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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Trauertönen den Verfall jeder löblichen poetischen Sitte, das rettungslose
Dahinschwinden des einst so sanft glänzenden goldenen Zeitalters der Lite¬
ratur zu beklagen. Nachdem kaum Friedrich Schlegel's kecke Sprüche ver¬
klungen sind, vernehmen wir ein Schmerzenslied, das wohl verdiente, von
allen Insassen des Nicolai-Weiße'schen Lagers empfindungsvoll nachgesungen
zu werden. Durch diese Anordnung der einzelnen contrastirenden Gruppen
suchten die Dichter gewissermaßen Ersatz zu bieten für den unausgeführt ge¬
bliebenen Plan, den sie ursprünglich mit so lebhafter Neigung erfaßt hatten
und den sie endlich nur gezwungen" und ungern fahren ließen -- für den
Plan nämlich, die Xenien zu einem wohlgefügten und wohlgegliederten Gan¬
zen kunstgemäß auszubilden.

Indem wir nun die vielseitige Kraft des satirischen Dichters bewundern,
der die entgegengesetzten Sinnesarten und Bestrebungen der Zeitgenossen mit
gleich treffender Schärfe zu zeichnen vermag, können wir uns doch eines leisen
Bedenkens nicht erwehren, das seinen Ausdruck in der Frage findet: Ist hier
dem jungen Friedrich Schlegel nicht zu viel geschehen? Und zwar zu viel im
doppelten Sinne: -- verdienen seine Aeußerungen eine so eingehende Beachtung?
verdienen sie eine so verletzende Zurückweisung? Mehr als ein halb Dutzend
Epigramme -- ist das nicht ein zu reichlicher Lohn für die auf wenigen
Seiten einer Zeitschrift verübte kritische Ungebühr? Und wäre noch die Zeit¬
schrift ein seit langen Jahren fest begründetes, einflußreiches Institut, wäre
noch der Kritiker ein Mann von weit verbreitetem Ansehen gewesen! Aber
keins von beiden; die Zeitschrift, die sich nur ein Jahr hindurch mühselig er¬
hielt, gehörte nicht zu den Journalen, aus welchen zahlreiche Leserkreise ihre
Meinungen zu schöpfen pflegten; und der Kritiker selbst, wenn er auch An¬
lage und Lust sowohl zum Revolutionär wie zum dictatorischen Gesetzgeber
verrieth, hatte es bis dahin doch noch nicht zu weitreichenden Einflüsse, zu
richterlichen Ansehen gebracht. Weshalb also die geschärfte Rüge, dieser
auszeichnende Tadel?

Schiller hatte seine zureichenden Gründe, diese dem jungen Kritiker be¬
reitete Auszeichnung für wohlverdient und zweckmäßig zu halten. Schon vor
längerer Zeit war Friedrich Schlegel für ihn der Gegenstand einer nicht un¬
freundlichen Aufmerksamkeit geworden. Der junge Mann war damals in
einem schwierigen Proceß des Werdens begriffen; er schien noch den Weg zu
suchen, auf dem eine gedeihliche und bequemere Entfaltung seiner Anlagen
gelingen konnte. Er war reich an Ideen, die, wie sie durch die geistige Be¬
wegung des Zeitalters angeregt waren, so auch fördernd auf diese zurück¬
wirken und mit treibender Kraft sie beschleunigen sollten; er war reich an
Planen, die seine Thätigkeit anspornen und zugleich in einer bestimmten
Richtung festhalten mußten. Aber dieser Jdeenreichthum war noch nicht voll-


Trauertönen den Verfall jeder löblichen poetischen Sitte, das rettungslose
Dahinschwinden des einst so sanft glänzenden goldenen Zeitalters der Lite¬
ratur zu beklagen. Nachdem kaum Friedrich Schlegel's kecke Sprüche ver¬
klungen sind, vernehmen wir ein Schmerzenslied, das wohl verdiente, von
allen Insassen des Nicolai-Weiße'schen Lagers empfindungsvoll nachgesungen
zu werden. Durch diese Anordnung der einzelnen contrastirenden Gruppen
suchten die Dichter gewissermaßen Ersatz zu bieten für den unausgeführt ge¬
bliebenen Plan, den sie ursprünglich mit so lebhafter Neigung erfaßt hatten
und den sie endlich nur gezwungen» und ungern fahren ließen — für den
Plan nämlich, die Xenien zu einem wohlgefügten und wohlgegliederten Gan¬
zen kunstgemäß auszubilden.

