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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Gegnern sehr verschiedener Art einen Gang zu thun. Es erneuert das An¬
denken an den streitbarsten aller Ankläger des Jesuitismus, zu einer Zeit,
da abermals der Jesuitismus seine Ansprüche auf die Herrschaft der Welt
proclamirt. Es weist aber zugleich die unvermeidliche Schwäche und Ergeb-
nißlosigkeit aller Angriffe nach, welche innerhalb der gemeinsamen Kirche auf
dem Boden ihrer Voraussetzungen geführt werden. Und indem es den
trügerischen Compromissen auf den Grund geht, die haltlosen Gewebe einer
falschen Vermittlung unerbittlich auftrennt, gilt das Buch verständlich genug
zugleich der Vermittelungstheologie im eigenen protestantischen Bekenntniß.

Man könnte diese Schrift eine naturwissenschaftliche Analyse der Ver¬
mittelungstheologie nennen, die um so wirksamer ist, als sie nicht auf eine
theoretische Ausführung sich beschränkt, sondern an einer bestimmten geschicht¬
lichen Erscheinung durchgeführt ist, die eine objective Abschätzung der Kräfte
wie der Resultate ermöglicht. Es gilt nur die Gründe, warum es so kam,
unbefangen sich zu vergegenwärtigen. Warum ist Port-Royal, warum ist
Pascal unterlegen? Diese Frage beantwortet Dreydorff in einer Weise, welche
die Geschichte des Frommen von Clermont zum classischen Muster aller der¬
jenigen Reformversuche macht, die auch dann noch auf dem Boden der Ver¬
mittlung stehen bleiben, wenn die Rettung allein im Bruche liegt.

Nur daß man hier nicht eine Gelegenheilsschrift vermuthete, wie deren
das Concil dutzende auf den Büchermarkt geworfen. Offenbar auf jahre¬
langen Vorstudien beruhend geht Dreydorffs Darstellung nicht darauf aus,
einen willkommenen Stoff für Tageszwecke zurechtzustutzen, sondern er dringt
vor allem mit gewissenhafter Schärfe in denselben ein, und nichts springt
dem Leser gleich vom Anfang an so deutlich in die Augen, als die Selbst-
ständigkeit, mit welcher sich der Verfasser aus dem Acten selbst sein Urtheil
gebildet hat, das in wesentlichen Punkten den herkömmlichen Meinungen
gegenübertritt.

Frühzeitig hat die Sage auch Pascal's Leben wie das aller Glaubens¬
helden zu umspinnen begonnen, und theils in der Gesammtauffassung theils
in manchem anekdotischen Beiwerk hat dies bis in die neueren Bearbeitungen
nachgewirkt. Hier tritt nun die kritische durch und durch gesunde Nüchtern¬
heit des neuesten Biographen ein, dem es ein wahres Vergnügen ist, die
Mythenbildung bis in ihre letzten geheimsten Schlupfwinkel zu verfolgen.
Die Frömmigkeit der Freunde von Port-Royal und die Individualität des
hilfreichen "Secretärs" dieses Klosters sind ihm Phänomene, die er mit der
sicheren Methode des Naturforsches in ihre Elemente zerlegt. So ist gleich
die Athmosphäre von Port-Royal, in welcher Pascal's Gemüth, leex, skeptisch
gelangweilt, Zuflucht findet, äußerst sein gezeichnet. Unbestechlich wird bei
aller Anerkennung des Trefflicher auch das Weichliche und Ungesunde jener


Gegnern sehr verschiedener Art einen Gang zu thun. Es erneuert das An¬
denken an den streitbarsten aller Ankläger des Jesuitismus, zu einer Zeit,
da abermals der Jesuitismus seine Ansprüche auf die Herrschaft der Welt
proclamirt. Es weist aber zugleich die unvermeidliche Schwäche und Ergeb-
nißlosigkeit aller Angriffe nach, welche innerhalb der gemeinsamen Kirche auf
dem Boden ihrer Voraussetzungen geführt werden. Und indem es den
trügerischen Compromissen auf den Grund geht, die haltlosen Gewebe einer
falschen Vermittlung unerbittlich auftrennt, gilt das Buch verständlich genug
zugleich der Vermittelungstheologie im eigenen protestantischen Bekenntniß.

Man könnte diese Schrift eine naturwissenschaftliche Analyse der Ver¬
mittelungstheologie nennen, die um so wirksamer ist, als sie nicht auf eine
theoretische Ausführung sich beschränkt, sondern an einer bestimmten geschicht¬
lichen Erscheinung durchgeführt ist, die eine objective Abschätzung der Kräfte
wie der Resultate ermöglicht. Es gilt nur die Gründe, warum es so kam,
unbefangen sich zu vergegenwärtigen. Warum ist Port-Royal, warum ist
Pascal unterlegen? Diese Frage beantwortet Dreydorff in einer Weise, welche
die Geschichte des Frommen von Clermont zum classischen Muster aller der¬
jenigen Reformversuche macht, die auch dann noch auf dem Boden der Ver¬
mittlung stehen bleiben, wenn die Rettung allein im Bruche liegt.

