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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Das norddeutsche Strafgesetzbuch.

Mit der Signatur "Berlin, 31. December 1869" ist der "Entwurf eines
Strafgesetzbuchs für den norddeutschen Bund" in den ersten Tagen dieses
Jahres aus der Commission des Bundesraths zur Mittheilung an die deutschen
Regierungen gelangt. Graf Bismarck hat dem preußischen Justizminister
seine große Befriedigung über das rasche Gelingen des Commissionswerks
ausgedrückt und ich glaube, auch das deutsche Publicum kann Dr. Leonhardt
dankbar dafür sein, daß er ein unschätzbares praktisches Ergebniß der nord¬
deutschen Staatsentwickelung uns als Nenjahrsgeschenk wenigstens in greif¬
barer Nähe gefördert hat. Grade auf dem politisch so unendlich wichtigen
Gebiete des Strafrechts kam es herzlich wenig darauf an, die Gesetzgebung
aus dem Vollen schöpfen zu lassen, originalen Ideen und Principien Bahn
zu brechen. Das preußische Strafgesetzbuch vom 14. April 1851 lag vor,
ein an sich in formaler und redactioneller Beziehung unbestritten sehr tüch¬
tiges Stück Codification. Seine vorzügliche Brauchbarkeit hatte sich in den
neuen Provinzen Preußens im Großen und Ganzen vollkommen bewährt;
es bedürfte nur einer Revision durch Fachmänner, um es von einigen der
schreiendsten Härten und dem Einfluß der französisch-romanistischen Begriffe
zu reinigen und jedem praktischen Politiker mußte es unzweifelhaft als der
nächst gegebene Weg zur Erreichung eines gemeinsamen Strafrechts gelten,
das revidirte preußische Strafgesetzbuch zum Bundesgesetz zu erheben. Auf
diesem Wege allein ließ sich schnell und sicher ein Rechtszustand herbeiführen,
welcher vielleicht nicht der absolut vollkommenste von allen war, jedenfalls aber
dem bisherigen mit seiner Musterkarte von 18 norddeutschen Strafgesetz¬
büchern nebst obligaten "Gemeinen deutschen Criminalgesetzen", sowohl vom
Preußischen wie vom deutschen, sowohl vom politischen wie vom juristischen
Standpunkt um ein Unendliches vorzuziehen ist. Das stets bereite Mißver¬
gnügen all' der lieben deutschen Mitbürger, denen bei solch gradliniger Hand¬
werksarbeit innerer deutscher Politik nicht alle criminalistischen oder particu-
laristischen Blüthenträume zur Reife gelangen konnten, mußte man von vorn
herein mit in den Kauf nehmen.


Grenzboten I. 1870, 16
Das norddeutsche Strafgesetzbuch.

