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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Herzogstadt Mitau geführt hatte, war Curland in stets zunehmender Ab¬
hängigkeit von der mächtigen Monarchie des Nordens gewesen. Selbst unter
dem schwachen Weiberregiment, welches sich nach Peter's Tode aufthat, hatte
die russische Diplomatie es mit unvergleichlichen Geschick verstanden, immer
neue Vorwände zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten dieses Her¬
zogtums zu gewinnen, das den Schauplatz unaufhörlicher Händel und Eifer¬
süchteleien zwischen dem schwachen Landesherrn und einem zügellosen Adel
darbot. Seit Peter seine Nichte, die spätere Kaiserin Anna, dem letzten
Sprossen des Ketteler'schen Stammes vermählt hatte, war Curland von Ru߬
land ebenso abhängig wie von Polen, und nach Anna's Erhebung auf den
russischen Kaiserthron mußte der stolzeste und selbstherrlichste Adel deutschen
Stammes sich darein fügen, den Glücksmder Ernst Johann Viron (der bis
dahin Kammerjunker Bühren geheißen hatte), mit dem herzoglichen Purpur
zu bekleiden. Während Biron's zwanzigjähriger Verbannung nach Sibirien
war es August III. von Sachsen und Polen gelungen, seinen jüngeren Sohn,
den Herzog Carl zu Sachsen, auf den Curländischen Thron zu erheben; und
einen Augenblick schien es, als vermöge dieser junge Fürst die Wunden zu
heilen, welche die zügellose Oligarchenwirthschaft des Adels dem kleinen,
aber von der Natur reich begünstigten Lande geschlagen. Herzog Carl machte
den Versuch, sich an dem Bürgerstande ein Gegengewicht gegen die maßlosen
Ansprüche des Adels zu verschaffen, indem er den Mitau'schen Advokaten
Ziegenhorn zu seinem Oberrath erhob und damit dem Adel, der alle höheren
Aemter als seine Domäne anzusehen gewohnt war, den Fehdehandschuh hin¬
warf. Aber noch während des Tumultes, den diese Ernennung und der
Versuch, einen Zusammenschluß der bürgerlichen Kräfte zu bewirken, hervor¬
rief, kehrte Biron aus seinem sibirischen Exil nach Petersburg zurück, und
mußte Carl seine Hauptstadt verlassen und nach Warschau zurückkehren.

Damit war Curlands Abhängigkeit von der Willkür der russischen Macht-
Haber für immer besiegelt und im Voraus entschieden, daß Rußland mit dem
größten Theil der polnischen Länder auch das Lehnsherzogthums Curland
und Semgallen sammt dem Stift Pillen an sich bringen werde. Zweifelhaft
konnte der Ausgang höchstens sein, so lange Friedrich der Große auf dem
preußischen Throne saß und seinen Wahlspruch "louMi's en Vkäött6'° zur
Wahrheit machte; seit der große König aber das müde Auge geschlossen, war
auch das Schicksal Curlands entschieden.

Die Einzelheiten des politischen Jntriguenspiels, welches Curland zu
einer russischen Provinz machte, sind bis jetzt so gut wie völlig unbekannt.
Die lokale Sage weiß wohl noch, daß die bedingungslose Unterwerfung der
Ritterschaft unter das russische Scepter das Werk eines Freiherren von der
Howen war, und daß ein Theil des Adels sich derselben widersetzt hatte,


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Herzogstadt Mitau geführt hatte, war Curland in stets zunehmender Ab¬
hängigkeit von der mächtigen Monarchie des Nordens gewesen. Selbst unter
dem schwachen Weiberregiment, welches sich nach Peter's Tode aufthat, hatte
die russische Diplomatie es mit unvergleichlichen Geschick verstanden, immer
neue Vorwände zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten dieses Her¬
zogtums zu gewinnen, das den Schauplatz unaufhörlicher Händel und Eifer¬
süchteleien zwischen dem schwachen Landesherrn und einem zügellosen Adel
darbot. Seit Peter seine Nichte, die spätere Kaiserin Anna, dem letzten
Sprossen des Ketteler'schen Stammes vermählt hatte, war Curland von Ru߬
land ebenso abhängig wie von Polen, und nach Anna's Erhebung auf den
russischen Kaiserthron mußte der stolzeste und selbstherrlichste Adel deutschen
Stammes sich darein fügen, den Glücksmder Ernst Johann Viron (der bis
dahin Kammerjunker Bühren geheißen hatte), mit dem herzoglichen Purpur
zu bekleiden. Während Biron's zwanzigjähriger Verbannung nach Sibirien
war es August III. von Sachsen und Polen gelungen, seinen jüngeren Sohn,
den Herzog Carl zu Sachsen, auf den Curländischen Thron zu erheben; und
einen Augenblick schien es, als vermöge dieser junge Fürst die Wunden zu
heilen, welche die zügellose Oligarchenwirthschaft des Adels dem kleinen,
aber von der Natur reich begünstigten Lande geschlagen. Herzog Carl machte
den Versuch, sich an dem Bürgerstande ein Gegengewicht gegen die maßlosen
Ansprüche des Adels zu verschaffen, indem er den Mitau'schen Advokaten
Ziegenhorn zu seinem Oberrath erhob und damit dem Adel, der alle höheren
Aemter als seine Domäne anzusehen gewohnt war, den Fehdehandschuh hin¬
warf. Aber noch während des Tumultes, den diese Ernennung und der
Versuch, einen Zusammenschluß der bürgerlichen Kräfte zu bewirken, hervor¬
rief, kehrte Biron aus seinem sibirischen Exil nach Petersburg zurück, und
mußte Carl seine Hauptstadt verlassen und nach Warschau zurückkehren.