Indem wir nun die vielseitige Kraft des satirischen Dichters bewundern,
der die entgegengesetzten Sinnesarten und Bestrebungen der Zeitgenossen mit
gleich treffender Schärfe zu zeichnen vermag, können wir uns doch eines leisen
Bedenkens nicht erwehren, das seinen Ausdruck in der Frage findet: Ist hier
dem jungen Friedrich Schlegel nicht zu viel geschehen? Und zwar zu viel im
doppelten Sinne: — verdienen seine Aeußerungen eine so eingehende Beachtung?
verdienen sie eine so verletzende Zurückweisung? Mehr als ein halb Dutzend
Epigramme — ist das nicht ein zu reichlicher Lohn für die auf wenigen
Seiten einer Zeitschrift verübte kritische Ungebühr? Und wäre noch die Zeit¬
schrift ein seit langen Jahren fest begründetes, einflußreiches Institut, wäre
noch der Kritiker ein Mann von weit verbreitetem Ansehen gewesen! Aber
keins von beiden; die Zeitschrift, die sich nur ein Jahr hindurch mühselig er¬
hielt, gehörte nicht zu den Journalen, aus welchen zahlreiche Leserkreise ihre
Meinungen zu schöpfen pflegten; und der Kritiker selbst, wenn er auch An¬
lage und Lust sowohl zum Revolutionär wie zum dictatorischen Gesetzgeber
verrieth, hatte es bis dahin doch noch nicht zu weitreichenden Einflüsse, zu
richterlichen Ansehen gebracht. Weshalb also die geschärfte Rüge, dieser
auszeichnende Tadel?

Schiller hatte seine zureichenden Gründe, diese dem jungen Kritiker be¬
reitete Auszeichnung für wohlverdient und zweckmäßig zu halten. Schon vor
längerer Zeit war Friedrich Schlegel für ihn der Gegenstand einer nicht un¬
freundlichen Aufmerksamkeit geworden. Der junge Mann war damals in
einem schwierigen Proceß des Werdens begriffen; er schien noch den Weg zu
suchen, auf dem eine gedeihliche und bequemere Entfaltung seiner Anlagen
gelingen konnte. Er war reich an Ideen, die, wie sie durch die geistige Be¬
wegung des Zeitalters angeregt waren, so auch fördernd auf diese zurück¬
wirken und mit treibender Kraft sie beschleunigen sollten; er war reich an
Planen, die seine Thätigkeit anspornen und zugleich in einer bestimmten
Richtung festhalten mußten. Aber dieser Jdeenreichthum war noch nicht voll-


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[0455] Trauertönen den Verfall jeder löblichen poetischen Sitte, das rettungslose Dahinschwinden des einst so sanft glänzenden goldenen Zeitalters der Lite¬ ratur zu beklagen. Nachdem kaum Friedrich Schlegel's kecke Sprüche ver¬ klungen sind, vernehmen wir ein Schmerzenslied, das wohl verdiente, von allen Insassen des Nicolai-Weiße'schen Lagers empfindungsvoll nachgesungen zu werden. Durch diese Anordnung der einzelnen contrastirenden Gruppen suchten die Dichter gewissermaßen Ersatz zu bieten für den unausgeführt ge¬ bliebenen Plan, den sie ursprünglich mit so lebhafter Neigung erfaßt hatten und den sie endlich nur gezwungen» und ungern fahren ließen — für den Plan nämlich, die Xenien zu einem wohlgefügten und wohlgegliederten Gan¬ zen kunstgemäß auszubilden. Indem wir nun die vielseitige Kraft des satirischen Dichters bewundern, der die entgegengesetzten Sinnesarten und Bestrebungen der Zeitgenossen mit gleich treffender Schärfe zu zeichnen vermag, können wir uns doch eines leisen Bedenkens nicht erwehren, das seinen Ausdruck in der Frage findet: Ist hier dem jungen Friedrich Schlegel nicht zu viel geschehen? Und zwar zu viel im doppelten Sinne: — verdienen seine Aeußerungen eine so eingehende Beachtung? verdienen sie eine so verletzende Zurückweisung? Mehr als ein halb Dutzend Epigramme — ist das nicht ein zu reichlicher Lohn für die auf wenigen Seiten einer Zeitschrift verübte kritische Ungebühr? Und wäre noch die Zeit¬ schrift ein seit langen Jahren fest begründetes, einflußreiches Institut, wäre noch der Kritiker ein Mann von weit verbreitetem Ansehen gewesen! Aber keins von beiden; die Zeitschrift, die sich nur ein Jahr hindurch mühselig er¬ hielt, gehörte nicht zu den Journalen, aus welchen zahlreiche Leserkreise ihre Meinungen zu schöpfen pflegten; und der Kritiker selbst, wenn er auch An¬ lage und Lust sowohl zum Revolutionär wie zum dictatorischen Gesetzgeber verrieth, hatte es bis dahin doch noch nicht zu weitreichenden Einflüsse, zu richterlichen Ansehen gebracht. Weshalb also die geschärfte Rüge, dieser auszeichnende Tadel? Schiller hatte seine zureichenden Gründe, diese dem jungen Kritiker be¬ reitete Auszeichnung für wohlverdient und zweckmäßig zu halten. Schon vor längerer Zeit war Friedrich Schlegel für ihn der Gegenstand einer nicht un¬ freundlichen Aufmerksamkeit geworden. Der junge Mann war damals in einem schwierigen Proceß des Werdens begriffen; er schien noch den Weg zu suchen, auf dem eine gedeihliche und bequemere Entfaltung seiner Anlagen gelingen konnte. Er war reich an Ideen, die, wie sie durch die geistige Be¬ wegung des Zeitalters angeregt waren, so auch fördernd auf diese zurück¬ wirken und mit treibender Kraft sie beschleunigen sollten; er war reich an Planen, die seine Thätigkeit anspornen und zugleich in einer bestimmten Richtung festhalten mußten. Aber dieser Jdeenreichthum war noch nicht voll-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/455>, abgerufen am 24.08.2024.