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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Goethe vorzutragen (302--4); da er indeß gegen Schiller am schwersten sich
vergangen, so wird ihm dann zur gerechten Strafe noch aufgegeben, seine
unreifen Einfälle über "Würde der Frauen" und "Pegasus im Joch" zu re-
capituliren. Nachdem er so durch seine eigenen Aeußerungen sich hinlänglich
charakterisirt hat, wird er mit zwei Distichen entlassen (304--8), in welchen
Schiller diesem Charakterbilde mit energischer Hand die letzten vollendenden
Striche hinzufügt. In dem abschließenden Xenion:


Etwas wünscht' ich zu sehn: ich wünschte einmal von den Freunden,
Die das Schwache so schnell finden, das Gute zu sehn!

spricht er die Ahnung aus, die sich ihm später vollkommen bestätigte, daß
nämlich diesem ganzen Kritikergeschlechte, das seinen Scharfsinn, seinen "ent¬
setzlichen Witz"*) mit so viel Selbstgefälligkeit zur Geltung brachte, das mit
anscheinender Leichtigkeit die gewagtesten Geistessprünge vollführte, doch die
selbständig schaffende Geisteskraft abgebe. Je ausschließender Schiller sich der
künstlerischen Production zuwandte, um so entschiedener fühlte er sich zur
Mißachtung der vornehmthuenden Unfruchtbaren berechtigt, die, wie er meinte,
hinter blendendem Geistesschimmer nur ihr dauerndes Unvermögen verbargen.
Und ihm, der den schweren Ernst und die erhebende Wonne des künstlerischen
Schaffens so ganz kannte, ihm, der in jedem einzelnen Falle das Höchste, das
ihm erreichbar schien, von sich forderte und es nur als Preis des unablässi¬
gen Ringens seiner gesammten Kräfte erlangte, ihm war es Wohl verstattet,
geringschätzig die vorschnellen Tadler abzuweisen, die wenigstens nicht aus
eigener Erfahrung Einsicht in das Wesen und Wirken des Genius gewonnen
hatten. Im Anklang an jenes Tenion ruft er später einmal im Drange der
Arbeit aus: "Wüßten es nur die allzeitfertigen Urtheiler und die leichtferti¬
gen Dilettanten, was es kostet, ein ordentliches Werk zu erzeugen!"*)

Der Meister der neuesten Kritik hat nun von seiner Art und Kunst
eine so gründliche Probe abgelegt, daß er für jetzt vom satirischen Schau¬
platz zurücktreten mag. Damit aber durch den Gegensatz sein Charakter noch
deutlicher ausgeprägt erscheine, wird gleich nach ihm der Chor der Alten,
der wehmüthig gestimmten Anhänger des Hergebrachten vorgerufen, um in
den "Jeremiaden aus dem Reichsanzeiger" (309--18)***) mit possirltchen





") Schiller an Goethe 19. Juli 1799.
") An Goethe 31. Mai 1799. -- Diese Betrachtung war auch Goethe'n geläufig. Schon
Jahre zuvor hatte dieser, während des zweiten Aufenthalts in Rom, aus der Fülle der ge¬
sammelten Anschauungen heraus, ruhig, ohne polemischen Seitenblick, die Ueberzeugung ge¬
äußert, daß "doch im Grunde niemand einen rechten Begriff von der Schwierigkeit der Kunst
habe, als der Künstler selbst." (29, 161>.
Unter dem Gcsammttitel "Jeremiade" hat Schiller diese prächtigen, ohne Commentar
allgemein verständlichen Epigramme verdientermaßen in den zweiten Band der Gedichte (S.
191--193) aufgenommen.

Goethe vorzutragen (302—4); da er indeß gegen Schiller am schwersten sich
vergangen, so wird ihm dann zur gerechten Strafe noch aufgegeben, seine
unreifen Einfälle über „Würde der Frauen" und „Pegasus im Joch" zu re-
capituliren. Nachdem er so durch seine eigenen Aeußerungen sich hinlänglich
charakterisirt hat, wird er mit zwei Distichen entlassen (304—8), in welchen
Schiller diesem Charakterbilde mit energischer Hand die letzten vollendenden
Striche hinzufügt. In dem abschließenden Xenion:


Etwas wünscht' ich zu sehn: ich wünschte einmal von den Freunden,
Die das Schwache so schnell finden, das Gute zu sehn!

spricht er die Ahnung aus, die sich ihm später vollkommen bestätigte, daß
nämlich diesem ganzen Kritikergeschlechte, das seinen Scharfsinn, seinen „ent¬
setzlichen Witz"*) mit so viel Selbstgefälligkeit zur Geltung brachte, das mit
anscheinender Leichtigkeit die gewagtesten Geistessprünge vollführte, doch die
selbständig schaffende Geisteskraft abgebe. Je ausschließender Schiller sich der
künstlerischen Production zuwandte, um so entschiedener fühlte er sich zur
Mißachtung der vornehmthuenden Unfruchtbaren berechtigt, die, wie er meinte,
hinter blendendem Geistesschimmer nur ihr dauerndes Unvermögen verbargen.
Und ihm, der den schweren Ernst und die erhebende Wonne des künstlerischen
Schaffens so ganz kannte, ihm, der in jedem einzelnen Falle das Höchste, das
ihm erreichbar schien, von sich forderte und es nur als Preis des unablässi¬
gen Ringens seiner gesammten Kräfte erlangte, ihm war es Wohl verstattet,
geringschätzig die vorschnellen Tadler abzuweisen, die wenigstens nicht aus
eigener Erfahrung Einsicht in das Wesen und Wirken des Genius gewonnen
hatten. Im Anklang an jenes Tenion ruft er später einmal im Drange der
Arbeit aus: „Wüßten es nur die allzeitfertigen Urtheiler und die leichtferti¬
gen Dilettanten, was es kostet, ein ordentliches Werk zu erzeugen!"*)