Nur daß man hier nicht eine Gelegenheilsschrift vermuthete, wie deren
das Concil dutzende auf den Büchermarkt geworfen. Offenbar auf jahre¬
langen Vorstudien beruhend geht Dreydorffs Darstellung nicht darauf aus,
einen willkommenen Stoff für Tageszwecke zurechtzustutzen, sondern er dringt
vor allem mit gewissenhafter Schärfe in denselben ein, und nichts springt
dem Leser gleich vom Anfang an so deutlich in die Augen, als die Selbst-
ständigkeit, mit welcher sich der Verfasser aus dem Acten selbst sein Urtheil
gebildet hat, das in wesentlichen Punkten den herkömmlichen Meinungen
gegenübertritt.

Frühzeitig hat die Sage auch Pascal's Leben wie das aller Glaubens¬
helden zu umspinnen begonnen, und theils in der Gesammtauffassung theils
in manchem anekdotischen Beiwerk hat dies bis in die neueren Bearbeitungen
nachgewirkt. Hier tritt nun die kritische durch und durch gesunde Nüchtern¬
heit des neuesten Biographen ein, dem es ein wahres Vergnügen ist, die
Mythenbildung bis in ihre letzten geheimsten Schlupfwinkel zu verfolgen.
Die Frömmigkeit der Freunde von Port-Royal und die Individualität des
hilfreichen „Secretärs" dieses Klosters sind ihm Phänomene, die er mit der
sicheren Methode des Naturforsches in ihre Elemente zerlegt. So ist gleich
die Athmosphäre von Port-Royal, in welcher Pascal's Gemüth, leex, skeptisch
gelangweilt, Zuflucht findet, äußerst sein gezeichnet. Unbestechlich wird bei
aller Anerkennung des Trefflicher auch das Weichliche und Ungesunde jener


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[0520] Gegnern sehr verschiedener Art einen Gang zu thun. Es erneuert das An¬ denken an den streitbarsten aller Ankläger des Jesuitismus, zu einer Zeit, da abermals der Jesuitismus seine Ansprüche auf die Herrschaft der Welt proclamirt. Es weist aber zugleich die unvermeidliche Schwäche und Ergeb- nißlosigkeit aller Angriffe nach, welche innerhalb der gemeinsamen Kirche auf dem Boden ihrer Voraussetzungen geführt werden. Und indem es den trügerischen Compromissen auf den Grund geht, die haltlosen Gewebe einer falschen Vermittlung unerbittlich auftrennt, gilt das Buch verständlich genug zugleich der Vermittelungstheologie im eigenen protestantischen Bekenntniß. Man könnte diese Schrift eine naturwissenschaftliche Analyse der Ver¬ mittelungstheologie nennen, die um so wirksamer ist, als sie nicht auf eine theoretische Ausführung sich beschränkt, sondern an einer bestimmten geschicht¬ lichen Erscheinung durchgeführt ist, die eine objective Abschätzung der Kräfte wie der Resultate ermöglicht. Es gilt nur die Gründe, warum es so kam, unbefangen sich zu vergegenwärtigen. Warum ist Port-Royal, warum ist Pascal unterlegen? Diese Frage beantwortet Dreydorff in einer Weise, welche die Geschichte des Frommen von Clermont zum classischen Muster aller der¬ jenigen Reformversuche macht, die auch dann noch auf dem Boden der Ver¬ mittlung stehen bleiben, wenn die Rettung allein im Bruche liegt. Nur daß man hier nicht eine Gelegenheilsschrift vermuthete, wie deren das Concil dutzende auf den Büchermarkt geworfen. Offenbar auf jahre¬ langen Vorstudien beruhend geht Dreydorffs Darstellung nicht darauf aus, einen willkommenen Stoff für Tageszwecke zurechtzustutzen, sondern er dringt vor allem mit gewissenhafter Schärfe in denselben ein, und nichts springt dem Leser gleich vom Anfang an so deutlich in die Augen, als die Selbst- ständigkeit, mit welcher sich der Verfasser aus dem Acten selbst sein Urtheil gebildet hat, das in wesentlichen Punkten den herkömmlichen Meinungen gegenübertritt. Frühzeitig hat die Sage auch Pascal's Leben wie das aller Glaubens¬ helden zu umspinnen begonnen, und theils in der Gesammtauffassung theils in manchem anekdotischen Beiwerk hat dies bis in die neueren Bearbeitungen nachgewirkt. Hier tritt nun die kritische durch und durch gesunde Nüchtern¬ heit des neuesten Biographen ein, dem es ein wahres Vergnügen ist, die Mythenbildung bis in ihre letzten geheimsten Schlupfwinkel zu verfolgen. Die Frömmigkeit der Freunde von Port-Royal und die Individualität des hilfreichen „Secretärs" dieses Klosters sind ihm Phänomene, die er mit der sicheren Methode des Naturforsches in ihre Elemente zerlegt. So ist gleich die Athmosphäre von Port-Royal, in welcher Pascal's Gemüth, leex, skeptisch gelangweilt, Zuflucht findet, äußerst sein gezeichnet. Unbestechlich wird bei aller Anerkennung des Trefflicher auch das Weichliche und Ungesunde jener

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/520>, abgerufen am 02.10.2024.