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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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den ist. Castagne -- noch vor wenig Tagen Erwählter der "Volkspartei"
-- ist seitdem mit den Vorbereitungen eines Hrn. v. Scheel-Plessen zur sil¬
bernen Hochzeitsfeier darzubringenden Fackelzuges als Leiter des Comites
beschäftigt gewesen. Der Führung dieser früheren Gesammtstaatsmänner
folgten bei den Stadtverordnetenwahlen ferner Einige der schwankenden
Preußenfreundlichen, seit den Jahren 1864--1866 scherzweise "Blaue" be¬
nannt, sowie andere politisch mehr oder minder gleichgiltige, aber mit Ein¬
zelheiten der bisherigen städtischen Verwaltung unzufriedene Elemente.

Die "Volkspartei" an und für sich ist numerisch schwächer als die augu-
stenburgische, und selbst die Hilfe der mit ihr coalirten Fraction hat ihr nicht
zum Siege verhelfen können. Die Entscheidung fiel bei den Wahlgängen, wo
die allgemeine Betheiligung verhältnißmäßig geringer war, in die Hände der
minder extremen Schattirungen; wo aber die augustenburgische Partei, wie
z. B. bei der Wahl Hänel's und Karsten's ihre volle Kraft zusammennähen,
siegte sie mit glänzenden Majoritäten. Diese Partei darf demnach noch
immer als die einflußreichste betrachtet werden, wie sie denn in das 24 Köpfe
zählende Stadtverordnetencollegium nicht weniger wie 16 ihrer Kandidaten
gebracht hat. Im Uebrigen darf man natürlich nicht den Charakter dieser
Wahlen im Sinne eines konservativen resp, liberalen Programms fassen;
die sog. "liberale" Partei der Particularisten umfaßt sehr zahlreiche kon¬
servative, ja legitimistische Elemente, von einem Programme konnte also hier
keine Rede sein. Das ganze Wahlgeschäft gewann vielmehr im Wesentlichen
das Gepräge, eines Kampfes zweier Cliquen, die um die Herrschaft in der
Stadtverwaltung rangen; und es ist dabei immerhin fraglich, ob die Ver¬
waltung der Volksparteimänner der Commune zu größerem Segen gereicht
hätte. Zwar hatten die Volkspartei- und Gesammtstaatsmänner für die
Masse das Stichwort "Sparsamkeit" im städtischen Haushalte klug ersonnen;
die politischen Interessen resp. Grundsätze dagegen, welche die Führer der
einzelnen coalirten Fractionen im gewöhnlichen Leben vertreten, waren bei
den Wahlkämpfen geflissentlich außenvorgelassen; es versteht sich von selbst,
daß eine Coalition der "Volkspartei" und jener von Dänemark an Preußen
abgetretenen Conservativen ebenfalls von Hause aus völlige Programmlosig-
keit bedang.

Daß ich und meine politischen Freunde einem so unreinlichen Wahl¬
geschäfte ferngeblieben, bedarf für Sie keiner näheren Begründung.

Soll ich aus den Zuständen des engeren Kreises auf die Verhältnisse
der Provinz einen Blick werfen, so vermag ich Unbefriedigung ebenfalls nicht
zu verhehlen. In welchem Sinne jene früheren dänischen Gesammtstaats¬
männer die Herzogthümer regieren, ist ja allbekannt. Unlängst hört ich von
einem augustenburgisch Gesinnten recht drastisch sagen: "Scheel-Plessen hat


den ist. Castagne — noch vor wenig Tagen Erwählter der „Volkspartei"
— ist seitdem mit den Vorbereitungen eines Hrn. v. Scheel-Plessen zur sil¬
bernen Hochzeitsfeier darzubringenden Fackelzuges als Leiter des Comites
beschäftigt gewesen. Der Führung dieser früheren Gesammtstaatsmänner
folgten bei den Stadtverordnetenwahlen ferner Einige der schwankenden
Preußenfreundlichen, seit den Jahren 1864—1866 scherzweise „Blaue" be¬
nannt, sowie andere politisch mehr oder minder gleichgiltige, aber mit Ein¬
zelheiten der bisherigen städtischen Verwaltung unzufriedene Elemente.