Damit war Curlands Abhängigkeit von der Willkür der russischen Macht-
Haber für immer besiegelt und im Voraus entschieden, daß Rußland mit dem
größten Theil der polnischen Länder auch das Lehnsherzogthums Curland
und Semgallen sammt dem Stift Pillen an sich bringen werde. Zweifelhaft
konnte der Ausgang höchstens sein, so lange Friedrich der Große auf dem
preußischen Throne saß und seinen Wahlspruch „louMi's en Vkäött6'° zur
Wahrheit machte; seit der große König aber das müde Auge geschlossen, war
auch das Schicksal Curlands entschieden.

Die Einzelheiten des politischen Jntriguenspiels, welches Curland zu
einer russischen Provinz machte, sind bis jetzt so gut wie völlig unbekannt.
Die lokale Sage weiß wohl noch, daß die bedingungslose Unterwerfung der
Ritterschaft unter das russische Scepter das Werk eines Freiherren von der
Howen war, und daß ein Theil des Adels sich derselben widersetzt hatte,


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[0043] Herzogstadt Mitau geführt hatte, war Curland in stets zunehmender Ab¬ hängigkeit von der mächtigen Monarchie des Nordens gewesen. Selbst unter dem schwachen Weiberregiment, welches sich nach Peter's Tode aufthat, hatte die russische Diplomatie es mit unvergleichlichen Geschick verstanden, immer neue Vorwände zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten dieses Her¬ zogtums zu gewinnen, das den Schauplatz unaufhörlicher Händel und Eifer¬ süchteleien zwischen dem schwachen Landesherrn und einem zügellosen Adel darbot. Seit Peter seine Nichte, die spätere Kaiserin Anna, dem letzten Sprossen des Ketteler'schen Stammes vermählt hatte, war Curland von Ru߬ land ebenso abhängig wie von Polen, und nach Anna's Erhebung auf den russischen Kaiserthron mußte der stolzeste und selbstherrlichste Adel deutschen Stammes sich darein fügen, den Glücksmder Ernst Johann Viron (der bis dahin Kammerjunker Bühren geheißen hatte), mit dem herzoglichen Purpur zu bekleiden. Während Biron's zwanzigjähriger Verbannung nach Sibirien war es August III. von Sachsen und Polen gelungen, seinen jüngeren Sohn, den Herzog Carl zu Sachsen, auf den Curländischen Thron zu erheben; und einen Augenblick schien es, als vermöge dieser junge Fürst die Wunden zu heilen, welche die zügellose Oligarchenwirthschaft des Adels dem kleinen, aber von der Natur reich begünstigten Lande geschlagen. Herzog Carl machte den Versuch, sich an dem Bürgerstande ein Gegengewicht gegen die maßlosen Ansprüche des Adels zu verschaffen, indem er den Mitau'schen Advokaten Ziegenhorn zu seinem Oberrath erhob und damit dem Adel, der alle höheren Aemter als seine Domäne anzusehen gewohnt war, den Fehdehandschuh hin¬ warf. Aber noch während des Tumultes, den diese Ernennung und der Versuch, einen Zusammenschluß der bürgerlichen Kräfte zu bewirken, hervor¬ rief, kehrte Biron aus seinem sibirischen Exil nach Petersburg zurück, und mußte Carl seine Hauptstadt verlassen und nach Warschau zurückkehren. Damit war Curlands Abhängigkeit von der Willkür der russischen Macht- Haber für immer besiegelt und im Voraus entschieden, daß Rußland mit dem größten Theil der polnischen Länder auch das Lehnsherzogthums Curland und Semgallen sammt dem Stift Pillen an sich bringen werde. Zweifelhaft konnte der Ausgang höchstens sein, so lange Friedrich der Große auf dem preußischen Throne saß und seinen Wahlspruch „louMi's en Vkäött6'° zur Wahrheit machte; seit der große König aber das müde Auge geschlossen, war auch das Schicksal Curlands entschieden. Die Einzelheiten des politischen Jntriguenspiels, welches Curland zu einer russischen Provinz machte, sind bis jetzt so gut wie völlig unbekannt. Die lokale Sage weiß wohl noch, daß die bedingungslose Unterwerfung der Ritterschaft unter das russische Scepter das Werk eines Freiherren von der Howen war, und daß ein Theil des Adels sich derselben widersetzt hatte, 5*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/43>, abgerufen am 22.07.2024.