Der Meister der neuesten Kritik hat nun von seiner Art und Kunst
eine so gründliche Probe abgelegt, daß er für jetzt vom satirischen Schau¬
platz zurücktreten mag. Damit aber durch den Gegensatz sein Charakter noch
deutlicher ausgeprägt erscheine, wird gleich nach ihm der Chor der Alten,
der wehmüthig gestimmten Anhänger des Hergebrachten vorgerufen, um in
den „Jeremiaden aus dem Reichsanzeiger" (309—18)***) mit possirltchen





") Schiller an Goethe 19. Juli 1799.
") An Goethe 31. Mai 1799. — Diese Betrachtung war auch Goethe'n geläufig. Schon
Jahre zuvor hatte dieser, während des zweiten Aufenthalts in Rom, aus der Fülle der ge¬
sammelten Anschauungen heraus, ruhig, ohne polemischen Seitenblick, die Ueberzeugung ge¬
äußert, daß „doch im Grunde niemand einen rechten Begriff von der Schwierigkeit der Kunst
habe, als der Künstler selbst." (29, 161>.
Unter dem Gcsammttitel „Jeremiade" hat Schiller diese prächtigen, ohne Commentar
allgemein verständlichen Epigramme verdientermaßen in den zweiten Band der Gedichte (S.
191—193) aufgenommen.
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[0454] Goethe vorzutragen (302—4); da er indeß gegen Schiller am schwersten sich vergangen, so wird ihm dann zur gerechten Strafe noch aufgegeben, seine unreifen Einfälle über „Würde der Frauen" und „Pegasus im Joch" zu re- capituliren. Nachdem er so durch seine eigenen Aeußerungen sich hinlänglich charakterisirt hat, wird er mit zwei Distichen entlassen (304—8), in welchen Schiller diesem Charakterbilde mit energischer Hand die letzten vollendenden Striche hinzufügt. In dem abschließenden Xenion: Etwas wünscht' ich zu sehn: ich wünschte einmal von den Freunden, Die das Schwache so schnell finden, das Gute zu sehn! spricht er die Ahnung aus, die sich ihm später vollkommen bestätigte, daß nämlich diesem ganzen Kritikergeschlechte, das seinen Scharfsinn, seinen „ent¬ setzlichen Witz"*) mit so viel Selbstgefälligkeit zur Geltung brachte, das mit anscheinender Leichtigkeit die gewagtesten Geistessprünge vollführte, doch die selbständig schaffende Geisteskraft abgebe. Je ausschließender Schiller sich der künstlerischen Production zuwandte, um so entschiedener fühlte er sich zur Mißachtung der vornehmthuenden Unfruchtbaren berechtigt, die, wie er meinte, hinter blendendem Geistesschimmer nur ihr dauerndes Unvermögen verbargen. Und ihm, der den schweren Ernst und die erhebende Wonne des künstlerischen Schaffens so ganz kannte, ihm, der in jedem einzelnen Falle das Höchste, das ihm erreichbar schien, von sich forderte und es nur als Preis des unablässi¬ gen Ringens seiner gesammten Kräfte erlangte, ihm war es Wohl verstattet, geringschätzig die vorschnellen Tadler abzuweisen, die wenigstens nicht aus eigener Erfahrung Einsicht in das Wesen und Wirken des Genius gewonnen hatten. Im Anklang an jenes Tenion ruft er später einmal im Drange der Arbeit aus: „Wüßten es nur die allzeitfertigen Urtheiler und die leichtferti¬ gen Dilettanten, was es kostet, ein ordentliches Werk zu erzeugen!"*) Der Meister der neuesten Kritik hat nun von seiner Art und Kunst eine so gründliche Probe abgelegt, daß er für jetzt vom satirischen Schau¬ platz zurücktreten mag. Damit aber durch den Gegensatz sein Charakter noch deutlicher ausgeprägt erscheine, wird gleich nach ihm der Chor der Alten, der wehmüthig gestimmten Anhänger des Hergebrachten vorgerufen, um in den „Jeremiaden aus dem Reichsanzeiger" (309—18)***) mit possirltchen ") Schiller an Goethe 19. Juli 1799. ") An Goethe 31. Mai 1799. — Diese Betrachtung war auch Goethe'n geläufig. Schon Jahre zuvor hatte dieser, während des zweiten Aufenthalts in Rom, aus der Fülle der ge¬ sammelten Anschauungen heraus, ruhig, ohne polemischen Seitenblick, die Ueberzeugung ge¬ äußert, daß „doch im Grunde niemand einen rechten Begriff von der Schwierigkeit der Kunst habe, als der Künstler selbst." (29, 161>. Unter dem Gcsammttitel „Jeremiade" hat Schiller diese prächtigen, ohne Commentar allgemein verständlichen Epigramme verdientermaßen in den zweiten Band der Gedichte (S. 191—193) aufgenommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/454>, abgerufen am 22.07.2024.