Die „Volkspartei" an und für sich ist numerisch schwächer als die augu-
stenburgische, und selbst die Hilfe der mit ihr coalirten Fraction hat ihr nicht
zum Siege verhelfen können. Die Entscheidung fiel bei den Wahlgängen, wo
die allgemeine Betheiligung verhältnißmäßig geringer war, in die Hände der
minder extremen Schattirungen; wo aber die augustenburgische Partei, wie
z. B. bei der Wahl Hänel's und Karsten's ihre volle Kraft zusammennähen,
siegte sie mit glänzenden Majoritäten. Diese Partei darf demnach noch
immer als die einflußreichste betrachtet werden, wie sie denn in das 24 Köpfe
zählende Stadtverordnetencollegium nicht weniger wie 16 ihrer Kandidaten
gebracht hat. Im Uebrigen darf man natürlich nicht den Charakter dieser
Wahlen im Sinne eines konservativen resp, liberalen Programms fassen;
die sog. „liberale" Partei der Particularisten umfaßt sehr zahlreiche kon¬
servative, ja legitimistische Elemente, von einem Programme konnte also hier
keine Rede sein. Das ganze Wahlgeschäft gewann vielmehr im Wesentlichen
das Gepräge, eines Kampfes zweier Cliquen, die um die Herrschaft in der
Stadtverwaltung rangen; und es ist dabei immerhin fraglich, ob die Ver¬
waltung der Volksparteimänner der Commune zu größerem Segen gereicht
hätte. Zwar hatten die Volkspartei- und Gesammtstaatsmänner für die
Masse das Stichwort „Sparsamkeit" im städtischen Haushalte klug ersonnen;
die politischen Interessen resp. Grundsätze dagegen, welche die Führer der
einzelnen coalirten Fractionen im gewöhnlichen Leben vertreten, waren bei
den Wahlkämpfen geflissentlich außenvorgelassen; es versteht sich von selbst,
daß eine Coalition der „Volkspartei" und jener von Dänemark an Preußen
abgetretenen Conservativen ebenfalls von Hause aus völlige Programmlosig-
keit bedang.

Daß ich und meine politischen Freunde einem so unreinlichen Wahl¬
geschäfte ferngeblieben, bedarf für Sie keiner näheren Begründung.

Soll ich aus den Zuständen des engeren Kreises auf die Verhältnisse
der Provinz einen Blick werfen, so vermag ich Unbefriedigung ebenfalls nicht
zu verhehlen. In welchem Sinne jene früheren dänischen Gesammtstaats¬
männer die Herzogthümer regieren, ist ja allbekannt. Unlängst hört ich von
einem augustenburgisch Gesinnten recht drastisch sagen: „Scheel-Plessen hat


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[0506] den ist. Castagne — noch vor wenig Tagen Erwählter der „Volkspartei" — ist seitdem mit den Vorbereitungen eines Hrn. v. Scheel-Plessen zur sil¬ bernen Hochzeitsfeier darzubringenden Fackelzuges als Leiter des Comites beschäftigt gewesen. Der Führung dieser früheren Gesammtstaatsmänner folgten bei den Stadtverordnetenwahlen ferner Einige der schwankenden Preußenfreundlichen, seit den Jahren 1864—1866 scherzweise „Blaue" be¬ nannt, sowie andere politisch mehr oder minder gleichgiltige, aber mit Ein¬ zelheiten der bisherigen städtischen Verwaltung unzufriedene Elemente. Die „Volkspartei" an und für sich ist numerisch schwächer als die augu- stenburgische, und selbst die Hilfe der mit ihr coalirten Fraction hat ihr nicht zum Siege verhelfen können. Die Entscheidung fiel bei den Wahlgängen, wo die allgemeine Betheiligung verhältnißmäßig geringer war, in die Hände der minder extremen Schattirungen; wo aber die augustenburgische Partei, wie z. B. bei der Wahl Hänel's und Karsten's ihre volle Kraft zusammennähen, siegte sie mit glänzenden Majoritäten. Diese Partei darf demnach noch immer als die einflußreichste betrachtet werden, wie sie denn in das 24 Köpfe zählende Stadtverordnetencollegium nicht weniger wie 16 ihrer Kandidaten gebracht hat. Im Uebrigen darf man natürlich nicht den Charakter dieser Wahlen im Sinne eines konservativen resp, liberalen Programms fassen; die sog. „liberale" Partei der Particularisten umfaßt sehr zahlreiche kon¬ servative, ja legitimistische Elemente, von einem Programme konnte also hier keine Rede sein. Das ganze Wahlgeschäft gewann vielmehr im Wesentlichen das Gepräge, eines Kampfes zweier Cliquen, die um die Herrschaft in der Stadtverwaltung rangen; und es ist dabei immerhin fraglich, ob die Ver¬ waltung der Volksparteimänner der Commune zu größerem Segen gereicht hätte. Zwar hatten die Volkspartei- und Gesammtstaatsmänner für die Masse das Stichwort „Sparsamkeit" im städtischen Haushalte klug ersonnen; die politischen Interessen resp. Grundsätze dagegen, welche die Führer der einzelnen coalirten Fractionen im gewöhnlichen Leben vertreten, waren bei den Wahlkämpfen geflissentlich außenvorgelassen; es versteht sich von selbst, daß eine Coalition der „Volkspartei" und jener von Dänemark an Preußen abgetretenen Conservativen ebenfalls von Hause aus völlige Programmlosig- keit bedang. Daß ich und meine politischen Freunde einem so unreinlichen Wahl¬ geschäfte ferngeblieben, bedarf für Sie keiner näheren Begründung. Soll ich aus den Zuständen des engeren Kreises auf die Verhältnisse der Provinz einen Blick werfen, so vermag ich Unbefriedigung ebenfalls nicht zu verhehlen. In welchem Sinne jene früheren dänischen Gesammtstaats¬ männer die Herzogthümer regieren, ist ja allbekannt. Unlängst hört ich von einem augustenburgisch Gesinnten recht drastisch sagen: „Scheel-Plessen hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/506>, abgerufen am 03.07.2024.