praxis entgegen. Wo Schwierigkeiten zu lösen
waren von besonders heikeler Beschaffenheit, wo man auf politische Gegen¬
sätze und Widersprüche stieß, deren Tragweite- von einer derartig componirter
Fachcommission nicht auszumessen und wohl auch im Wege parlamentarischer
Abstimmungen nicht kurzer Hand zu erledigen sein wird, umging man sie mit
Nothbehelfen. Selbst schärfer einschneidende technische Fragen, wie das grund¬
sätzliche Fortbestehen der gesetzlichen Strafminima mit den eireoustemoes
atteuualltes, ließ man im Wesentlichen unberührt liegen. — Den Juristen
und juristischen Zeitschriften muß es vorbehalten bleiben, hier im Einzelnen
ihre comparative Kritik zu üben. Mir sei es gestattet, einige Punkte von
allgemeinerem Interesse aus den Conferenzen und Amendirungen der Com¬
mission hervorzuheben.

Im Einführungsgesetz scheint es nicht gelungen zu sein, den störenden
Eingriffen der Parriculargesetzvung einen sicheren Riegel vorzuschieben. Zwar
hat man den Art. IV des ersten Entwurfs im §. 6 des zweiten dahin er¬
weitert, daß die Landesgesetze fortan nicht über zwei Jahre Gefäng¬
niß in den durch das Strafgesetzbuch nicht berührten Materien androhen
dürfen. Doch ist dieser vernünftigen Einschränkung sofort ein recht dehnbarer
Zusatz angehängt worden, der in seinen Motiven schwer verständlich und in
seiner particulären Ausgiebigkeit recht bedenklich erscheint. Insoweit nämlich
die Landesgesetzgebung in den ihr frei gebliebenen Materien die durch das
Bundesgesetz generell aufgehobenen Strasvorschriften durch andere zu „er¬
setzen" für gut findet, soll sie auch über zwei Jahre Gefängniß und jede
andere dem Bundesgesetz bekannte Strafart androhen dürfen. Die unbe¬
dingte Untersagung der Androhung von Todesstrafe, Zuchthaus, Ehrverlust
und Polizeiaufsicht im Art. IV des preußischen Entwurfs war entschieden
rationeller.

Die Todesstrafe durch Enthauptung ist stehen geblieben; nur
hat man alle weiteren Vorschriften über die Modalitäten der Hinrichtung —
Beil, Schwert oder Fallbeil — öffentliche oder Intramuranhinrichtung — Aus¬
lieferung des Leichnams u. f. f. — beseitigt, d. h. den particulären Gewohn¬
heiten überlassen. Hochverrath, Majestätsverbrechen und Mord sind dieser
Capttalstrafe vorbehalten. — Da heutzutage in Angelegenheiten der Todes¬
strafe ein jedes Männlein und Fräulein seine unerschütterliche Meinung zu


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[0128] Die vorliegende Revision wird, wenn man solchergestalt Ziel und Zeit der Arbeit in gebührende Rücksicht zieht, allen mäßigen Ansprüchen genügen. Gegenüber dem Entwurf des preußischen Justizministeriums tritt einem überall, in der systematischen Methode der Anordnung, der Terminologie, den materiellen Begriffsbestimmungen, den Grundsätzen der Strafzumessung die bessernde, sichtende Hand, der befruchtende Einfluß der außerpreußischen Criminalwissenschaft, wie - Praxis entgegen. Wo Schwierigkeiten zu lösen waren von besonders heikeler Beschaffenheit, wo man auf politische Gegen¬ sätze und Widersprüche stieß, deren Tragweite- von einer derartig componirter Fachcommission nicht auszumessen und wohl auch im Wege parlamentarischer Abstimmungen nicht kurzer Hand zu erledigen sein wird, umging man sie mit Nothbehelfen. Selbst schärfer einschneidende technische Fragen, wie das grund¬ sätzliche Fortbestehen der gesetzlichen Strafminima mit den eireoustemoes atteuualltes, ließ man im Wesentlichen unberührt liegen. — Den Juristen und juristischen Zeitschriften muß es vorbehalten bleiben, hier im Einzelnen ihre comparative Kritik zu üben. Mir sei es gestattet, einige Punkte von allgemeinerem Interesse aus den Conferenzen und Amendirungen der Com¬ mission hervorzuheben. Im Einführungsgesetz scheint es nicht gelungen zu sein, den störenden Eingriffen der Parriculargesetzvung einen sicheren Riegel vorzuschieben. Zwar hat man den Art. IV des ersten Entwurfs im §. 6 des zweiten dahin er¬ weitert, daß die Landesgesetze fortan nicht über zwei Jahre Gefäng¬ niß in den durch das Strafgesetzbuch nicht berührten Materien androhen dürfen. Doch ist dieser vernünftigen Einschränkung sofort ein recht dehnbarer Zusatz angehängt worden, der in seinen Motiven schwer verständlich und in seiner particulären Ausgiebigkeit recht bedenklich erscheint. Insoweit nämlich die Landesgesetzgebung in den ihr frei gebliebenen Materien die durch das Bundesgesetz generell aufgehobenen Strasvorschriften durch andere zu „er¬ setzen" für gut findet, soll sie auch über zwei Jahre Gefängniß und jede andere dem Bundesgesetz bekannte Strafart androhen dürfen. Die unbe¬ dingte Untersagung der Androhung von Todesstrafe, Zuchthaus, Ehrverlust und Polizeiaufsicht im Art. IV des preußischen Entwurfs war entschieden rationeller. Die Todesstrafe durch Enthauptung ist stehen geblieben; nur hat man alle weiteren Vorschriften über die Modalitäten der Hinrichtung — Beil, Schwert oder Fallbeil — öffentliche oder Intramuranhinrichtung — Aus¬ lieferung des Leichnams u. f. f. — beseitigt, d. h. den particulären Gewohn¬ heiten überlassen. Hochverrath, Majestätsverbrechen und Mord sind dieser Capttalstrafe vorbehalten. — Da heutzutage in Angelegenheiten der Todes¬ strafe ein jedes Männlein und Fräulein seine unerschütterliche Meinung zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/128>, abgerufen am 26.06.2024.