Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.die unübertreffliche Schönheit großer Theilstücke dieses Dramas erwarten läßt, Die Sprache des Dramas verdient in unserer Zeit schlottriger Verse ein G. F. Erinnerungen aus den letzten Tagen polnisch^curländischer setu^ Ständigkeit. I. Vorbemerkung. Es ist bekannt, daß der Untergang des polnischen die unübertreffliche Schönheit großer Theilstücke dieses Dramas erwarten läßt, Die Sprache des Dramas verdient in unserer Zeit schlottriger Verse ein G. F. Erinnerungen aus den letzten Tagen polnisch^curländischer setu^ Ständigkeit. I. Vorbemerkung. Es ist bekannt, daß der Untergang des polnischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0042" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121797"/> <p xml:id="ID_93"> die unübertreffliche Schönheit großer Theilstücke dieses Dramas erwarten läßt,<lb/> und es ist Jedermann klar, daß hieran die zerstreuende Häufung lose ver¬<lb/> bundener Handlungen die Hauptschuld trägt. Dann aber steht die Hand¬<lb/> lung des Tell im scharfen Gegensatz zu vorliegendem Stück. Im Tell werden<lb/> verschiedene Begebenheiten in ihrem dramatischen Verlauf so organisirt, daß<lb/> sie jede für sich ein großes Resultat und diese Resultate zusammen verbunden<lb/> die poetische Idee: Befreiung der Schweiz, darstellen. In dem vorliegenden<lb/> Stück bestimmt der Charakter der Heldin allein den Verlauf des Dramas,<lb/> auf ihn ist Alles bezogen, durch ihn wird jeder wesentliche Fortschritt be¬<lb/> wirkt; das Stück ist in seiner Anlage ebensosehr unter die souveräne Herr¬<lb/> schaft Eines Charakters gestellt, wie das Stück Wilhelm Tell durch den<lb/> Mangel eines beherrschenden Charakters auffällig wird. Und deshalb müssen<lb/> wir von diesem Charakter ein reicheres Detail des innern Lebens fordern.</p><lb/> <p xml:id="ID_94"> Die Sprache des Dramas verdient in unserer Zeit schlottriger Verse ein<lb/> ganz besonderes Lob. Man wird leicht von einigen Stellen absehen, in denen<lb/> moderne Reflexionen über die Sachlage oder die eigene Stimmung sogar<lb/> jugendlichen Personen in dem Mund gelegt sind. Im Ganzen schreitet die<lb/> Sprache des Verses sicher, gehoben, dramatisch lebendig, an vielen Stellen<lb/> ist sie von starker Wucht und Gedrungenheit. Dieses dramatische Leben in<lb/> der Sprache, die poetisch correkten Linien der Charaktere und die in Wahr¬<lb/> heit schöne deutsche Farbe, welche Sprache, Rollen und Situationen haben,<lb/> berechtigen die Kritik, für dieses Stück achtungsvolle Behandlung auf den<lb/> deutschen Bühnen zu fordern und von dem Dichter Gutes für das deutsche<lb/> Drama zu hoffen.</p><lb/> <note type="byline"> G. F.</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Erinnerungen aus den letzten Tagen polnisch^curländischer setu^<lb/> Ständigkeit.</head><lb/> <div n="2"> <head> I.</head><lb/> <p xml:id="ID_95" next="#ID_96"> Vorbemerkung. Es ist bekannt, daß der Untergang des polnischen<lb/> Staates von dem Herzogthum Curland, das seit 1561 polnisches Lehen war,<lb/> nicht überlebt wurde. Als nach der dritten Theilung Polens selbst der Name<lb/> dieses Staats von der Erde verschwand, blieb dem kleinen Lehnsherzogthum<lb/> nichts übrig, als sich gleichfalls einem der mächtigen Nachbarstaaten zu unter¬<lb/> werfen. Daß dieser Nachbarstaat der russische sein mußte, konnte nur kurze<lb/> Zeit zweifelhaft sein. Seit den Tagen Peters des Großen, da der in russische<lb/> Dienste getretene Curländer Kennet die ersten czaarischen Truppen in die</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0042]
die unübertreffliche Schönheit großer Theilstücke dieses Dramas erwarten läßt,
und es ist Jedermann klar, daß hieran die zerstreuende Häufung lose ver¬
bundener Handlungen die Hauptschuld trägt. Dann aber steht die Hand¬
lung des Tell im scharfen Gegensatz zu vorliegendem Stück. Im Tell werden
verschiedene Begebenheiten in ihrem dramatischen Verlauf so organisirt, daß
sie jede für sich ein großes Resultat und diese Resultate zusammen verbunden
die poetische Idee: Befreiung der Schweiz, darstellen. In dem vorliegenden
Stück bestimmt der Charakter der Heldin allein den Verlauf des Dramas,
auf ihn ist Alles bezogen, durch ihn wird jeder wesentliche Fortschritt be¬
wirkt; das Stück ist in seiner Anlage ebensosehr unter die souveräne Herr¬
schaft Eines Charakters gestellt, wie das Stück Wilhelm Tell durch den
Mangel eines beherrschenden Charakters auffällig wird. Und deshalb müssen
wir von diesem Charakter ein reicheres Detail des innern Lebens fordern.
Die Sprache des Dramas verdient in unserer Zeit schlottriger Verse ein
ganz besonderes Lob. Man wird leicht von einigen Stellen absehen, in denen
moderne Reflexionen über die Sachlage oder die eigene Stimmung sogar
jugendlichen Personen in dem Mund gelegt sind. Im Ganzen schreitet die
Sprache des Verses sicher, gehoben, dramatisch lebendig, an vielen Stellen
ist sie von starker Wucht und Gedrungenheit. Dieses dramatische Leben in
der Sprache, die poetisch correkten Linien der Charaktere und die in Wahr¬
heit schöne deutsche Farbe, welche Sprache, Rollen und Situationen haben,
berechtigen die Kritik, für dieses Stück achtungsvolle Behandlung auf den
deutschen Bühnen zu fordern und von dem Dichter Gutes für das deutsche
Drama zu hoffen.
G. F.
Erinnerungen aus den letzten Tagen polnisch^curländischer setu^
Ständigkeit.
I.
Vorbemerkung. Es ist bekannt, daß der Untergang des polnischen
Staates von dem Herzogthum Curland, das seit 1561 polnisches Lehen war,
nicht überlebt wurde. Als nach der dritten Theilung Polens selbst der Name
dieses Staats von der Erde verschwand, blieb dem kleinen Lehnsherzogthum
nichts übrig, als sich gleichfalls einem der mächtigen Nachbarstaaten zu unter¬
werfen. Daß dieser Nachbarstaat der russische sein mußte, konnte nur kurze
Zeit zweifelhaft sein. Seit den Tagen Peters des Großen, da der in russische
Dienste getretene Curländer Kennet die ersten czaarischen Truppen in die
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