Mit der Signatur „Berlin, 31. December 1869" ist der „Entwurf eines
Strafgesetzbuchs für den norddeutschen Bund" in den ersten Tagen dieses
Jahres aus der Commission des Bundesraths zur Mittheilung an die deutschen
Regierungen gelangt. Graf Bismarck hat dem preußischen Justizminister
seine große Befriedigung über das rasche Gelingen des Commissionswerks
ausgedrückt und ich glaube, auch das deutsche Publicum kann Dr. Leonhardt
dankbar dafür sein, daß er ein unschätzbares praktisches Ergebniß der nord¬
deutschen Staatsentwickelung uns als Nenjahrsgeschenk wenigstens in greif¬
barer Nähe gefördert hat. Grade auf dem politisch so unendlich wichtigen
Gebiete des Strafrechts kam es herzlich wenig darauf an, die Gesetzgebung
aus dem Vollen schöpfen zu lassen, originalen Ideen und Principien Bahn
zu brechen. Das preußische Strafgesetzbuch vom 14. April 1851 lag vor,
ein an sich in formaler und redactioneller Beziehung unbestritten sehr tüch¬
tiges Stück Codification. Seine vorzügliche Brauchbarkeit hatte sich in den
neuen Provinzen Preußens im Großen und Ganzen vollkommen bewährt;
es bedürfte nur einer Revision durch Fachmänner, um es von einigen der
schreiendsten Härten und dem Einfluß der französisch-romanistischen Begriffe
zu reinigen und jedem praktischen Politiker mußte es unzweifelhaft als der
nächst gegebene Weg zur Erreichung eines gemeinsamen Strafrechts gelten,
das revidirte preußische Strafgesetzbuch zum Bundesgesetz zu erheben. Auf
diesem Wege allein ließ sich schnell und sicher ein Rechtszustand herbeiführen,
welcher vielleicht nicht der absolut vollkommenste von allen war, jedenfalls aber
dem bisherigen mit seiner Musterkarte von 18 norddeutschen Strafgesetz¬
büchern nebst obligaten „Gemeinen deutschen Criminalgesetzen", sowohl vom
Preußischen wie vom deutschen, sowohl vom politischen wie vom juristischen
Standpunkt um ein Unendliches vorzuziehen ist. Das stets bereite Mißver¬
gnügen all' der lieben deutschen Mitbürger, denen bei solch gradliniger Hand¬
werksarbeit innerer deutscher Politik nicht alle criminalistischen oder particu-
laristischen Blüthenträume zur Reife gelangen konnten, mußte man von vorn
herein mit in den Kauf nehmen.


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[0127] Das norddeutsche Strafgesetzbuch. Mit der Signatur „Berlin, 31. December 1869" ist der „Entwurf eines Strafgesetzbuchs für den norddeutschen Bund" in den ersten Tagen dieses Jahres aus der Commission des Bundesraths zur Mittheilung an die deutschen Regierungen gelangt. Graf Bismarck hat dem preußischen Justizminister seine große Befriedigung über das rasche Gelingen des Commissionswerks ausgedrückt und ich glaube, auch das deutsche Publicum kann Dr. Leonhardt dankbar dafür sein, daß er ein unschätzbares praktisches Ergebniß der nord¬ deutschen Staatsentwickelung uns als Nenjahrsgeschenk wenigstens in greif¬ barer Nähe gefördert hat. Grade auf dem politisch so unendlich wichtigen Gebiete des Strafrechts kam es herzlich wenig darauf an, die Gesetzgebung aus dem Vollen schöpfen zu lassen, originalen Ideen und Principien Bahn zu brechen. Das preußische Strafgesetzbuch vom 14. April 1851 lag vor, ein an sich in formaler und redactioneller Beziehung unbestritten sehr tüch¬ tiges Stück Codification. Seine vorzügliche Brauchbarkeit hatte sich in den neuen Provinzen Preußens im Großen und Ganzen vollkommen bewährt; es bedürfte nur einer Revision durch Fachmänner, um es von einigen der schreiendsten Härten und dem Einfluß der französisch-romanistischen Begriffe zu reinigen und jedem praktischen Politiker mußte es unzweifelhaft als der nächst gegebene Weg zur Erreichung eines gemeinsamen Strafrechts gelten, das revidirte preußische Strafgesetzbuch zum Bundesgesetz zu erheben. Auf diesem Wege allein ließ sich schnell und sicher ein Rechtszustand herbeiführen, welcher vielleicht nicht der absolut vollkommenste von allen war, jedenfalls aber dem bisherigen mit seiner Musterkarte von 18 norddeutschen Strafgesetz¬ büchern nebst obligaten „Gemeinen deutschen Criminalgesetzen", sowohl vom Preußischen wie vom deutschen, sowohl vom politischen wie vom juristischen Standpunkt um ein Unendliches vorzuziehen ist. Das stets bereite Mißver¬ gnügen all' der lieben deutschen Mitbürger, denen bei solch gradliniger Hand¬ werksarbeit innerer deutscher Politik nicht alle criminalistischen oder particu- laristischen Blüthenträume zur Reife gelangen konnten, mußte man von vorn herein mit in den Kauf nehmen. Grenzboten I. 1870, 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/127>, abgerufen am 26.06.2024.